Sonntag, Oktober 23, 2011

9/11-DNA-Analyse: Old Brown Shoes?

In meinem Beitrag 9/11: die DNA bleiben vom 4. Oktober 2011 hatte ich angekündigt, dass ich zum Thema noch etwas nachliefern will.

Viele Leser wissen möglicherweise nicht, dass in den USA noch heute an mehreren tausend Leichenteilen und materiellen Resten aus den Trümmern der Zwillingstürme und dem benachbarten WTC-7 Gebäude geforscht wird. 9/11 ist forensisch-technisch noch nicht abgeschlossen.

Die bisherigen Untersuchungsmethoden werden konsequent verfeinert, um weitere DNA-Spuren aufzuschlüsseln.


Vorweg: Das sagt einiges über die emphatische Kultur der USA aus - eines Landes, das bei uns in Deutschland als „Bananenrepublik“ oder „Staat der Negermusik“ verunglimpft wird, obwohl von dort seit etwa einem Jahrhundert mit die beste Literatur und Malerei kommt.

Im Jahr 2006 wurde eine Grundlagenforschung des US-Justizministeriums veröffentlicht, die erste Aufschlüsse über die Gewinnung von DNA-Spuren seit 9/11-2001 liefert. Sie hat aber keine abschließende Relevanz. Und die Untersuchungen wurden auch nicht eingestellt, obwohl vorher verschiedene Meldungen wie im Jahr 2005 andere Informationen zu bringen schienen:
The forensic investigation ended in early 2005, when the medical examiner's office stated it had exhaused efforts to identify the missing. The victim identification statistics reported in a February 23, 2005 AP article, listed in the following table, remained about the same as those reported in articles published a year after the attack.
Um aber eine ungefähre Vorstellung davon zu bekommen, wie akribisch sich die Suche nach den Spuren der Ermordeten vom 11. September 2001 wirklich gestaltet und welche Ergebnisse immer wieder ans Licht der Öffentlichkeit befördert werden, hier ein Beispiel:

Forensiker des im Stadtteil Manhattan eingerichteten Instituts zur Erforschung der 9/11-Folgen (siehe PDF-Link oben) hatten erst Ende August dieses Jahres die Leichenteile von Ernest James, eines Mitarbeiters des Finanzberaterunternehmens Marsh and McClennan identifiziert.

Er war zum Zeitpunkt des Terroranschlags 40 Jahre alt.


Das ist aber nicht alles: Fast die Hälfte der Leichenreste von meistens pulversierten Terroropfern (40 Prozent) konnten bis heute nicht eindeutig identifiziert werden. Nach offiziellen Angaben starben im World Trade Center 2753 Menschen; so konnten also nur 1629 Tote einem bestimmten Genom zugeordnet werden.

Die deutschstämmige Gerichtsmedizinerin Mechthild Prinz („sichten, sieben, sequenzieren“), in New York zum Thema tätig, hält eine relativ trockene Erklärung für das Problem der Zuordnung von Leichenteilen zu spezifischen Personen parat:
Es besteht keine juristische Notwendigkeit mehr, weil die Opfer ihren Totenschein hätten.
Kann man es sich so einfach machen? Ich denke, Nein!

Es geht hier beileibe nicht um Juristerei, auch nicht um einen imaginären Totenschein oder forensische Spitzfindigkeiten: Es geht um ein Gedenken, das sich an Realitäten des physischen Körpers von Angehörigen festmacht.

Frau Prinz gibt sich zwar im oben unterlegten Hyperlink alle Mühe, Aufklärung zu betreiben, aber so ganz überzeugend und hartnäckig kommt das nicht rüber, wenn sie sagt:

Was wir auch tun: Niemals werden alle Opfer identifiziert werden.
Das mag in einigen Fällen zutreffen, ist aber noch nicht abgeschlossen.

Wie aber die WELT am 7. September schrieb, gibt es viele Ungereimtheiten bzw. schwer zuordenbare Leichenteile:
Anfangs wurden traditionelle Methoden wie der Zahnstatus, Fotografien oder Fingerabdrücke angewendet, um Leichen und Überreste aus den Trümmern zu identifizieren. Doch als die einfacheren Fälle erledigt waren, begann die forensische Detektivarbeit – und selbst die reicht oft nicht aus.
Wie wahr.

Hören wir aber Taylor Dickerson, der als Kriminologe im angeschlossenen Labor arbeitet:
„Ich erinnere mich an einen Fall vor ein paar Jahren; es war ein kleines Knochenteil auf dem Dach des Deutsche-Bank-Gebäudes“, sagt arbeitet. „Es hatte die Größe einer Münze, und wir konnten es jemanden zuordnen, der zu dieser Zeit in den Türmen gearbeitet hatte.“
Sensible Kleinarbeit. Den Opfern und ihren Angehöreigen gewidmet. Wo bleibt Frau Prinz?

Die WELT schreibt außerdem:
Unter strengen Sicherheits- und Hygienevorschriften arbeiten bis heute fünf Wissenschaftler an der Identifizierung von 6314 Knochensplittern, die im Gebiet der Zwillingstürme gefunden wurden. In einem großen Raum reinigt ein Roboter die Überreste, bevor mit DNA-Analysen nach Übereinstimmungen gesucht wird.
Wie schwierig sich die Forschungsarbeiten gestalten, wenn Zufälle eine Rolle spielen, zeigt dieses Beispiel:

Als im Herbst 2005 Abrissarbeiten auf dem Dach des Deutsche Bank-Gebäudes gleich neben Ground Zero durchgeführt wurden, fand man menschliche Knochen. Bradley Adams vom OCME-Projekt Potential Human Remains und sein Kollege Christian Crowder erhielten den Auftrag, sich mit den Funden näher zu beschäftigen. Als im Jahr 2006 ein Bauarbeiter in einem Kanalschacht weitere Knochenfunde aufspürte, schaltete sich das Office of Chief Medical Examiner ein, also die höchste medizinische Untersuchungsbehörde in New York City.

Die neue Baustelle wird immer ein Forschungsort zum Terroranschlag von 2001 bleiben, wenn man in Betracht zieht, dass allein von April bis Juni dieses Jahres rund 600 Kubikmeter Bauschutt durchsiebt und dabei 72 verwertbare Leichenteile gefunden wurden [nach 10 Jahren (!)].

Allein diese Funde reichen aus, dass sich eine Einstellung der DNA-Proben heute und in den nächsten Jahren verbietet - den Angehörigen der Opfer zuliebe.

Das ist die freie Welt ihnen schuldig.