Sonntag, August 12, 2012

Deutsche Olympioniken: Winner, Abgesoffene, Abgeschossene und ein wenig Politik

SPIEGEL ONLINE titelte gestern:

Deutschland hat das Finale des olympischen Hockey-Turniers gegen die Niederlande gewonnen. Doppel-Torschütze Jan Philipp Rabente war der Mann des Tages. Es ist bereits die vierte Olympia-Goldmedaille für ein Herren-Team des Deutschen Hockey-Bundes.

Die Gold-Hockey-Mannschaft der Herren, dazu besonders sympathisch Robert Hartings Olympia-Sieg (Diskus; Abbildung rechts), die Stabhochspringer, die Beach-Volleyballer Brink und Reckermann, die Kanuten, die Ruderer, die Turner und einige andere, die statt Silber auch Gold gewinnen hätten können, waren die Winner-Typen des deutschen Teams. All' diese Genannten.

Warum eigentlich?

Weil sie tierisch erfolgshungrig waren und sich nicht vorweg mit der schüchternen Devise „Dabei sein ist alles“ zufrieden geben wollten. Diese Maxime schien aber bei den meisten deutschen Olympioniken der jetzt abgelaufenen Spiele in London das Maß aller Dinge gewesen zu sein.

Als sich vorgestern die 4-x-100 Meter-Staffeln der Frauen im Finale auf den Start vorbereiteten, fuhr die Kamera – wie bei allen Sprintwettbewerben üblich – die Gesichter und Gesten aller Teilnehmerinnen ab. Die Startläuferin der USA schrie eine leidenschaftliche Ansage ins Mikrofon: „Go, Go, Go“, während die deutsche Kontrahentin auf der Außenbahn verlegen lächelte - so, als würde sie im Vornherein signalisieren: „Wir haben eh’ keine Chance, Hauptsache mitgemacht“. Kurze Zeit später und eine Stadionrunde zerschmetterte die US-Staffel den 27 Jahre alten [„Doping“-] DDR-Weltrekord (41,37) mit einer gigantischen Zeit von 40,82. Die deutsche Staffel landete auf dem fünften Platz. 

Sicher kein Zufall

Ganz abgesehen von den Bestleistungen der einzelnen Läuferinnen und Staffeln im Vorfeld der Spiele (USA-Sieg bei diesem Staffelwettbewerb sowieso klar) war diese Ansage mehr als aussagekräftig und beispielhaft für den Verlauf der Spiele in London generell: „Wir, die USA, verfügen über grenzenloses Selbstbewusstsein, und andererseits: „Wir, die BRD, sind froh, überhaupt dabei gewesen zu sein.“

Der überwiegende Teil der deutschen Olympiamannschaft - im Vorfeld der Spiele viel zu sehr überschätzt - trat mit einer psychischen und folglich körperlichen Blockade an, die zwangsläufig zu Misserfolgen führen musste, auch wenn der von mir oben erwähnte Sprintwettbewerb nicht unbedingt das beste Beispiel für deutsche Entschuldigungsmentalität liefert, da typisch für US-amerikanische und angelsächsische Winner-Gestik, die so überaus sympathisch und locker rüberkommt. Und außerdem sind diese Mädels meist auch noch hübscher als unsere. 

Ziehen wir doch einmal ein ehrliches Fazit: 

Beinahe ertrunken sind die deutschen Schwimmer, von Thomas Lurz (Silber bei 10 km Schwimmen) abgesehen, und abgeschossen wie Rebhühner die deutschen Schützen - beides hoch gehandelte Medaillenkandidaten mit etwa 15 eingeplanten Plaketten. Die wie immer favorisierten Fechter stachen sich selbst ins Knie…; also nochmal ein paar eingerechnete Medaillen. Und die Reiter (Vielseitigkeit ausgenommen; früher nannte man diese Disziplin ganz unkorrekt "Military") fielen fast von ihren Gäulen vor Langeweile.

Und was sich Kraul-Sprinterin Britta Steffen (Abbildung links: „Ich habe eingesehen, dass meine Leistung für die Weltspitze nicht reicht“ [wusste sie das nicht schon Wochen vorher?] sowie Lebens- und Trainingsgefährte Paul Biedermann ("wir hatten kein Glück, und dann kam auch noch Pech hinzu" [in Anlehnung an Bruno Labbadias' semantische Glanzleistung in den 1990er-Jahren bei Bayern München] an peinlichen Ausreden bei Interviews einfielen ließen, grenzt geradezu an Verarschung der Fans und TV-Zuseher.

Wie erklärt sich diese teilweise fast erbärmliche Entschuldigungsorgie, die sich in Formulierungen ergeht wie „Prima, dass ich in den Endkampf gekommen bin“, „Super, mehr hätte ich sowieso nicht geschafft“, “Platz 8 ist fantastisch“ und ähnlichen Formulierungen, die meine Leser in den letzten zwei Wochen bei der Verfolgung der Londoner Spiele sicher registriert haben. Woher kommt diese Wehleidigkeits- und Resignationskultur der Deutschen?

Ich denke, dass man hier die soziologischen Parameter in unserer auf HARMONIE getrimmten Gesellschaft generell heranziehen muss:

In einer Gesellschaft, in der alles, was von außen kommt, prinzipiell als GUT und Harmonie als das erstrebenswerte Ziel schlechthin angesehen wird (Man nehme als Beispiel den „Edlen Wilden“ in der Integrationsdebatte aus Sicht vieler Linker), kann mittel- und langfristig ein psychotischer Reflex nicht ausbleiben, der alles Eigene (Im weiteren Sinne, das müsste man noch diskutieren) als schlecht oder zumindest kritisch hinterfragbar und alles Andere als gut ansieht - allein, um der politischen Konformität des opportunistischen Ist-Zustandes zu entsprechen.

Auch im Sport....

Würde man nicht so handeln, begäbe man sich auf politisches Abstellgleis und die Sportförderung wäre - ja genau - futsch, weil nicht dem gesamtgesellschaftlichen Konsens entsprechend, der ja eben auf diese HARMONIE abgestimmt ist.

Oder nehmen das Beispiel Olympische HARMONIE:

So weit ich weiß, hat unser höchster Sportfunktionär Thomas Bach nicht gegen IOC-Präsident Rogge interveniert, als Israels Ansinnen, zum 40. Jahrestag der Ermordung von 11 israelischen Sportlern im Olympischen Dorf in München 1972 eine Schweigeminute im  Londoner Olympiastadion abzuhalten, abgelehnt wurde. Natürlich gehe ich nicht zwangsläufig davon aus, dass er ein Antisemit ist. Aber er ist zumindest ein selbstsüchtiger Opportunist. Na ja - im olympischen Dorf wurde dann doch eine Gedenkminute abgehalten.

Wenn Typen wie Thomas Bach einem Nationalen Olypischen Komittee vorstehen, darf man sich über Performance, Schläfrigkeit und unpolitische Einstellung manch deutscher Olympioniken nicht wundern. 



Was die sportlichen Perspektiven betrifft

Künftig sollte man Athleten, die offensichtlich selbst nicht an ihre Chance glauben und nur zum Gratulieren anreisen, allein unter [Leistungs-] Vorbehalt mitnehmen. Dazu dann vielleicht Kandidaten, die die Olympia-Norm zwar nicht schaffen, aber bereit sind, alles zu geben. Auf die paar Euro mehr käme es dann auch nicht mehr an, wenn man beim bisherigen Sponsoring durch das Innenministerium bliebe.

Im deutschen Leistungssport fehlt es - in der Breite wohlgemerkt - an Typen wie Robert Harting und den von mir ganz oben lobend erwähnten Athleten. Was seit zwei Tagen in den deutschen Medien diskutiert wird, gilt für die Zukunft des DOSB:

Man muss den Leistungssport, was seine konzeptionelle Ausrichtung betrifft, wesentlich stärker professionalisieren, was da hieße:

1) Zusammenziehung der besten Athleten an einem Stützpunkt über das ganze Jahr hinweg [ich denke da besonders an die Schwimmer]; nicht nur vor Großereignissen in bieder und funktionärstechnisch ausgerichteten Bundesleistungszentren.

2) Der Konkurrenzdruck in den Verbänden muss forciert werden. Das hat nichts mit unmenschlichen Anforderungen an ergraute Heimtrainer und 1968er-Brillenträger zu tun, sondern mit einer Stärkung der Winner-Mentalität. Gratulationstouren kann man auch als Goldmedaillengewinner abgeben. 

Und man muss endlich von der überkritischen Selbstkasteiungsmentalität abrücken, dass ein Gewinner automatisch ein Mensch wäre, dessen Leistung argwöhnisch hinterfragt werden müsse. Das gilt für alle Leistungsebenen.

3) Die Finanzierung der Athleten muss mehr, oder ausschließlich wie in den USA und den angelsächsischen Staaten, durch privates Sponsoring erfolgen, das die Doppelbelastung „Sport und Studium/Ausbildung“ über eine leistungsorientierte Vereinbarung zum Vorteil der Athleten abmildert, z.B. durch die Finanzierung eines Studiums auch nach Abschluss der sportlichen Laufbahn.

4) Etwas weniger Medienhype um vermeintliche Medaillenhoffnungen im Vorfeld von sportlichen Großveranstaltungen wäre sowieso angebracht - gerade dann, wenn man ehrlich einschätzen müsste, dass man nicht ganz vorne landen kann. Die kläglich-semantischen Windungen mancher deutscher Reporter der Öffentlich-Rechtlichen, wenn es darum ging, grauenhafte Leistungen deutscher Athleten klein zu reden, sprechen eine mehr als peinliche Sprache.

Und Gott bewahre uns zukünftig vor Wolf-Dieter Poschmann, dem ehemaligen mehr oder weniger begabten Mittelstreckenläufer und Syntax-Spezialisten, der als Live-Moderator das widerlich brüllende Auf und Ab in der Silbensprache der Sportberichterstattung erfunden hat. Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden im Alltag so "musikalisch" reden wie er. 

Sven Voss, wo warst du während der Olympischen Spiele? Ich habe dich vermisst!

Ach ja, hätte ich beinahe vergessen: Ariane Friedrich.  Die war auf Erfahrungs- und Aufbauurlaub in London. WOW! 

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Der Autor dieses Artikels hat über viele Jahre hinweg Leistungssport betrieben und ist heute noch sportlich aktiv (Große Radtouren und Bergwandern). Er weiß also, worüber er schreibt.