Mittwoch, November 26, 2008

While My Alan Posener Gently Weeps

So sehr ich Alan Posener als politischen Kommentator schätze - bei seiner "Gratulationstour" zum 40. Jahresstag des Beatles-Albums The Beatles Ende 1968, oder auch White Album, wie es wegen seiner optischen Aufmachung genannt wurde, hat er sich vergriffen, auch wenn das Album großartig ist. Daran gibt es trotz Poseners treffender Beurteilung der Songs im Allgemeinen keinen Zweifel (Im Bild rechts Beatle George Harrission). Er hat sich deshalb vertan, weil er das Album in Kontrast zu Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band stellt (Ein gigantischer Fehler!), dem wohl besten (Konzept-) Pop-Album aller Zeiten, und Letzteres mehr oder weniger als Produkt der Flower Power Bewegung abtut, die seiner Meinung nach ab und zu gute Eintagsfliegen produziert habe.

Entschiedener Widerspruch, was die Beurteilung von Sgt. Peppers betrifft

Sind Songs wie A Day In A Life oder She’s Leaving Home Produkte der Flower Power Bewegung?

A Day In A Life ist ein astreiner Konzeptsong, der teilweise Umwelttöne a l á Stockhausen aufgegriffen hat - ebenso wie, wenn auch aus der täglichen Lebensumwelt entnommen, Being for the Benefit of Mr. Kite (Unbedingt anhören), ein Song, der an Experimentierfreudigkeit in der Popgeschichte kaum noch zu übertreffen ist.

Flower Power? Ich krieg' die Krise!

She’s Leaving Home ist eine schwermütige Ballade, die vom Trennungsschmerz innerhalb einer Familie erzählt - hat also überhaupt nichts mit Flower Power-Schnickschnack zu tun, auch wenn ich Flower Power heute immer noch ohne schlechtes Gewissen mit Begeisterung höre.

Ich bin gut 5 Jahre jünger als Alan Posener, behaupte aber dennoch, dass ich von der Zeit und der musikalischen Entwicklung, die er beschreibt, [auch] mindestens so viel mitbekommen habe wie er und deshalb ein Urteilsvermögen habe, das seinem sicher nicht nachsteht. Sein Artikel bestärkt mich in meiner Meinung.

Die schlichte Tatsache, dass ich damals in einer Schülerband als 14-Jähriger bei gelegentlichen Veranstaltungen A Hard Days Night, I Wanna Hold Your Hand (Gibt's auch in Deutsch), All My Lovin’ etc. anstimmte und recht schnell feststellte - weil ich mich mit den Riffs und dem faszinierendem Gesang beschäftigte -, dass die erste Schaffensperiode der Fab Four (sehr hörenswert) alles andere als überragend war (später ging es natürlich steil bergauf), hat mich dazu bewogen, Alan ein wenig Kontra zu geben - wenn auch nur ein wenig, weil er in mancherlei Hinsicht eben nicht daneben liegt und die Leserbriefe zu seinem Beitrag teilweise ziemlich heftig und unfair ausfielen. So ganz unberechtigt war die Kritik an seinem Artikel aber dennoch nicht.

Zuerst zu den positiven Einwürfen Poseners:

Er hat zweifellos Recht, wenn er anführt, dass zwischen Sgt Peppers und dem White Album inhaltlich (!) eine Zäsur insofern stattgefunden hat, was die Abkehr von Flower Power und einer undifferenzierten Haltung zur Friedensbewegung betraf, auch wenn John Lennon das später in seiner Solokarriere dummerweise konterkariert hatte.

Alan Posener ist auch zuzustimmen, wenn er anführt, dass die Verlegung auf musikalische Kernthemen wie einzelne Stilarten des Pop (auch Rock/Klassik und andere Elemente) und seiner Varianten in studiotechnischer Hinsicht (!) beim White Album besonders gut gelungen ist.

Doch kommen wir hier jetzt schon zu einem Widerspruch - und da setzt meine „Kritik“ an:

War es nicht George Martin, der Produzent der Beatles, der in enger Zusammenarbeit mit John, Paul, George und Ringo seit 1962 die Partituren mitbestimmte? Sind Songs wie Norwegian Wood nicht auch unter seiner Regie entstanden, als George Harrisson sich das erste Mal (sehr erfolgreich) mit seiner Sitar austoben konnte? Ein wunderbarer Song übrigens…ganz nebenbei gesagt.

War es nicht George Martin, der die sagenhafte LP Revolver mit den Beatles produzierte, später dann Sgt Peppers und das White Album?

Was ich damit sagen will:

In der Schaffenskraft der Beatles gab es ab Mitte der 1960er-Jahre keinen wirklichen Bruch, was die Kompositionen betraf - anders als es Alan Posener darstellen will. Vielmehr war es so, dass George Martin fast bis zum Schluss - eben bis zum White Album, die Fäden in der Hand behielt, auch wenn er (das stimmt) während der Entstehung des Albums die Regie abgab - an seinen „Assistenten“ Chris Thomas, der dann die Produktion einiger Titel übernahm - auch weil sich die Beatles mittlerweile im Auflösungsprozess befanden. Zum Beispiel spielte Paul McCartney bei zwei Stücken Schlagzeug (Back in The USSR und Dear Prudence)!

Mehr als verstörend kommt es dann rüber, wenn Alan Posener das Stück While My Guitar Gental Weeps, komponiert von George Harrisson, als Schnulze abqualifiziert - einen Song, der an Gitarrensolo so viel zu bieten hat, dass sich selbst Eric Clapton daran versuchte - und stolz darauf war, es geschafft und weiterentwickelt zu haben; einen Song, an dem sich noch Generationen von Hobby-Rockgitarristen abquälen werden. So etwas bezeichnet Alan Posener als Schnulze (!). Fast schon eine Majestätsbeleidigung, wenn ein Beatles-Kenner wie Alan Posener so etwas schreibt.

Entweder hat er die Beatles nie richtig gehört (was ich selbstverständlich nicht annehme) oder er hat an der Venyl-LP damals das Stück manuell herausgeschnitten. Das natürlich auch nicht. Die LP wird bei ihm genauso im Schrank als Venyl stehen wie bei mir die Sgt Peppers. Er ist ja kein Verrückter. Also hat er sich heute in der Beurteilung vergriffen.

Natürlich hatte auch Sir George Martin seine ganz spezielle Meinung, was die Entstehungsgeschichte des White Album betraf (War er eifersüchtig?):

„I really didn't think that a lot of the songs were worth of release, and I told them so. I said ‘I don't want a double-album. I think you ought to cut out some of these, concentrate on the really good ones and have yourself a really super album. Let's whittle them down to 14 or 16 titles and concentrate on those.‘“*

Mag ja sein, dass George Martin Recht hatte mit dieser Einschätzung, aber eine gewisse Portion „Enttäuschter Liebhaber“ ist da nicht zu überhören.

Ich bin leidenschaftlicher Beatles-Fans seit den 1960er-Jahren (sonst würde ich jetzt hier nicht schreiben) und des White Album - übrigens auch eines Songs, den Alan Posener völlig ausgeblendet hat und der vielleicht einer der besten auf den zwei Scheiben ist - natürlich subjektiv gesehen, gebe ich zu: Little Piggies (auch hörenswert). Und der Text erst.

Natürlich komponiert von George Harrisson. Und kein Flower Power-Song.

UPDATE:

Alan Posener hat mir heute geschrieben und ist damit einverstanden, dass ich seine Antwort hier einstelle:

Lieber Kollege Dahlenburg,

Ich wollte einen Kommentar zu Ihrem Kommentar auf Ihrer Website veröffentlichen, scheiterte jedoch an der Anmeldung. Egal. Ich finde, Sie konstruieren Gegensätze, wo keine sind. Außer in der Einschätzung von "While My Guitar…" Ich bleibe dabei: Der Text ist kitschig (vergleichen Sie etwa "Within You, Without You"), der Song ist harmonisch einfallslos (wie etwa "Knockin' On Heaven's Door" von Dylan, und gerade deshalb versuchen sich alle angehenden Gitarristen daran), und das Solo eines Eric Clapton nicht würdig (DAS hätte George Harrison auch hinbekommen; vergleichen Sie etwa Claptons Arbeit auf "Fresh Cream" 1967). Wenn Sie meine Pop-Credentials in Frage stellen, verweise ich nur auf meine Bücher über John Lennon (1987) und Elvis Presley (1995) sowie auf meine Mitgliedschaft in den Bands

- The Bench Boys (1963 - 64)
- Lady Windermere's Fan (1966-69)
- Rough Enough (1982-83)
- Berlin Blues Band (1983-89 - Album: Backstage Blues)
- The Nuggets (1995-98)
- Blues & Loose (2000-01)

Mit freundlichen Grüßen

Alan Posener
Korrespondent für Politik und Gesellschaft
Welt am Sonntag
10888 Berlin

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Nachwort von Castollux:

Ich lasse das mal so stehen, weil ich Alan Posener sehr schätze. Den Rest haben wir privat ausgetauscht. Seine Antworten waren sehr sympathisch.

Manchmal ist es so, dass man das gleiche Ziel hat, aber aus verschiedenen Richtungen darauf zusteuert.

Alan und ich haben das gleiche Ziel, und mir hat es sehr viel Freude bereitet, mit einem Freund und Beatles-Kenner zu diskutieren.

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*George Martin zit. aus Lewisohn, 1988

Montag, November 24, 2008

Really Independent? Alibhai-Browns mediale Empörung

HonestReporting

Die Kolumnistin des Independent fragt scheinheilig: „Wo bleibt der Aufschrei der Medien wegen Gaza?"

Yasmin Alibhai-Brown, Kolumnistin des Independent in Großbritannien, ist regelmäßig Gesprächsthema bei HonestReporting und seinem britischen Büro - nicht zuletzt wegen ihrer Neigung, Israel als "rassistischen Apartheidstaat“ darzustellen.
In ihrer neuesten antiisraelischen Tirade wettert Alibhai-Brown gegen die Schließung der Grenzposten zu Gaza durch Israel:

Es ist eine Belagerung ohne Gnade - das Einsperren von Menschen in ein Gefängnis, wovon die meisten keinerlei Verbrechen bezichtigt werden außer dem, dass sie Palästinenser sind. Ich verteidige nicht die Militanten, die Israel angreifen; was sie tun ist eine übertriebene Provokation. Aber selbst das kann Israels Aktionen nicht entschuldigen; Weder die UN-Nahrungsmitteltransporte noch medizinische Verbrauchsgüter der EU dürfen die Grenzen passieren. Fischer werden niedergeschossen und Stromabschaltungen bewirken, dass die Betriebe geschlossen bleiben.

Richtigstellung:

* Im Gegensatz zu Alibhai-Browns Vorwürfen wurden Lebensmitteltransporte und medizinische Verbrauchsgüter nach Gaza hineingelassen und die Grenzkontrollpunkte wurden nur geschlossen, als permanenter Raketenbeschuss durch die Palästinenser erfolgte. Hier kann man im Detail nachlesen, wie Waren- und Nahrungsmitteltransporte sowie medizinische Evakuierungen seit der Machtübernahme der Hamas über die Grenzübergänge erfolgten.


* Erst heute wieder (24. November), sind die Grenzübergänge zu Gaza für Transporte aufs Neue geöffnet worden.
Im Gegensatz zu Alibhai-Browns Vorwurf, Israel habe die Stromzufuhr abgeschaltet, hat selbst die PA die Hamas beschuldigt, die letzten Stromausfälle im Gazastreifen initiiert zu haben - in dem Versuch, die palästinensische Bevölkerung gegen Israel und die PA aufzuhetzen.

Der Vorwurf, Israel „schieße palästinensische Fischer zusammen“, ist sehr schwerwiegend, ohne Grundlage und geht noch über frühere unbegründete Anschuldigungen hinaus, die gegen die israelische Marine erhoben wurden.
Trotz der Tatsache, dass HonestReporting etliche Kolumnen Berichterstattung der Medien über die Situation in Gaza beobachtet hat, vergleicht Alibhai-Brown die Zustände auf schändliche Weise mit der sehr realen Krise in Mugabes Zimbabwe und fordert:

Wo ist der Aufschrei in den Medien? Ich habe in den Zeitungen nachgesehen, aber es wird nichts gebracht. Israel kommt mit allem durch. So gering sind die Erwartungen in diese Demokratie, dass nicht einmal ein durch den Staat herbei geführtes Desaster Nachrichten wert ist.

Alibhai-Brown fährt dann fort, das Recht britisch-jüdischer Institutionen anzugreifen, Israel zu verteidigen und zu unterstützen, und beschreibt dies als „Propaganda, das nicht zu Rechtfertigende zu rechtfertigen“. Sie kritisiert sogar die Jewish Chronicle, diese würde jetzt unter dem neuen Chefredakteur Stephen Pollard einen „Hardliner“-Kurs fahren, obwohl Pollard den Job erst heute angetreten hat! (24. November)


Pro-israelische und jüdische Organisationen, darunter auch HonestReporting, haben ebenso ein Recht auf Ausübung ihrer Aktivitäten wie jene Organisationen und Kolumnisten wie Yasmin Alibhai-Brown, die bei jeder Gelegenheit auf die Dämonisierung Israels zurückgreifen, wenn sie Israels Unterstützer beschuldigen, „die Debatte zu ersticken“.
Alibhai-Brown demonstriert treffend diese Dämonisierung in ihrem zusammenfassenden letzten Abschnitt, wo eine Anspielung auf den Nazi-Holocaust unmöglich zu überhören ist:

Das Böse geschieht, wenn die Welt nichts sagt und unternimmt. Wenn ein jüdischer Staat keine Verurteilung des Bösen, das er verübt, erwarten muss, zeigt das, dass aus der Geschichte nichts gelernt wird.
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Leserbriefe [In Englisch] bitte an letters@independent.co.uk