Samstag, März 31, 2012

Ralph Ehestädt und die Scharfrichter der 1968er-Generation: Versuch einer (selbstkritischen) Analyse unserer BRD-Verfasstheit

Zitat Ehestädt im Prozess gegen U-Bahn-Schläger, die einen Italiener in den Tod hetzten:


Ich weiß nicht, wann dieser in der Überschrift angesprochene und jetzt zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte Mensch (Abbildung rechts, Bildquelle hier) das Licht der Welt erblickt hat, aber dem Foto entsprechend dürfte er meiner Altersklasse angehören, also Mitte der 1950er-Jahre oder kurz danach geboren sein. Ich werde weiter unten auf ihn und seinen pathologisch intendierten Urteilsspruch im Fall der Berliner U-Bahn-Schläger (Mörder?) zu sprechen kommen. 

Die zwei von mir oben angesprochenen wie Klettverschlüsse ineinander übergreifenden Altersgruppen oder miteinander negativ aufgeladenen korrespondierenden Konflikt-Generationen zwischen 1950 und 1970 kannten eigentlich nur zwei Enkulturations- oder Sozialisations-Themata:

Geschichtsunterricht mit Kreide an der Schiefertafel wie in meiner Kindheit bis zur 5. Klasse, beginnend mit dem deutsch-französischen Krieg im 19. Jahrhundert, übergehend zum Schlieffenplan des ersten Weltkrieges und endend mit stolzer und verlogener Helden-Mythologisierung der 6. deutschen Armee bei Stalingrad (alle Schlachtformationen schön aufgezeichnet) - dann aber abruptes Ende des Geschichtsunterrichts und Eingliederung ehemaliger NS-Funktionäre ins deutsche Wirtschaftswunderland.

In der DDR hatte man weniger Glück, was die freie Ausübung des Geschichtsunterrichts betraf: Dort wurde den Schülern nach Kriegsende die marxistische Variante des Totalitarismus eingebläut, was Honecker & Co freie Fahrt gab, bis Anfang der 1980er-Jahre etliche Nazis in die Nationale Volksarmee und SED aufzunehmen. Zweck und Ziel der Feindpropaganda: Förderung des sich mehr und mehr abzeichnenden schleichend praktizierten Frontalunterrichts in Sachen Radikal-Pazifismus im Westen, der sich in den 1968er-Jahren zum Credo des westdeutschen Sozial- und Geschichtskundeunterrichts entwickelt hatte.

Wie wohl hatte ich mich gefühlt, als ich Anfang der 1980er-Jahre mein Abitur über den Zweiten Bildungsweg nachholte und von Lehrern immer nur eines hörte: „Die Konservativen hatten Schuld an allem“. Das tat gut und ging runter wie Öl, denn schließlich wollte man nicht zur politischen Paria-Kaste gehören. Und ja, „die DDR ist Spitze, weil sie sich auf Rang 10 der Industrienationen hochgearbeitet hätte“ (Originalton eines evangelischen Pfarrers und Uni-Dozenten, der 1983 eine Reise unseres Lehrstuhls in die DDR leitete). Nachdem ich schüchtern Einspruch erhob, dass diese Zahlen geschönt sein könnten, auch keine individuelle Freiheit existiere und der unsägliche Dreck, der in Halle (ich nannte es damals „Hölle“) selbst bei schönstem Sonnenschein vom Himmel regnete, nicht unbedingt ein Beleg für Fortschritt sein könne, wurde ich gemieden wie die Pest, denn: was nicht sein darf, kann auch nicht sein, auch wenn alle objektiv wahrnehmbaren Sinne dagegen sprachen.

Und dennoch war ich damals so benebelt, dass ich Jahre brauchte (bis zum Ende des Studiums), um diesen Schwachsinn als politische Indoktrination und [pseudo-pädagogischen] Versuch zu entlarven, mich unmündig und stromlinienförmig zu machen bzw. meine Studienwahl zu beeinflussen (ich blieb dennoch bei Theologie und Politikwissenschaften, aber innerlich anders intendiert). Franz Alts Bestseller „Frieden ist möglich“ war ein Muss für meine Lektüre. Gott sei Dank hatte ich später die Kurve gekratzt. Und heute kann ich nur noch den Kopf schütteln über meine Naivität damals. Doch dazu später in einem andern Beitrag, falls erwünscht.

Michael Miersch, der bei Achgut schreibt (interessanterweise auch mein Jahrgang) ging es in seiner journalistischen Laufbahn ähnlich wie mir, und er hat das in einem grandiosen und epochalen Beitrag abgefasst, wie man ihn auch zukünftig nicht besser formulieren kann: „Ja, bin ich denn rechts?“ 

Wer auf meinen privaten Kommentarblog Castollux klickt, wird dort sehen, dass ich unter der Rubrik „Über mich“ diesen Text als mein Leitmotiv gewählt habe. So wird es auch bleiben - seit Jahren schon.

Fazit:

Wage ich mich jetzt zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass einer wie Richter Ralph Ehestädt, der in seiner Urteilsbegründung formulierte, dass ein von zwei tumben und [aus freiem Willen] vollgedröhnten Schwerverbrechern zu Tode gehetzter Italiener nicht das Prinzip der pazifistischen Entschleunigung befolgt habe, eigentlich ein gnadenloser Opportunitäts-Faschist im moralischen Sinne ist?

Nein, ich wage mich hier nicht zu weit aus dem Fenster, und je mehr Widerspruch ich ernten würde, desto mehr wäre ich mir gewiss, dass ich richtig liege:

Menschen wie Ehestädt sind gnadenlose Opportunitäts-Faschisten im moralischen Sinne und Ergebnisse einer selbstvergessenen 1968er-Generation. Sie sind Kinder einer grenzenlosen Spaßveranstaltung ohne die Gegenseite der Medaille - einer selbstverantworteten Freiheit, die im Zuwiderhandeln auch begründete Strafe kennt, wie es Joachim Gauck so erfrischend formuliert.

Die geistigen Väter eines Ralph Ehestädt hatten an ihre sozialistisch-muffigen Fahnen geheftet, dass alles, was nach 1945 konservativ oder liberal sozialisiert oder erzogen worden war, einem marxistischen Gleichschaltungsprozess unterworfen werden müsse:

Dazu dienten und dienen heute bei "Die Linke" Begriffe wie der schwammige Terminus Gleichheit (in der gesellschaftlich genormten Anlage ebenso wie in der angestrebten Quoten- und Geschlechterregelung; an sich schon faschistoid in der Diktion, wenn man den Gedanken konsequent durchzieht), [jüdisches] raffendes Finanzkapital (Lafontaine!), Elternbevormundung (Kindertagesstätten als sozialistische und generationsübergreifende ideologische Basisstation, die den Müttern die Fähigkeit zur Elternliebe und verantwortungsvollen Umgang mit Geld abspricht), Besteuerung des Eigenkapitals ohne Rücksicht auf Betriebskapital und dessen Reinvestitionskapazitäten besonders beim Mittelstand, (aktive) Sterbehilfe, Präimplantationsdiagnostik, Resozialisierung von Straffälligen (die ich prinzipiell nicht ablehne, aber auf die Gewichtung kommt es an) vor Opferhilfe und vieles mehr. Ich frage mich, warum der Weiße Ring bis heute noch ein mediales Schattendasein fristet und Täterhilfen weiterhin wie Pilze aus dem Boden spießen.

Ralph Ehestädts Ethik scheint - so lässt sein Gerichtsurteil jedenfalls vermuten - in diesem Nirwana der moralischen Orientierungslosigkeit immer mehr an Zustimmung zu gewinnen.

Man beachte nur die scheinbar läppischen Erfolge der Piraten, zu denen sich Dieter Nuhr treffend geäußert hat. 

ACTA sunt ad Acta 

Oder anders formuliert:  Die Ralph Ehestädts dieser Republik braucht man nicht mehr zu kaufen, die gibt’s umsonst - an jedem Strafgericht. Sie werden entern.

Schockierendes Update zum Prozess:

In der Online-Ausgebe der Taz stieß ich auf einen Leserbrief, der darauf hinweist, dass das Mordopfer (ja, man muss eigentlich von Mordopfer sprechen!) einen Davidstern getragen hatte und mit Israel sympathisierte:



Leserbrief von Rahel:

30.03.2012 11:49 Uhr
von Rahel:

Eine Bewährungstrafe für Täter, die sich eben nicht bewährt haben, da wiederholt kriminell, ist empörend, die Urteilsbegründung ein Beleidigung des Opfer, daß eben nicht Gewalt mit Gewalt beantworten wollte.

Hinzu kommt, daß Giuseppe M. einen Davidstern um seinen Hals trug, was einen antisemitischen Hintergrund vermuten läßt.

Ich bezweifle, daß das Urteil so mild ausgefallen wäre, hieße der Täter Torben P.
 

http://www.jg-berlin.org/beitraege/details/auf-der-flucht-vor-gewalttaetern-verunglueckt-i464d-2011-09-19.html