Das hätten sich die Schöpfer des Godesberger Grundsatzprogramms (Erich Ollenhauer, Herbert Wehner, Alfred Nau, Fritz Erler, Carlo Schmid, Erwin Schoettle und Willy Eichler; v.l.n.r.; Bild mit freundl. Genehmigung: AP Archiv) für eine runderneuerte Tante SPD, das vom 13. bis 15. November 1959 in Bad Godesberg diskutiert und mit 324 gegen 16 Stimmen verabschiedet wurde, nicht träumen lassen: 48 Jahre später tritt ein allenfalls durchschnittlicher (oder vielleicht doch unterschätzter?) Parteivorsitzender der zweiten Generation nach dem Urgestein der SPD vor's Mikrofon, schmettert sein Credo vom aufgewärmten „Demokratischen Sozialismus“ in den Saal und die Öffentlichkeit reibt sich darob verwundert, zornig oder belustigt die Augen. Vielen wird wohl heute noch der Mund offen stehen. Auch vielen in der SPD? Vorerst wohl noch nicht. Da regiert im Moment wohl die kollektive Illusion.
Lange ließ die erste Antwort nicht auf sich warten. Die promovierte Physikerin Angela Merkel bemühte ihre Logik, die so abstrus für einen vernünftigen Menschen - und sie ist einer - nicht ist: „Wir brauchen keine Rückbesinnung auf den Sozialismus wie die Sozialdemokraten. Vom Sozialismus haben wir genug gehabt mit der DDR." Danach begibt sie sich in metaphysische Sphären, die einer Pfarrerstochter auch nicht so ganz fremd sind und kombiniert, dass „ich mir darüber intensiv Gedanken gemacht habe und zu dem Schluss gekommen bin, dass das Begriffspaar „Demokratischer Sozialismus“ ein Konstrukt ist, das nicht zusammenpasst, denn final, Demokratie impliziert Freiheit, Sozialismus jedoch Bevormundung“.
Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Da beißt die Maus keinen Faden ab, und die Schöpfer des Godesberger Programms hätten heute wohl mehr Berührungsängste mit einer SPD, die dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit entgegentaumelt, als mit der Pragmatikerin aus dem Osten, die sehr wohl weiß, wie „beglückend“ der Sozialismus ist. Vieles von dem, was die „Godesberger“ 1959 durchgesetzt hatten, steht in der SPD seit gestern wieder zur Disposition: Das Verhältnis zur sozialen Marktwirtschaft (Z.B. Vorzugs-Volksaktien bei einer Privatisierung der Deutschen Bahn; oh je), das Verhältnis zur Bundeswehr, zur NATO und zu den Aufgaben, die im Verbund mit derselben wahrzunehmen sind (schrittweises Sich-aus-der-Verantwortung-stehlen), blinde Fortschreibung einer devoten Haltung gegenüber dem politisch-radikalen Islam, eine, dann offen und noch hässlicher zutage tretende Entsolidarisierung mit Israel und eine Familienpolitik, die diesen Namen nie und nimmer verdient, weil die Kinder von klein auf nicht mehr zuhause aufwachsen sollten, ginge es nach den Sozialdemokraten - von den Dunkelroten und Grünen ganz zu schweigen.
Nun könnte man die Argumente aneinanderreihen und würde bis morgen nicht fertig werden, aber eins muss noch aufs Tableau: Die Wiederentdeckung des Marxismus als theoretischem Überbau und x-te Alternative, 1959 feierlich zu Grabe getragen und vom Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft (endlich) abgelöst, feiert nun fröhliche Urständ, auch wenn sich der „Bundestagsvizepräsident auf Lebenszeit“ Wolfgang Thierse mit seinem "Die Äußerungen von Frau Merkel sind entweder dumm oder böswillig - oder vielleicht beides“ und hinterher dozierend „das, was die Kommunisten für Sozialismus gehalten haben, mit dem zu verwechseln, was Sozialdemokraten meinen, wenn sie von freiheitlichem, demokratischem Sozialismus reden" ächzend für seinen Chef Kurt Beck in die Bresche warf, um den einen Tag vorher gespielten Wutanfall des Pfälzers vergessen zu lassen. Denn auch er hatte gegen Angela Merkel kräftig vom Leder gezogen - nicht ohne vorher „klarzustellen“, dass die im Osten geborene Kanzlerin bei der Interpretation des berüchtigten Begriffspaares eine Lehrstunde verdient hätte, weil es bei der Wiederbelebung dieses angestaubten Begriffes „nicht um eine geschichtliche Reminiszenz“ ginge, sondern um eine völlige Neufassung. Ist nicht so leicht nachzuvollziehen, denn nach FDP-Generalsekretär Dirk Niebel ist der „Demokratischer Sozialismus wie die unbefleckte Empfängnis. Man kann daran glauben, aber man wird es nicht erleben“.
Dass die SPD - trotz gegenteiliger Beteuerungen - auf dem Weg zur Die Linke ist und nicht umgekehrt, dürfte sich spätestens am Wochenende in Hamburg herumgesprochen haben, denn Anpassungsschwierigkeiten haben die Genossen aus dem Osten beileibe nicht mehr. Zudem sollte der Machttrieb des blassen Schwergewichts aus der Pfalz nicht unterschätzt werden. Dann kommt endlich zusammen, was im Verbund mit den Grünen einen neuen Anlauf unternehmen wird - nämlich diese Republik gegen die Wand zu fahren.
Vieles spricht dafür, dass Rot-Rot-Grün von nun an aufs Tempo drückt und einen Regierungswechsel - der den Umfragen zufolge rein rechnerisch jetzt möglich wäre - schon im Herbst 2008 anstrebt. Dennoch werden noch ein paar Pfeile im Köcher belassen. „Nicht alles verschießen“ gilt daher auch für das konservative Lager, das nun endlich einen Profilwahlkampf führen kann. Natürlich sollte man Kurt Beck nicht unterschätzen, aber schon jetzt tritt er so polternd auf, dass die besonnene und kluge Pragmatikerin Angela Merkel, wenn sie ihre Linie durchzieht, den Mann wohl wieder dahin schicken wird, wo er hingehört - nach Mainz. Die harte Oppositionsbank im Bundestag ist nichts für den "Weltpolitiker" und "Taliban-Versteher". Büttenreden liegen ihm besser.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen