Freitag, Januar 11, 2008

Risse im Schweigekartell


Türkische Behörden im Erklärungsnotstand?

Wenn einer eine Reise unternimmt, dann kann er was erzählen - oder vor Antritt beweisen, dass er von der innenpolitischen Lage in der Türkei nichts, aber auch gar nichts versteht. Manche mögen den schweren Lapsus des US-Präsidenten vor seiner Reise in den Nahen Osten und die Golfregion als Ausrutscher bezeichnen, aber so ganz einfach zur Tagesordnung überzugehen nach Sätzen wie "die Türkei" sei ein „fantastisches Beispiel für Nationen in aller Welt, dass es möglich ist, eine Demokratie zu haben, die zusammen mit einer großen Religion wie dem Islam existiert“ ist auch nicht geboten.

George W. Bush muss nicht unbedingt wissen, dass im Ideologiesystem Islam Religion, politischer und juristischer Machtanspruch als Einheit angestrebt und in einigen Fällen, besonders in der wahabitischen Variante der Saudis und der Klerikaldikatur der iranischen Mullahs, schon größtenteils verwirklicht sind. All das muss er nicht auswendig lernen, aber - verflixt noch mal - sein Foreign Office bzw. die Dienste sollten wissen, dass die Türkei keine erkennbaren Anstalten macht, sich Europa anzunähern. Das genaue Gegenteil ist der Fall. NATO hin, NATO her; wer ist denn hier auf wen angewiesen - die Türkei auf die Investitionen Europas und der USA samt Militärbasen oder die NATO/USA auf die Türkei? Der letzte Irakkrieg hat gezeigt, dass die USA auch ohne die Basen in der Türkei auskommen, abgesehen davon, dass der "Bündnispartner" Anzeichen von Unzuverlässigkeit nicht ausräumen kann. Muss das Axiom, die Türkei gehöre zur NATO, automatisch dazu führen, dass das Interesse der USA zur Menschenrechtslage in der Türkei von je her gegen Null tendiert? Ich meine nein.

Der eloquente Staatspräsident Abdullah Gül (Bild oben rechts, vor einer Abbildung von Kemal Atatürk) kann nicht verschleiern, dass die Türkei sich nicht auf Europa zu-, sondern immer deutlicher davon wegbewegt. Er gehört der Partei AKP an, die sich zum Ziel gesetzt hat, mittelfristig die säkularen Kräfte zugunsten einer islamisch dominierten Republik zurückzudrängen, auch wenn das nicht aus allen öffentlichen Verlautbarungen herauszuhören ist. Und der Anflug von Arroganz und Hartleibigkeit, mit dem Regierungschef Erdogan, Weggefährte Güls seit islamistischen Studentenzeiten, von Beginn seiner Regierungszeit an dem „Christenclub“ Europa gegenüber auftritt, weckt nicht gerade euphorische Stimmungen im Westen, was das Entgegenkommen der Türkei für weitere Beitrittsverhandlungen mit der EU betrifft.

Zudem kommt auch die Laxheit, mit der die türkischen Behörden nach den Morden an Christen in der Türkei hier und dort ermitteln, eigentlich nicht allzu überraschend - auch die ausbleibende Empathie bei der Bestattung der Opfer -; keine Kondolenz der Regierungsvertreter. Schutz für mögliche zukünftige Opfer? Fehlanzeige. Erdogan dürfte seine Seele wohl ganz weit geöffnet haben, als er nach der Festnahme des mutmaßlichen Mörders eines katholischen Priesters seine Worte so wählte, dass sie an Unmissverständlichkeit kaum Zweifel aufkommen ließen, wenn man genau hinhörte: "Einen Priester zu ermorden, und das auch noch an einer Gebetsstätte, ist inakzeptabel, und ich verurteile es vorbehaltlos".

„Inakzeptabel“ und „vorbehaltlos“. Diese Terminologie ist für mich nicht nachvollziehbar, ebenso inakzeptabel und an Hohn kaum zu übertreffen. Klingt wie „Fehler“ oder so ähnlich. Wir kennen das aus der politischen Alltagsverbalakrobatik. Vergessen Sie jetzt einfach, wo Sie politisch stehen und jemand sagt Ihnen, dass ein Mord (an Freunden z.B.) „inakzeptabel“ ist. Steht in diesem Fall der Begriff nicht für peinlichen Euphemismus und Verächtlichmachung des Opfers?

Doch zurück zur Gegenwart: Wie HMK in seiner jüngsten Printausgabe berichtet, hatten die mutmaßlichen jugendlichen Mörder dreier Christen in Malatya vor der Tat offenbar intensiven Kontakt zu hochrangigen Mitarbeitern der türkischen Sicherheits- und Justizbehörden. Wie es weiter heißt, ergab „die Auswertung der Telefonkontakte, dass diese [Die mutmaßlichen Täter; Castollux] in den Wochen vor der Tat unter anderem vom Hauptquartier der polizeilichen Spezialeinheiten in Ankara angerufen wurden. Sowohl mit einem Soldaten in Malatya als auch mit einem Parlamentskandidaten telefonierten die Tatverdächtigen wiederholt.“

Grund für intensivere Nachforschung der türkischen Justizbehörden oder beredtes Schweigen? Dass auch Einiges für eine rege Involvierung der Justiz spricht, belegen die „Kurzmitteilungen, die mit einem Staatsanwalt per Mobiltelefon gewechselt wurden“, wobei die mutmaßlichen Täter und Beteiligten ihre Telefongeräte immer wieder gegen andere eintauschten „und dabei in den 6 Monaten vor den Morden 105 Telefonnummern“ registriert wurden.

Die Staatsanwaltschaft scheint bei ihren Ermittlungen auch nicht mit „übertriebenem“ Ehrgeiz bei der Sache gewesen zu sein, wie die Hinterbliebenen der Opfer zu ihrem Leidwesen schon seit längerer Zeit feststellen müssen. Verschleppung des Verfahrens, Geheimniskrämerei und Rückhaltung von Beweismitteln oder beweisrelevantem Material stand und steht bis jetzt auf der Tagesordnung - nicht nur in diesem Mordfall. So sei die Anklagebehörde „einem anonymen Brief nicht weiter nachgegangen, wonach die Täter von einem Armeeoffizier und einem islamischen Theologie-Dozenten in Malatya angestiftet worden seien.“

Die protestantischen Gemeinden der Türkei befürchten Spurenverwischung und, dass die „mögliche Verwicklung des ultra-nationalistischen Milieus im Prozess ausgeklammert werden könnte“, so besorgte Stimmen. Sind diese Sorgen nicht mehr als berechtigt? In einer Türkei unter Erdogan und Gül haben christliche Kläger in diesem Mordfall kaum Chancen auf Gerechtigkeit - so scheint es zumindest bis jetzt. Die türkischen Behörden können jetzt beweisen, ob sie bei der Aufklärung von Morden an Christen gewissenhaft vorgehen, auch wenn hohe Stellen involviert gewesen sein sollten. Aber sie können keinen Bonus Malus für ihre sophisticated Policy beanspruchen.

Hattip: HMK

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