Samstag, April 10, 2010

Bibelstunde, 20 israelische Siedlerkinder und Brüder im Geiste

Innerhalb der letzten 14 Tage hatte ich gleich zwei Aha-Erlebnisse, was den Umgang mit Kolleginnen betraf:

Vorletzten Freitag hielt eine Pfarrerin eine, wie ich immer noch meine, vortreffliche Bibelstunde in der Einrichtung, in der ich arbeite. Gut, okay. Sensibel gehalten, fachkundig interpretiert, sehr nah am Menschen und gut gebetet.

Wie ich aber aus leidvoller Erfahrung weiß, sind Bibelkenntnisse, Exegese, Hermeneutik, Homiletik und seelsorgerisches Einfühlungsvermögen, so sehr diese Fähigkeiten auch zu würdigen sind, nicht immer ein Beleg dafür, dass man sich in Nahostfragen auskennt bzw. bereit ist, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Und so kam's dann.

Als wir die Bibelstunde nachträglich kurz ansprachen, kam ich auch auf das Thema Nahost-Konflikt (vorlaut wie ich eben bin). Und was sagte die verehrte Kollegin, als wir auf dem Weg zum Paternoster waren (In diesem Fall heißt das „Lift/Aufzug“ [Scherz muss sein, weil sich das Wortspiel anbietet]).

Nicht wortwörtlich, aber richtig wiedergegeben:
„Die israelischen Siedler setzen pro Familie 20 Kinder in die Welt und verdrängen so die Palästinenser“.
Nicht sehr schön, oder? Dachte sie vielleicht, ich würde ihr insgeheim zustimmen?

Da sie sich auf dem Weg zu einem Krankenbett befand, um Trost zu spenden, kannte der Paternoster keine Gnade, hielt bald an der entsprechenden Station und meine Sekunden für die Replik schwanden gnadenlos gegen Null.

Sie können sich möglicherweise lebhaft vorstellen, dass mir in meiner Aufgeregtheit kaum Zeit blieb, ruhiges Kontra zu geben. Ich brachte noch „Bedenken Sie mal den demografischen Faktor in der Palästinensischen Autonomiebehörde und im Gazastreifen“ heraus und „wie kommen Sie auf diese Zahlen?“, bevor Sie mir abschließend entgegnete, dass „man sowieso als Antisemit abgestempelt ist“, wenn man die israelische Siedlungspolitik anspreche. Ich wollte noch etwas draufsetzen, dann war sie schon weg.

Ich gönne es den Kranken, wenn man sich um sie kümmert - mit Leib und Seele dabei ist; und das meine ich nicht hämisch sondern wirklich ehrlich, auch wenn Unwissenheit und Ignoranz selbst unter evangelischen Pastorinnen verbreitet sind. Hier in A. konnte ich diesbezüglich genügend Erfahrungen sammeln, auch bei Theologen-Kollegen übrigens, die mich hinter dem Rücken als "hysterischen Philosemiten" abstempelten. Und oft reicht schon die Lektüre von Gemeindebriefen, um festzustellen, wie jemand tickt.

Ja, das war's dann vorerst. Vorgestern wurde ich von der Kollegin nett und unverbindlich zur Kenntnis genommen. Vielleicht ergibt sich ja bald einmal eine weitere Gelegenheit, bei der wir uns etwas ausführlicher unterhalten können. Ich hoffe es zumindest.

Letzten Dienstag das zweite Aha-Erlebnis:

Eine längere Andacht für alle Mitarbeiter zum Ausklang des Osterfestes.

Eigentlich ganz schön und besinnlich, doch wieder hatte Castollux etwas auszusetzen, weil ich während der Predigt nicht einschlafe wie viele Zeitgenossen, sondern immer die Lauscher aufstelle, auch wenn’s noch so grausam langweilig sein sollte wie bei manchen Kollegen, die Predigten mit Sitzungen auf der Psychologencouch verwechseln, die vom unsäglich weichspülerischen Eugen Drewermann („Jesus, der Psychiater“) drapiert sein könnte. Sie kennen das vielleicht: Begriffe wie Entfremdung von Gott, Sünde, Erlösung, Vergebung, Schuld, Heilung durch Jesus Christus, also Gott, werden sozialpädagogisch verniedlicht und in den Bereich menschlicher Verfügung und Machbarkeit gestellt. Ist das biblisch-theologisch?

NEIN!

Eine Oberin (Katholikin; Krankenhaus und Altersheim werden seelsorgerisch bi-konfessional betreut; eine Diakonissin führt, da evangelisch; die geistliche Leitung hat ein Rektor [Evang. Theologe]) hielt eine - wie ich meine - recht ansprechende und sympathische Kurzpredigt. Und die oben angesprochene Kollegin saß vor mir in der Kirchenbank.

Doch dann kam der entscheidende Satz, der mich wieder sehr ärgerte (sinngemäß und korrekt):
„Nicht zufällig fällt unser Ostern dieses Jahr zusammen mit dem Osterfest der Orthodoxen“
Ich hatte noch die Auseinandersetzung mit meiner Kollegin vor ein paar Tagen im Ohr und hörte jetzt dieses oberflächliche Statement. Nichts gegen die Orthodoxen, aber nachdem die Andacht beendet war, drängte es mich zur Oberin, die im Mittelgang zur Heimsuchung drängte (wieder so ein unverschämtes Wortspiel meinerseits), und ich sprach sie an: „Grüß Gott, entschuldigen Sie bitte, aber Sie haben eine Glaubensgemeinschaft vergessen, die auch zur gleichen Zeit gefeiert hat; unsere älteren jüdischen Geschwister mit dem Pessach!“

Sie: „Was?“

Und: „Wer sind Sie?“

Den Fortgang des Gespräches brauche ich wohl nicht weiter zu erläutern. Frau Oberin hatte es eilig. Sie hatte schlicht keine Ahnung und sich demzufolge damit überhaupt nicht beschäftigt.

Wieder ein Grund mehr, mich in meiner Annahme bestätigt zu fühlen, dass, wie in der Ansprache ausgelassen und zusätzlich auf den Nahen Osten und unsere bisherigen Erfahrungen bezogen, viele Kirchenchristen kritiklos Partei für die (christlich-arabischen) Palästinenser und vor allen Dingen für die eigene Reputation ergreifen bzw. für das, was sie dafür halten.

Stillschweigendes Übereinkommen?

Ist es ein Zufall, dass viele Katholiken mit Palästinensern symapthisieren, weil manche hochrangige Verterter der lateinischen Kirche seit Jahrzehnten in Nahost mit Terroristen kollaborieren?

Und wieder ein Grund mehr meiner Ansicht nach, dass es richtig ist, die Zusammenarbeit zwischen Christen beider Volkskirchen und Palästinensern im Heiligen Land und hierzulande einer äußerst genauen Überprüfung zu unterziehen. Ich habe das angekündigt, und es wird auch so passieren. Manche Leute werden mich im Frühjahr 2011, wenn ich dazu mein zweites Buch veröffentliche, zum christlich-palästinensischen Scheitan wünschen. Sei’s drum.

Mir egal. Der Gott der Bibel spricht eine andere Sprache.

Viele (Volks-) Christen haben noch immer nicht begriffen, dass ihr Stammbaum in der Synagoge begann und sie fleißig dabei sind, ihn seit gut 2000 Jahren zu entwurzeln. Um dies endlich klar zu machen, ist (auch theologische) Aufklärung nötig, die die volkskirchliche Selbstgerechtigkeit und Blindheit aufbricht. Wenn ich meinen Kollegen eröffne, dass mein christlicher Glaube ohne die Beziehung zu meinen jüdischen Geschwistern undenkbar ist, ernte ich meistens offene Münder und ungläubiges Staunen.

Ja, tatsächlich....

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