Montag, Dezember 03, 2007

Putins lupenreine 99,3 % Demokratur


Als ich heute zu den russischen Parlamentswahlen googelte, überraschten mich weniger die mehr als 64% Stimmenanteile für Putins Partei "Einiges Russland" als die 99,21% Zustimmung in der sowjetischen - Entschuldigung - russischen Teilrepublik Tschetschenien bei astronomischen 99,3% Wahlbeteiligung.

Vielleicht hat Gazprom-Schröder in den letzten Stunden des Öfteren ungläubig auf die Zahlen gesehen und sich gefragt, wie in einer lupenreinen Demokratie solche Zahlen zustande kommen. Internationaler Protest ob der schrillen Begleittöne, die der Wahl vorausgingen, ficht aber den tschetschenischen Vasall von Putins Gnaden, Präsident Ramsan Kadyrow, nicht an, denn
"nach zahlreichen Treffen und Gesprächen mit den Menschen, die in den Wahllokalen waren, kann ich den Schluss ziehen, dass von den Wahlkommissionen alles getan wurde, um die Kampagne erfolgreich zu führen." Welche "Kampagne" er dabei genau meinte, bleibt offen, kann man sich aber lebhaft vorstellen - ebenso wie in der Nachbar-Republik Inguschetien, die auch mit einem stalinistisch anmutenden Rekordwert von 98% Wahlbeteiligung aufwarten konnte. Was in beiden Republiken verschwiegen wurde: Aus Sicherheitsgründen war kein einziger internationaler Wahlbeobachter eingereist. Im nordkaukasischen Kabardino-Balkarien stimmten 94,1 Prozent ab.

Geben die oben aufgeführten Horrorzahlen Aufschluss darüber, was in der russischen Kernrepublik an Ergebnissen zu erwarten gewesen wäre, wenn nicht die vergleichsweise wenigen unabhängigen Wahlbeobachter durch ihre Präsenz dafür gesorgt hätten, dass man sich vermutlich etwas mehr zurückhielt, was Manipulationsversuche betrifft? Vielleicht - ja; ein wenig. Wenn Gisbert Mrozek in seinem Kommentar aber schelmisch die neue euphemisierende Phrase von der "souveränen Demokratie" in der Grundordnung eines Russland nach Putins Fasson einbringt, dann spricht es den Berichterstattungen und Beurteilungen aller unabhängigen Beobachter Hohn, denn die haben alles andere als eine faire Wahl registriert.

Von "Manipulationstechniken nach sowjetischem Muster" ist da die Rede, von Stimmenkauf oder Nötigung zum Urnengang. Eigentlich keine Kinkerlitzchen für eine lupenreine Demokratie, wenn man zudem in Betracht zieht, was im Vorfeld an Einschüchterung, Verhaftung und Denunzierung ablief. Und wenn Soldaten sich in Reih und Glied aufstellen müssen, um vorgesetzten Offizieren ihre Wahlzettel auszuhändigen, in vielen Bezirken schlicht keine Wahlkabinen bereitgestellt wurden, die eine geheime Wahl garantieren könnten, dann versteht man Kommentatoren wie Gisbert Mrozek erst recht nicht mehr, die zynisch das Wahlergebnis als "Chance" verkaufen und sich über die 3% der versammelten liberalen Opposition lustig machen, die in ein Taxi passen.

Der "Nationale Führer", so die Bezeichnung Putins durch eine Bewegung, die sich "Sa Putina" (Für Putin) nennt, hat diese Wahl inoffiziell stets als Abstimmung über seine Person gesehen. Das heißt, dass Putin mit seiner kaukasischen Kamarilla nach Ende seiner zweiten Amtszeit im März 2008 so (als Staatspräsident nach Verfassungsänderung) oder so (als Ministerpräsident mit größeren Vollmachten als der Staatspräsident) weiterregieren könnte. „Könnte“, wie gesagt.

Aber welche Auswirkungen wird diese Wahl auf das Land und die Bevölkerung haben?

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es noch mehr auf die Stärkung der Partei "Einiges Russland" hinauslaufen, die Defizite in den demokratischen Strukturen zementieren und die außenpolitischen Geltungsansprüche Russlands als Großmacht vorantreiben. Zumindest vorübergehend werden diese Faktoren aber Russland wirtschaftlich und (innen-) politisch festigen, weil - und das macht das ganze Treiben so unüberschaubar- die Russen in der überwiegenden Zahl (zumindest vorerst) diesen Kurs wünschen. Das riesige Land kennt keine demokratische Tradition und hat noch immer unter den Nachwehen des Kommunismus bzw. der Vetternwirtschaft der Jelzin-Ära zu leiden. Zudem existieren keine festen demokratischen Parteistrukturen, die eine gewisse Kontinuität versprechen.

Putins Macht scheint nach diesen Wahlen größer geworden zu sein. Doch kann der erste Blick trügen. Nach der nächsten Wahl zum Staatspräsidenten im März wird man klarer sehen. Wenn (der blasse) Ministerpräsident Viktor Zubkow, der erste stellvertretende Ministerpräsident Dimitry Medwedev und Dumapräsident Boris Gryslow, der auch Vorsitzender der Partei "Einiges Russland" ist, in den Ring steigen, wird eine alte Tradition aufleben: Wer erst einmal Staatspräsident ist, wird sich so schnell nicht aus der ersten Reihe verdrängen lassen. Das wird auch Putin feststellen müssen. Russland wird vorerst die aggressive Politik fortschreiben, die Putin abgesteckt hat. Ob er dann allerdings noch gefragt ist, steht auf einem anderen Blatt.

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