Sonntag, Februar 03, 2008

Ein guter Zeitpunkt


…für saubere Argumentation

Sulaiman Wilms schreibt in seinem Kommentar in der Islamischen Zeitung (iz) vom 30.01.08, dass „die Frage nach den muslimischen Jugendlichen ein Indikator für die Spiritualität der Muslime in Deutschland“ sei, was auch immer darunter zu verstehen ist.

Schon das Eingangsstatement machte mich stutzig. Welche Spiritualität meint der Konvertit Sulaiman Wilms, bei dem man wohl annehmen darf, dass er wie viele zum Islam übergetretene Westeuropäer einen religiösen Eifer an den Tag legt, der selbst bei geborenen Muslimen Kopfschütteln hervorruft? Und das will was heißen, nicht wahr?

„Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt“, so titelt Wilms, um sogleich die Argumentationsrichtung vorzugeben, die einem Muster folgt, das (leider wieder einmal) generalisierend die Opferrolle für sich, respektive die islamische Welt und die Community in Deutschland schlechthin reklamiert. Oder wie soll man es sonst verstehen, wenn Wilms in seinem Eingangsstatement von einem „Angriff aus dem Äußeren“ spricht? Leider lässt uns Herr Wilms auch mit der Beantwortung der Frage allein, wie die „Konzentrierung auf das Innere“ auszusehen hat. Meint er spezifische Frömmigkeits- oder Meditationsformen oder eine orthodoxe Auslegung des Koran und seine damit meistens verbundene simple Rezitation und die gesellschaftspolitischen Konsequenzen und Probleme, die oft daraus entstehen?

Sulaiman Wilms hat - wie hin und wieder jeder von uns - die „Umstände als Ungleichgewicht zwischen Innen und Außen, zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt“ für sich in Anspruch genommen. Aber in welcher Hinsicht? Er beklagt, dass „seit Ende Dezember Migranten, und insbesondere die Muslime unter ihnen, mit dem Vorwurf konfrontiert“ seien, dass „ihre junge Generation per se eine Bedrohung für unser Gemeinwesen darstelle“. Zweifellos hat Sulaiman Wilms Recht, wenn er indirekt reklamiert, dass dieser Vorwurf im Allgemeinen und bei genauerem Hinsehen so nicht aufrecht zu erhalten ist (und "per se" schon gar nicht), und wenn er sich (nehmen wir das einmal an) für Migranten stark macht, dann ist daran überhaupt nichts auszusetzen - im Gegenteil. Doch muss man ihm entschieden widersprechen, wenn er quasi sämtliche Formen der Islamkritik in der Begrifflichkeit des „orientierungslosen Neokonservatismus' Deutschlands“ bündelt und sie als „Plattformen“ zu beschreiben versucht, die, so seine simple Milchmädchenrechnung, „aus einem allgemeinen gesellschaftlichen Problem“ ihre seiner Ansicht nach zweifelhafte Legitimation zu beziehen scheinen.

Was Wilms hier betreibt könnte man beim ersten „Drüberlesen“ schnell übersehen: Er wirft sämtliche Islamkritiker unterschiedlichster politischer Couleur in einen Topf, rührt etwas darin herum und präsentiert als Ergebnis: „Seht her, alle Islamkritiker sind“ - weil Gegner des Islam - „Feinde aller muslimischen Menschen und der Migranten im Allgemeinen.“ Er bedient sich dabei exakt der gleichen Masche wie seine Gegner im Lager rechtsaußen, die unter Islam „Muslime = schlechte Menschen und Migranten alle raus“ subsumieren. Vereinfachende Formulierungen allerorts.

Die Spitze setzt Wilms aber dann drauf, wenn er vom Islam als „imaginiertem Feind“ spricht. Eigentlich ein billiger Kunstgriff, aber auch hier könnte man beim Lesen ins Stolpern geraten: Die suggestiv in Szene gesetzte Formulierung soll den Eindruck erwecken, dass sämtliche Kritik am (politischen) Islam als Ergebnis eines gestörten Verhältnisses zu einer doch „durch und durch guten Religion“ zu werten ist und die Kritiker sich bitte fragen sollten, ob sie sich nicht Halluzinationen hingäben und ein Feinbild aufbauten, denn merke: „Kritik am (politischen) Islam bedeutet feindseliges Verhalten gegenüber den Muslimen“, so die unausgesprochene Botschaft Wilms und der Mehrzahl aller islamischen Intellektuellen und Konvertiten, ob sie ehemaliger deutscher Botschafter sind oder Sulaiman Wilms heißen.

Dass diese Methode immer wieder erfolgreich praktiziert werden kann, liegt zu einem wesentlichen Teil daran, dass die politische Variante der islamischen Doktrin es meisterhaft beherrscht, auf der „Was-seid-ihr-doch-schuld“- Klaviatur zu spielen, deren Partitur dem Westen spätestens seit dem 11.09.2001 und jedem folgenden Anschlag danach permanent als Philippika um die Ohren gehauen wird, nachdem man eben wieder eine Bombe im Namen Allahs und seines Propheten hochgehen ließ und in Erklärungsnöten steckt. Aus dem
„Was-seid-ihr-doch-schuld“ wird dann ein "Was-sind-wir-doch-schuld" vieler westlicher Intellektueller in Leitartikeln, Sonntagsreden und politischen Entscheidungen. So lässt sich auch der Umgang der westlichen Gesellschaften mit den (originär!) islamisch motivierten Terrorangriffen in den Jahrzehnten davor besser verstehen, dachte man doch noch in den 1990er-Jahren allen Ernstes, dass die Terroranschläge z.B. des vor kurzem verstorbenen Terrorführers George Habash in erster Linie marxistisch (!) oder antiimperialistisch motiviert waren. Das „Lebenswerk“ Habashs fand übrigens entsprechende „Würdigung“ durch „kompetente Verehrer“.

Doch zurück zu Sulaiman Wilms: Er greift wieder den (Ariadne-) Faden auf, den er zu Beginn seines Kommentars ausgelegt hat: Da es „um die Zukunft als Muslime in Deutschland“ geht, müssen der „Entwicklung und spirituellen Ausbildung unserer Jugend“ Rechnung getragen und „entsprechende Maßnahmen“ ergriffen werden. Und wieder bleibt Wilms die Antwort darauf schuldig, wie dies abzulaufen hat. Fehlt es an der Pädagogik? Denn die, so konstatiert der "IZ"-Autor, „gehört nicht zu den am weitesten entwickelten Wissenschaften des islamischen Kanons“, um aber sofort zurückzurudern und zu versichern, dass es „nach Ansicht von heutigen Gelehrten nicht an einem Mangel an Wissen um die erfolgreiche Erziehung von Kindern“, sondern - und jetzt kommt’s - am Fehlen einer „funktionierenden muslimischen Gemeinschaft“ liegt, in der gesunde (sic) Kinder und Jugendliche heranwachsen können.

Nun wird wohl kaum jemand, der noch halbwegs bei Trost ist und das Grundgesetz kennt, den Muslimen ihren Glauben verbieten wollen (können), aber bei so viel Gesundheitsvisionen muss Herr Wilms sich schon die Frage gefallen lassen, ob und welchen politischen Raum diese von ihm beschworene islamische Gemeinschaft in unseren Gesellschaften einnehmen will. Wobei sich die Umma darüber im Klaren sein sollte, dass „Ob“ und „Welchen“ weiterhin sehr kritisch hinterfragt werden müssen, wenn die Verfassungstreue der islamischen Gruppierungen nicht eindeutig geklärt und gelebt wird.

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