Samstag, März 22, 2008

Schlechte Karten für die Kemalisten: Ende der türkischen Republik?


Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan ist seinem Ziel, die Türkei nach und nach aus ihrer laizistischen Tradition herauszulösen und die Islamisierung des Landes zu forcieren, einen weiteren Schritt nähergekommen. Die kemalistische Republik scheint unaufhaltsam einem Auflösungsprozess, wenn nicht gar einer Teilung entgegenzusteuern.

Das Fundament der Republik Atatürks (Abbildung) ruhte auf drei Pfeilern: Dem Staatspräsidenten, dem Verfassungsgericht und dem Militär. Der Staatspräsident ist in der Person Güls zum Inventar der regierenden islamischen AKP*-Partei geworden. Somit ist die erste Bastion gefallen. In den nächsten Monaten wird mit den Stimmen der AKP-Mehrheit das Verfassungsgerichtsorgan von bisher 11 auf 17 Richter aufgestockt. Was bedeutet das? Die zweite Bastion - und mit ihr die entscheidende - wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch fallen und alle verfassungsrechtlich relevanten Steuerungsprozesse im Sinne der AKP einleiten. Zur Rolle des Militärs weiter unten….

Der zurzeit eingebrachte Verbotsantrag gegen die AKP wird von den dann mehrheitlich AKP-treuen Verfassungsrichtern wohl wieder kassiert. Anders ist es kaum vorstellbar - oder hat schon jemand einen Eisbär in der Sahara entdeckt? Vural Savas, der ehemalige Generalstaatsanwalt, sieht deshalb ein Ende der Republik nach dem Sommer 2008 heraufdämmern. Seine pessimistischen Prognosen erläutert er im Gespräch mit der WELT:


"Für ein Verbot der AKP ist es zu spät"
WELT, 22. März 2008

Der ehemalige türkische Generalstaatsanwalt Vural Savas hält den Kampf der Kemalisten für aussichtslos – weil es zu spät ist. Für ihn will die AKP die Herrschaft des Islam in der Türkei durchsetzen. Nach seiner Meinung ist die Republik im bisherigen Sinne nach dem Sommer 2008 zu Ende.

Wird die Partei von Regierungschef von Recep Tayyip Erdogan bald verboten?

Gegen die türkische Regierungspartei AKP liegt ein Verbotsantrag vor. WELT ONLINE sprach mit dem früheren Obersten Staatsanwalt Vural Savas, der zwei Vorgängerparteien der AKP schließen ließ. Seiner Meinung nach sind die Beweise gegen die AKP stichhaltig, für einen Erfolg des Antrages sei es aber zu spät. Mit ihm sprach Boris Kalnoky.

WELT ONLINE: Gegen die AKP liegt ein Verbotsantrag vor. Hat das eine Aussicht auf Erfolg?

Vural Savas: Nein. Bis zu einem Urteil werden Monate vergehen, und die AKP wird in dieser Zeit das Verfassungsgericht reformieren, um es zu dominieren. Statt heute elf soll es dann 17 Richter geben, die sechs neuen Richter werden das Kräfteverhältnis zugunsten der AKP wenden.

WELT ONLINE: Die AKP wirft dem Obersten Staatsanwalt Yalcinkaya vor, schlampig gearbeitet zu haben, schon aus formalen Gründen sei der Antrag abzulehnen.

Savas: Ach, das hat damals auch (Fundamentalistenführer) Erbakan gesagt, als ich seine Wohlfahrtspartei schließen wollte. Die AKP will die Herrschaft des Islam in der Türkei durchsetzen. Um im Staatsapparat unterzukommen, müssen Kandidaten heute schon nach Möglichkeit aus einer (religiösen, d. Red.) Imam-Hatip-Schule kommen, ihre Frauen sollten Kopftuch tragen. Die Partei duldet immer mehr illegale oder halblegale Korankurse für Vorschulkinder, wo die Kinder im Grunde einer Gehirnwäsche unterzogen werden. So soll eine neue, fromme Generation herangezogen werden, die die Türkei in ein Zeitalter der Finsternis führen wird.

WELT ONLINE: Sie haben gerade ein Buch veröffentlicht: „Die AKP hätte längst geschlossen werden müssen“. Wie verkauft es sich?

Savas: Wir sind bei der fünften Auflage, 20 Tage nach der Erstauflage.

WELT ONLINE: Was passiert, wenn die AKP nicht gebremst wird?

Savas: Die Republik Atatürks ruhte auf drei Pfeilern: der Staatspräsident, das Verfassungsgericht und das Militär. Der Präsident ist heute von der AKP, das Verfassungsgericht wird durch die geplanten Reformen bald unter AKP-Kontrolle gebracht, und im Sommer wird mit der jährlichen Runde von Personalentscheidungen bei der Armee wahrscheinlich auch das Militär unterwandert werden. Danach ist die Republik im bisherigen Sinne zu Ende. Das kann sogar zu einer Teilung der Türkei führen. Der Westen unterstützt diese Entwicklung, man will einen „gemäßigten Islam“ vorzeigen können, der vor den imperialistischen Strategien des Westens kuscht und die Massen einlullt. Aber in einigen Jahren wird es den Amerikanern und Europäern leidtun, dass sie die Zerstörung der Republik zuließen. Dann werden sie die Armee vielleicht fragen, ob sie nicht putschen könnte.

WELT ONLINE: Wird die Armee eingreifen, bevor es für die Militärs zu spät ist, also noch dieses Jahr?

Savas: Ich glaube nicht. Ich war sowieso immer gegen einen Putsch und bin es auch heute. Die „wahren Intellektuellen“ unseres Landes waren immer diejenigen, die am meisten unter den Militäreingriffen litten. Das Militär hat nicht genug Rückhalt für einen Eingriff.

WELT ONLINE: Ist eine Militärintervention später denkbar?

Savas: Ich glaube nicht. Vor fünf Jahren schrieb ich ein Buch: „Als die Republik zusammenbrach“. Es sieht so aus, als hätte ich die Entwicklung richtig erkannt. Es tut mir selbst weh – meine Kinder werden in einem islamisch regierten Land aufwachsen, ich will das nicht.

WELT ONLINE: Das Volk will aber die AKP. Sie wurde demokratisch gewählt. Ist der Verbotsantrag nicht undemokratisch?

Savas: Als im Osmanischen Reich die Sklaverei abgeschafft werden sollte, gab es einen Volksaufstand. Die Leute sagten, der Koran lässt Sklaverei zu, also darf man sie nicht abschaffen.

WELT ONLINE: Übertreiben Sie nicht ein wenig? Kann man der AKP denn nachweisen, dass sie die Scharia will?

Savas: Ich habe die Refah-Partei schließen lassen, weil sie die Scharia anstrebte. Dann ihre Nachfolgepartei Fazilet, aus demselben Grund. Erdogan war ein bedeutender Name in diesen Kreisen. Er hat 25 Jahre lang versucht, zu beweisen, dass der Laizismus nicht mit dem Islam vereinbar ist. Er war ein Wortführer gegen die EU. Weil er immer wieder scheiterte, verfolgt er mit der AKP nun eine neue Strategie, setzt auf die Unterstützung des Westens und geht Kompromisse ein. Er sagte einmal, er würde sich notfalls als Papst verkleiden, um das System zu zerstören.

WELT ONLINE: Seine demokratischen, prowestlichen Reformen sind unbestreitbar.

Savas: Seine Wähler wählen ihn nicht, weil sie ihn für prowestlich halten. Sie wissen genau, wer er ist. Als Demokrat würde er nicht mehr als fünf Prozent der Stimmen bekommen. Und selbst wenn er gemäßigter wäre, als ich glaube – seine Wähler sind es nicht, und auf sie ist er angewiesen.

*Der Inhalt der verlinkten Seite deckt sich nicht in jeder Hinsicht mit dem Standpunkt von Castollux.

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