Seit Jahrzehnten bin ich treuer Fan des FC Bayern München, habe unendlich viel mitgefiebert und gelitten, mich gefreut wie ein Maikäfer, wenn er Erfolge am Fließband einheimste, und nun das: Der neue Trainer Jürgen Klinsmann scheint seine Schützlinge religiös missionieren zu wollen. Was war passiert und welche Schlüsse könnte man daraus ziehen?
Jürgen Klinsmann hatte vor gut zwei Wochen, wie viele meiner Leser wissen, auf dem für etliche Millionen Euro neu erstellten Leistungszentrum des FC Bayern an der Säbener Straße das Kommando übernommen und schnell signalisiert, dass sich einige Dinge ändern würden. Was die Trainingsmethoden betrifft - klar, die Bosse des Nobelklubs wussten, wen sie sich eingekauft (eingebrockt) hatten. Schließlich hatte man "Klinsis" Motivationskünste aus der WM 2006 noch in bester Erinnerung und dachte, seine Qualitäten auch auf die Arbeit mit einer Vereinsmannschaft übertragen zu können - was sich übrigens erst noch bewahrheiten muss. Da ist die letzte Messe noch nicht gelesen, würde ich mal sagen.
Mit der Überraschung wartete der neue Coach jedoch vor gut 10 Tagen auf: Er ließ Buddha-Statuen antanzen. Vier weiße Exemplare wurden auf dem Dach des Gebäudekomplexes an der Säbener Straße platziert, weitere in den Trakten des Gebäudekomplexes, darunter eine goldfarbene Statue in der "kuscheligen Lounge“ (Siehe Abbildung; Quelle: WELT).
„Ich will ein Energiefeld aufbauen, das den Spielern viel Spaß machen wird", so die anheimelnd-esoterische Botschaft Klinsmanns, die bei mir zuerst ungläubiges Kopfschütteln auslöste und danach eine Erinnerung wachrief.
Als Christoph Daum im Jahr 2000 noch beim Werksklub Bayer 04 Leverkusen das Zepter für Leibesübungen schwang, engagierte er den Motivationstrainer Jürgen Höller (Motto: "Alles ist möglich"), der seine Spieler auf Vordermann bringen sollte. Was dieser J. Höller außer Tschaka-Tschaka-Gebrüll (abgekupfert übrigens vom niederländischen Motivationskünstler Ratelband), Laufen auf glühenden Kohlen und Glasscherben sowie anderen Sperenzchen für die Spieler tatsächlich auf dem Kasten hatte, kann man hier nachlesen. Nichts. Denn erstens konnte er das Unterhaching-Trauma der bieder-braven Leverkusener Werkself nicht verhindern und zweitens war ihm nach einiger Zeit der Staatsanwalt auf den Fersen. Höller war wegen Untreue, vorsätzlichen Bankrotts und falscher eidesstattlicher Versicherung für drei Jahre ohne Bewährung hinter schwedischen Gardinen gelandet, nachdem er einen Börsengang mit seiner Firma Inline AG nicht korrekt abgesichert und damit seine Anleger getäuscht hatte.
Doch zurück zu Jürgen Klinsmanns harmonischer Vorstellungswelt:
Sicher besteht kein didaktisch-methodischer Zusammenhang zwischen dem ehemaligen (und wieder aktiven) Motivationsguru Höller, der wohl nichts dazugelernt hat (“Woran merkst Du, dass Du erleuchtet bist? Wenn Du durch Wände gehen und um Dein Haus schweben kannst”) und der Person Jürgen Klinsmann. In dieser Hinsicht irgendwelche Spekulationen anzustellen wäre höchst unfair und würde auch dem gesunden Managerverstand von Uli Hoeneß widersprechen. Aber gibt es nicht eine quasi inhärente Übereinstimmung in der Art und Weise, (anvertraute) Menschen an ein Lebens- und Überzeugungsmodell zu binden, das nur drei Ziele kennt: Erfolg, Erfolg, Erfolg, und - gelegentliches Scheitern ist nicht erlaubt?
Und erscheint im Rückgriff auf die WM 2006 der Ausspruch des deutschen Teamchefs Klinsmann vor dem Achtelfinale "Lasst uns die Polen durch die Wand hauen!" und, man dürfe sich nicht fertig machen lassen, "schon gar nicht von den Polen" nicht ein wenig merkwürdig, insbesondere dann, wenn es um "Motivationskünste" geht, seine neue "Schaffenskraft" bei Bayern München betreffend?
"Erfolgsrezepte" wie dieses von 2006 (vom kurzfristigen politischen Mega-Gau ganz zu schweigen) und das nun angestrebte bei Bayern München wurmen mich ganz gewaltig. Es ärgert mich auch deswegen, weil hinter diesem Konzept ein Menschenbild steht, das ich überhaupt nicht teilen kann: Du hast Erfolg, wenn du gesund, erfolgshungrig und gleichzeitig harmonieversessen bist - aber all das funktioniert nur, wenn du dich einer bestimmten Erfolgsphilosophie und einem bestimmten Konzept unterordnest - von Trainerstab und sorgfältig ausgesuchtem Team ausgetüftelt. Und das Motto dieser Philosophie lautet wahrscheinlich: "So viel Rücksichtslosigkeit wie möglich, soviel Harmonie wie nötig", wobei "Harmonie" sich wohl nur auf den Umgang mit den Mitspielern beschränken soll. Zumindest stellt es sich für mich so dar.
Schon vor Saisonbeginn scheint deshalb ein Schatten auf die Erfolgsgeschichte des neuen FCB-Trainers zu fallen, denn die Idee, den Spielern des erfolgreichsten deutschen Fußballvereins aller Zeiten eine neue Weltanschauung zu vermitteln, kommt nicht bei allen Freunden des FC Bayern so gut an, wie es sich der gelernte Bäckermeister, Selfmademan, Weltenbummler und knallharte Verhandlungsführer vorgestellt hat. Bei mir übrigens auch nicht. Und das nicht nur, weil ich Christ bin, der versucht, seinen Glauben zu leben, ohne (un-) aufdringlich missionieren zu wollen. Ich selbst hatte in der Vergangenheit manchmal versucht, Freunde (auch hier im Netz) von meinem Glauben an Jesus Christus zu überzeugen, wurde dabei aber (in guter Absicht) zu persönlich und verletzend.
Überzeugen kann man aber nur durch gelebte Empathie und Mitmenschlichkeit - unabhängig von Weltanschauungsfragen und sonstigen Dingen, die unser Leben beeinflussen und prägen. Wenn mich jemand danach fragt, warum ich gerade so oder so denke oder handle kann ich immer noch Auskunft über meinen Glauben geben.
Norbert Geis, CSU-Urgestein und eingefleischter Bayern-Fan, formulierte sein Unbehagen bezüglich der überfallartig-missionarischen Klinsmann-Aktion so: "Jürgen Klinsmann ist sicherlich ein exzellenter Trainer, aber ich finde, die Buddha-Statuen sind etwas übertrieben“. Und weiter: "aber ich finde, man sollte den Spielern nicht eine Religion als dominierende Maßgabe anbieten". Wo er Recht hat, da hat er Recht, der MdB Norbert Geis, und ich pflichte ihm zu 100% bei, auch wenn seine Kritik meines Erachtens nicht scharf genug ausgefallen war. Bernhard Felmberg, Sportbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin und ab kommenden Jahr Vertreter der Evangelischen Kirche Deutschlands bei der Bundesregierung, bemerkt meiner unbedeutenden Meinung nach völlig zutreffend: "Buddha-Figuren sind schon mehr als nur Raumgestaltung, damit geht eine Weltanschauung und eine Philosophie einher".
Ich will es an dieser Stelle bei den kritischen Verlautbarungen Konservativer (Ich bin selbst sozialer Konservativer, so etwas gibt es [In Bayern] auch) und Kirchensprechern belassen -; das kann man alles googeln, zum Beispiel hier.
Mir ist bei der Beschäftigung mit dem Thema aufgefallen (auch in den Jahren davor schon), dass es große Schnittmengen zwischen importiertem Pseudo-Buddhismus á la Klinsmann und anderer Prominenter in der westlichen Schickeria, fernöstlichen Praktiken und esoterischem Sektierertum im westlichen Bildungsbürgertum gibt. Dabei überlappen sich oft politische Grundeinstellungen, wenn es um die Zusammenführung der oben genannten Phänomene geht.
Stellvertretend für die verschiedenen Analysen linker Intellektueller (nicht Die Linke; die versteht davon herzlich wenig und hat substantiell nichts beizutragen) zum esoterisch-fernöstlichen Sektierertum möchte ich eine Untersuchung von Claudia Barth anführen, die eine sehr gute Charakterisierung des esoterischen Denkens liefert. Sie beschreibt in ihrem Buch „Über alles in der Welt – Esoterik und Leitkultur“ die moderne Esoterik (sie setzt es in etwa mit New Age gleich) als "irrationale Ideologie", die "systemstützend" wirke, also "den Nutzen einer Minderheit durchsetzen soll und den Interessen der Mehrheit der Menschen schadet". Speziell in Deutschland sei die Esoterik zudem "von völkisch-nationalen, antisemitischen Vordenkern entwickelt" worden. [1]
Sehr aufschlussreich ist auch, dass sich nicht nur viele Kritiker, sondern auch eingefleischte Esoteriker am "Supermarkt der Spiritualität" stören [2]. Verschiedene, teils völlig unvereinbare spirituelle Traditionen, über Jahrhunderte in unterschiedlichen Kulturen der Welt gewachsen, werden in der Konsumgesellschaft zur Ware, wobei so viel wie möglich Abwechslung in immer schnellerem Takt angeboten wird (“gestern Yoga, heute Reiki, morgen Kabbala“). Ich denke, dass diese Traditionen, als Produkt auf den Markt geworfen, sich ihres eigenen Ursprungs berauben. Der Umgang mit Spiritualität wird zum Klischee degradiert.
Als besonders problematischen Aspekt esoterisch-fernöstlicher Weltanschauung sehe ich das auf subjektiv-einseitig harmonischer Wahrnehmung beruhende Weltbild und das damit teilweise einhergehende Negieren von Leid und Problemen, übertriebene Heilsversprechungen, unrealistische magische Erwartungen, das Absolut-Setzen subjektiver Erfahrungen und die Abhängigkeit von „spirituellen Experten“ oder selbsternannten religiösen „Meistern“.
Ich weiß, dass ich meinen Lesern jetzt ein wenig viel zugemutet habe, aber ich möchte abschließend dennoch meine eigene Glaubenssicht der esoterischen Vorstellungswelt gegenüberstellen. Warum sollte ich mich als Christ defensiv verhalten, wenn es um existentielle Fragen geht?
- Die fernöstliche Esoterik präsentiert in der Regel ein unpersönliches, ungeschichtliches Gottesbild statt einer personalen Gottesbeziehung, wie im monotheistisch jüdischem und christlichem Glauben praktiziert und geglaubt (Anmerkung: Im Islam gibt es keine persönliche Gottesbeziehung. Der Islam ist streng deistisch [entrückt], auch wenn viele Muslime das jetzt bestreiten wollen)
- Die Auffassung von Jesus als “Avatar“ oder “Eingeweihtem“ statt des biblisch-historischen, christlichen Bildes von Jesus von Nazareth kann kein Christ unterschreiben (nicht die Christen, die bei Bayern München unter Vertrag stehen, und auch nicht der zum Islam konvertierte Franck Ribéry)
- Die Möglichkeit des Abtragens von Karma, der Selbsterlösung, z. B. durch evolutive Bewusstseinserweiterung im Verlauf von Reinkarnation im Gegensatz zur Vorstellung der Einmaligkeit des Lebens, der Erlösung und Vergebung durch das Geschenk der Liebe Gottes und des Kreuzestods Jesu Christi im Christentum ist mit der biblischen Lehre unvereinbar.
Während der Abfassung dieses Beitrages dachte ich darüber nach, welches Schlusswort ich wählen sollte. Ich will ehrlich sein - mir ist keines eingefallen. Aber Max Merkel, der große Trainer-Zampano vergangener Zeiten, der des Öfteren durch kernige und unüberlegte Sentenzen auffiel, hilft mir heute aus der Patsche. Sein “Trainer-Erfolgsrezept“ sollte aber bitte nicht allzu ernst genommen werden - und von Jürgen Klinsmann schon gar nicht:
Im Training habe ich mal die Alkoholiker meiner Mannschaft gegen die Antialkoholiker spielen lassen. Die Alkoholiker gewannen 7:1. Da war's mir wurscht. Da hab i g'sagt: "Sauft's weiter."
1) Nicholas Goodrick-Clarke: The Occult Roots of Nazism. Secret Aryan Cults and their Influence on Nazi Ideology, 1992
2) Kimberly J. Lau: New Age Capitalism: Making Money East of Eden
Hattip: Lizas Welt
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen