Montag, März 23, 2009

Ein Sarg zum 60. Geburtstag

Älter werden ist nicht schwer, älter sein dagegen sehr….

....könnte man denken, versetzte man sich in die Gefühlslage vieler Menschen in den Industrienationen, die das Altern oft schon ab dem dritten oder vierten Lebensjahrzehnt als eine Krankheit beschreiben, die unweigerlich zum nahen Tod führen müsse. Und wenn ich ehrlich bin, dachte ich früher auch manchmal in diesen Kategorien, wenn auch später....; aber wer in unseren Breitengraden eigentlich nicht?

„Faltenreich“ heißt eine
Ausstellung mit dem doppelsinnig-sympathischen Titel, die im Leipziger Grassimuseum gezeigt wird und interessante Perspektiven zum Thema Altern, Jugendideal oder den Umgang der Generationen miteinander zum Thema hat. Eigentlich eine Exhibition, die - in dieser Form - längst überfällig war. Zu Zeiten, in denen ein gewisser Herr Mißfelder von der Jungen Union in widerlicher Propaganda-Rethorik dafür plädiert, dass die Krankenkassen den 85-Jährigen keine neuen Hüftgelenke mehr bezahlen sollten (Hartz-IV-Empfängern sollte zudem das Rauchen und Saufen per Subvention gestrichen werden) und auf der anderen Seite VdK-Präsident Walter Hirrlinger unterschiedslos alle Rentner gegen die jüngere Generation ausspielt, kann man Differenzierungskompetenzen eigentlich kaum noch ausmachen, es sei denn, man legt sich mit der eigenen (Wähler-) Klientel an und ist auf einen neutralen Blick bedacht.

Aber wer will das schon?


Um die politische Auseinandersetzung zum Thema soll es hier ausnahmsweise aber nicht gehen.

In seinem Buch „Der Papalagi“(Papalagi steht für den weißen Gott, der mit dem Schiff vom Meereshorizont kommt) greift Erich Scheurmann die fiktiven Gedanken des Südseehäuptlings Tuiavii aus Tiavea zu den Themen Zeit und Älterwerden auf, und er reibt sich verwundert die Augen, als er (der „Exot“) Anfang des 20. Jahrhunderts Europa besucht und sich über die „wahren Exoten“ der westlichen Industrienationen wundert, die, wie er konstatiert, sich so weit vom ursprünglichen (Insulaner-) Leben und seinen Selbstverständlichkeiten entfernt haben, dass es für ihn fast schon groteske Züge annimmt. So auch, wenn es um die Fragen Zeit und Altern geht:
Der Papalagi [...] liebt vor allem aber auch das, was sich nicht greifen lässt und das doch da ist - die Zeit. Er macht viel Wesens und alberne Rederei darum. Obwohl nie mehr davon vorhanden ist, als zwischen Sonnenaufgang und Untergang hineingeht, ist es ihm doch nie genug. Der Papalagi ist immer unzufrieden mit seiner Zeit, und er klagt den großen Geist dafür an, dass er nicht mehr gegeben hat. Ja, er lästert Gott und seine große Weisheit, indem er jeden neuen Tag nach einem ganz gewissen Plane teilt und zerteilt. Er zerschneidet ihn geradeso, als führe man kreuzweise mit einem Buschmesser durch eine weiche Kokosnuss.

Alle Teile haben ihren Namen: Sekunde, Minute, Stunde. Die Sekunde ist kleiner als die Minute, diese kleiner als die Stunde; alle zusammen machen die Stunden [...]. 'Die Zeit meidet mich!' - 'Die Zeit läuft wie ein Ross!' - 'Gib mir doch etwas Zeit' - Das sind die Klagerufe des weißen Mannes. [...] Es gibt Papalagi, die behaupten, sie hätten nie Zeit. Sie laufen kopflos umher, wie Besessene, und wohin sie kommen, machen sie Unheil und Schrecken, weil sie ihre Zeit verloren haben. Diese Besessenheit ist ein schrecklicher Zustand, eine Krankheit, die kein Medizinmann heilen kann, die viele Menschen ansteckt und ins Elend bringt. Weil jeder Papalagi besessen ist von der Angst um seine Zeit, weiß er auch ganz genau, und nicht nur jeder Mann, sondern auch jede Frau und jedes kleine Kind, wie viele Mond- und Sonnenaufgänge verronnen sind, seit er selber zum ersten Male das große Licht erblickte. [...]
Alle Kulturen haben unterschiedliche Auffassungen und Erlebniswelten- (Erfahrungen), was das Thema „Altern“ betrifft. In Europa (und den Industrienationen generell) misst man in Zahlen von der Geburt weg, und ab einem bestimmten Alter stellt man fest, dass „die Lebenszeit bald abgelaufen ist“. Testamente werden geschrieben und Streitigkeiten zwischen potentiellen Erben sicherheitshalber notariell vorgebeugt, was natürlich auch sein Gutes hat. Einverstanden, das geht nun mal nicht anders.

Ganz schrill wird es jedoch, wenn man sieht, wie sich im kalifornischen Sun City die „Alten“ über 55 ein eigenes Refugium schaffen, in dem sie der „Unsterblichkeit“ nahekommen wollen. Glückliches Altwerden auf diese Weise und mit Pillen, wenn man unter sich bleibt? Zweifel sind angebracht. Eigentlich eine sehr ungesunde Einstellung - und da gebe ich dem Südseehäuptling Recht, auch wenn es verträumt-idealistisch klingen mag. Wer liegt also näher an der Wahrheit, wer näher in einer natürlichen Einschätzung des Prozesses Altwerden?

Sinngemäß formuliert Tuiavii:
„Wenn sich die Zeiger an den großen Gebäuden drehen und eine volle Zeit vorbei ist, die sie (Die Europäer) Stunde nennen, vergleichen sie diese mit den kleinen Maschinen, die sie an ihrem Handgelenk tragen. Und wenn der Zeiger viele Tage, Monde und Jahre durchlaufen hat, sagen sie, dass es Zeit ist zu sterben. Und dann sterben sie auch“.
Weil sie ihren Lebenswillen mit der verronnenen Zeit (wie sie glauben) abgegeben haben, wenn sie nicht unheilbar krank waren?

In manchen Kulturen wird Zeit am körperlichen und qualitativen Wachstum des Menschen beschrieben, an seinem Heranreifen, seiner zunehmenden Weisheit etc. Wenn er also töricht bleibt, ist er nicht gealtert. In der Tat….

Und eigentlich entspricht dieser positive Zeitbegriff auch dem der Antike, denn Alter galt damals als etwas Verehrenswürdiges, wenn es mit zunehmender Weisheit, Güte und Kompetenz einher ging. Wird heute, im Zeichen des demografischen Wandels in den Industrienationen, dem Zusammenleben zischen Jung und Alt, den Potentialen des Alterns und den Chancen, die ein positives Altersbild bieten, endlich auch Rechnung getragen? Wird in unseren Gesellschaften dennoch fälschlicherweise nicht auch immer davon ausgegangen, dass Alter gleichbedeutend ist mit politischer Reife und Verantwortung für die Polis?


Oder sollten wir Peter Scholl-Latour, Jimmy Carter, Uri Avnery u.a., die bedingungslose Gespräche mit dem Iran und der Hamas fordern, kindisches Zeug plappern, attestieren, dass sie, wie der Papalagi sagt, reif genug sind? Erhebliche Zweifel sind angebracht.


Es gibt übrigens auch andere Formen, mit dem Altwerden umzugehen, die selbst dem Häuptling von den Südseeinseln ein weinig surrealistisch vorkommen dürften, so er denn heute lebte und davon wüsste:


In manchen Gegenden Chinas schenkt man Menschen, die 60 geworden sind, einen verzierten Sarg und stellt ihn in deren Wohnung auf. Das wäre mir dann allerdings doch ein wenig zu viel der Ehrfurcht vor dem Alter. Denn der Sarg erinnert schließlich auch tagtäglich daran, dass die Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Monate und Jahre unwiederbringlich verrinnen.

Und daran muss ich wirklich nicht jeden Tag erinnert werden. Bei aller Demut.

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