Als ich vorgestern Abend in der Augsburger Synagoge eintraf, um nach 2008 wieder einmal der Gedenkfeier zum 9. November 1938 beizuwohnen, hatte ich sowieso keine großen Erwartungen bezüglich inhaltlich substantieller Reden. Ein Beispiel für eine wirklich gelungene Rede, wenn auch einem anderen Anlass gewidmet und mindestens ebenso relevant hier: Teil 1; Teil 2*
Optimistisch, wie ich nun mal bin, ging ich dennoch mit der Erwartung in die Synagoge, endlich einmal Klartext zu hören, was den Antisemitismus betrifft, der sich in der Mitte unserer Gesellschaft, in unseren christlichen und islamischen Communities, allen Parteien, Gewerkschaften und bräsig verseuchten Feuilletons seit einigen Jahren hoffähig gemacht hat. Und ich hoffte auch ein wenig auf Rabbiner Henry Brandt, der mit seiner Meinung sonst selten hinter dem Horeb hält.
Doch der Reihe nach:
Als ich Rucksack, Fahrradhelm und Windjacke im Schließfach des Eingangsbereichs verstaut hatte, hörte ich die Stimmen zweier älterer Frauen, die an mir vorbeiliefen und beinahe hagziss-mäßig raunten**:
Frau 1: „Saukalt ist es heute“,
worauf Frau 2 antwortete:
„Ausgerechnet bei diesem Ereignis, stimmt - und letztes Jahr war es angenehmer“.
Ein sauschlechter Gedenktag-Wellness-Einstieg also für diese Damen.
Da ich die Gemeinde, den Kantor (seit kurzem) und die Gemeindevorsteher seit einigen Jahren persönlich kenne, war ich auf die Veranstaltung relativ gut vorbereitet. Außerdem lagen auf den Bänken Handzettel mit dem Programmablauf aus.
Ich setzte mich also nach vorn in die Sitzreihe 8 und sicherte mir einen Platz am konservativ-rechten Rand - was sonst?, weil ich dort besser Notizen machen konnte und nicht stören wollte.
Was mir sofort auffiel: Etliche Plätze in den reservierten 7 Reihen davor blieben unbesetzt.
Zufall? Und warum?
Teil 1 ist schnell erzählt: Der Gemeindevorsteher sprach ein Grußwort.
„Die Traumata reichen bis in die heutige Zeit hinein“, so seine wenig überraschende Feststellung, die wohl jeder vernünftig denkende Mensch mit einem Funken Empathie und kritischem Gegenwartsbezug nachvollziehen kann. Aber Eröffnungsreden müssen wohl so und nicht anders formuliert werden, um den nachfolgenden Rednern die Gelegenheit zu geben, sich wesentlich israelfreundlicher zu gerieren als es ihrem Alltagsverständnis entspricht. Danach folgte noch ein Abriss der Synagogenhistorie seit 1917.
Dann kam Kurt:
Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl (Mitglied meiner Partei, der CSU), tat sich offensichtlich schwer mit seiner Grußbotschaft an die Anwesenden. Und er war nervös, was ich verstehen kann, weil er erst seit zwei Jahren im Amt ist.
Seine Botschaft hörte sich teilweise so an wie verhärmt Gestanztes von Neues Deutschland, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung und ähnlich inspirierten linken Mainstream-Blättern antizionistischer Provenience in einem Whirlpool - sicher aber nicht so, wie es der Bayernkurier wesentlich besser gebracht hätte.
Hier ein paar weichgespülte Schnipsel, die ich notierte:
„Sorge mich sehr“ (Um was?)
„Ich will nie wieder Hassparolen hören; stattdessen Bürger des Lachens“
„Wir lassen nichts gewähren“ (damit meinte er Neonazi-Aufmärsche. Und wie ist es mit Islam-Faschisten?)
„Ich bin stolz auf diese Stadtgesellschaft“ (Sorry - ich nicht, so lange islamische Durchgedrehte und Linksradikale von der Kritik Gribls und „multikulturellen“ Organisationen dieser Stadt ausgeblendet werden).
„Wir haben Aktionen gegen Rechtsextremismus geführt“ (Na toll: Wir sind alle dafür: aber antisemitische Aktionen von Muslimen, Grünen und Linken während des Gazakrieges sind vernachlässigbar? Fehlanzeige!).
Kompliment an Gribl aber für folgende wichtige Anmerkungen, die er leider nicht näher ausführte; und da hatte er seine stärksten Momente:
“Gedenken als Pflichtübung“ (allerdings ohne konsequente Handlungsanweisung für heute; und warum nicht näher ausgeführt?)
„Schaufenster- oder Nischentag“….
Ich hätte mir gewünscht, dass er diese Passagen intensiver angesprochen und ausgeführt hätte, und warum er sie so formulierte.
Musik gab es zwischendurch natürlich auch. Und ganz ehrlich: Die hat mich am meisten beeindruckt (u.a. die von Benjamin Britten). Wenn man seine Kompositionen hört braucht man eigentlich keine Ansprachen mehr: Seine in Mark und Bein gehenden musikalischen Bibelinterpretationen sind unübertrefflich. Großartig auch Kantor Nikola David.
Ein Juwel.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich ihm begegnen durfte, und ich hoffe, dass daraus eine Freundschaft erwächst.
Ja, und dann kam mein theologischer Kollege Regionalbischof Grabow - gewandet in lutherischem Talar und Kippa auf dem Kopf. Herr Grabow formulierte sein persönliches Entsetzen, als er als Kind von der Pogromnacht erfuhr:
Wiederum Auszüge:
„Ich habe nächtelang nicht geschlafen“ (Hinweis: Bischof Grabow ist 1954 geboren)
Und dann:
„Wo müssen wir heute gegen Antisemitismus aufstehen?“ (Gute Frage. Packen wir’s an!)
„Verordnete Betroffenheit funktioniert nicht“ (warum hat Grabow das nicht näher ausgeführt?)
Und dann historische Heimholungskultur pur:
„Der 9. November 1938 findet in den Medien praktisch nicht statt“.
Gut, der Bischof hatte dann seine Pflicht getan, Geschichtsunterricht gegeben und Rabbi Brandt sprach das Kaddisch. Das war’s dann auch.
Von islamischem oder linksextremem Antisemitismus während der ganzen Veranstaltung kein einziges Wort. Nicht einmal der Name Ahmadinejad ist gefallen.
Dennoch: Ich werde auch die Gedenkfeier 2011 besuchen.
Ein unbedingter Reflex sozusagen.
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*Dank an Blogger „Carl“ für den Link!
**Alle Zitate im nachfolgenden Text habe ich nicht wortwörtlich übernommen, dennoch inhaltlich korrekt wiedergegeben.
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