Als ich dieses Foto (Quelle: REUTERS) des kleinen schwer verletzten Jungen und Erdbebenopfers aus China sah, dachte ich im ersten Moment ein klein wenig an Effekthascherei der REUTERS-Agentur und der chinesischen Regierung. Gebe ich ehrlich zu. Und ich bin nicht selten in meinem Leben meinen Vorurteilen aufgesessen.
Bisher dachte ich natürlich oft unwillkürlich daran, dass REUTERS politischen Mist baut und Fakes von Freelancern knipsen lässt…so wie im Libanon 2006, als man mittels Photoshop-Technik ganz Beirut in Schutt und Asche aufgehen ließ. Ich war in politischen Fragen immer kritisch und werde es bei bestimmten Bildern, was mehrdeutige Interpretationen betrifft, auch bleiben.
Hier jedoch ist kein Mensch von anderen Menschen getötet oder verwundet worden.
Das Bild lässt mich nicht los:
1) Wie kommt es, dass ein Fotograf eine derart schlimme Szene in einen geometrischen Zusammenhang (ein rautenähnliches Symbol - Das Zusammenfalten im Sinne von "Sterben") stellt? Will er damit eine ästhetische Todes- und Verletzungskultur erklären, die durch klar abgezeichnete Bildstrukturen ihren scheinbaren Sinn bekommt? Wohl kaum. Er wird diese Überlegungen im Moment der Aufnahme sicher nicht angestellt haben. Und wenn, dann hat er so wenig Gefühl im Herzen wie ein Spinatklumpen im Eisschrank.
2) Ich weiß nicht, was sich der Fotograf bei der Aufnahme gedacht hat, aber das ist ja auch das Überraschungsmoment für ihn selbst und uns alle: Du siehst dir deine Aufnahme Monate oder Jahre später an und verstehst nicht mehr, wie jenes Foto in diesem oder in einem anderen Zusammenhang aufgenommen wurde, falls du - im wahrsten Sinne des Wortes - kein fotografisches Gedächtnis hast. Du weißt auch nicht mehr, was dich in diesem Moment besonders bewegt oder abgelenkt hat - du hast nur dieses Foto. Für die Ewigkeit, könnte man beinahe sagen. Und dieses kleine Kind auf dem Foto schaut dich an. Das kann man nicht verhindern, sobald der Auslöser getätigt worden ist. Es (er) bleibt für immer.
3) Das bringt mich zum dritten und entscheidenden Punkt:
Denke ich darüber nach, wie sehr ich abgestumpft bin, wenn es um Dinge geht, die nicht meinen unmittelbaren Interessenbereich (Nahost, Islam und Antisemitismus) betreffen, dann erschrecke ich oft vor mir selbst und frage mich: „Bernd, hast du eigentlich noch ein Ohr für die Dinge, die sonst auf der Welt passieren oder im Unreinen sind; und hast du noch ein Gespür dafür, was zwischenmenschliche Beziehungen in deinem Wohnblock wert sind?“
4) Ich nehme mir das Recht heraus, dies zu schreiben und zu sagen, weil ich die Hoheit über meinen Weblog und mein Notizbuch habe. Und ich verletze auch niemanden. Ich habe Opas und Omis in meinem Wohnblock, die mittlerweile das Zeitliche gesegnet haben, oft die Wohnung gesäubert (wir haben 24 Parteien), den Müll runter und die Warentüten rauf geschleppt -; dennoch stelle ich mir oft die Frage, wie viel Zeit ich für meinen Nächsten habe, und ob das genug ist.
Wie viel Zeit haben WIR für unseren Nächsten?
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