Sonntag, Mai 18, 2008

Hey Hey Wiki


…und wie man Elefanten im Wohnzimmer übersehen kann

Nein, nicht der kleine strohblonde Wikingerjunge ist gemeint, der übrigens „Wickie“ geschrieben wird und wahrscheinlich heute noch mit seinem bärbeißig-gutmütigen Freund Halvar und seiner ihm treu ergebenen „tapferen Truppe“ die Weltmeere unsicher macht.

Vom Wikipedia-Globus ist die Rede, der aus beschrifteten Puzzlestücken zusammengesetzt ist und in letzter Zeit immer wieder unrühmliche Schlagzeilen macht, weil etliche politische Gruppierungen dort ihr ganz spezielles Buchstabensüppchen kochen. Zu ihnen gehört auch die palästinensische Pressure Group Electronic Intifada, die seit einigen Jahren volle Breitseiten gegen pro-israelische Wikipedia-Autorenteams verschießt. Zuletzt gegen CAMERA, der sie unterstellt, Wikipedia redaktionell zu unterwandern und das Web 2.0-Netz weltweit jüdischen Interessen anzupassen.

Damit das auch optisch entsprechend untermauert wird, hat sie den Wikipedia-Globus mit israelischen Flaggen drapiert (siehe Abbildung), um die „jüdische Weltverschwörung“ auch entsprechend zu „dokumentieren“. Honest Reporting hat das Thema aufgegriffen - siehe hier. Bei näherer Beschäftigung mit dem Sujet stieß ich dann auf einen Beitrag Andre Obolers in der Jerusalem Post vom 13. Mai 2008 zum Thema, den ich gerne übersetzte.


Andre Oboler

Wiki-Kriegsführung: Schlacht um die Online-Enzyklopädie

Die pro-palästinensische Webseite Electronic Intifada wartete mit einem Sonderbeitrag auf. Titel: „Der Plan einer Pro-Israel-Gruppe, auf Wikipedia die Geschichte umzuschreiben.“ Sie „enthüllte“ mit viel Getöse, eine Google-Gruppe namens CAMERA (Committee for Accuracy in Middle East Reporting in America), habe Aktivisten dazu angeregt, sich bei Wikipedia einzumischen und gegenseitig zu helfen, die Wikipedia-Philosophie auszunutzen und damit innerhalb der Wikipedia-Gemeinschaft eine Vertrauens- und Autoritätsstellung zu erlangen.

Die Vorstellung, Menschen zur Verbesserung von Web 2.0 einzubinden, ist aber Kern der Wikipedia-Weltanschauung. Nichtsdestoweniger läutet Electronic Intifada die Alarmglocken, wohl deshalb, weil viele derer, die sich engagieren, Juden und Unterstützer Israels sind. Wikipedia hat ein echtes Problem, aber sich auf CAMERA zu konzentrieren heißt, den Elefanten im Zimmer zu ignorieren.

Werfen Sie einen kurzen Blick auf das Banner, das die Geschichte auf der Homepage von Electronic Intifada ankündigte. Zuerst kam das Banner mit der Phrase „Krieg auf Wikipedia“ daher. Dies wechselte bald zum Wikipedia-Logo mit den bekannten Puzzle-Teilen, von denen jedes den Buchstaben einer anderen Sprache symbolisiert und den Text „Wikipedia, die freie Enzyklopädie“ unter dem Globus zeigt.

Der Slogan wurde dann ausgeblendet, der Globus erschien auf´s Neue, diesmal aber wurde jeder Buchstabe durch eine israelische Flagge ersetzt. Der Text unterhalb des neuen Wikipedia-Logos lautet nun: „CAMERAS Plan, die Geschichte umzuschreiben“

Der Artikel selbst führt an, dass „Die Pressure Group CAMERA….eine geheime, von langer Hand vorbereitete Kampagne fährt, um die populäre Online-Enzyklopädie Wikipedia zu unterwandern..., palästinensische Geschichte umzuarbeiten, plumpe Propaganda als Tatsache durchgehen zu lassen und die administrativen Strukturen Wikipedias zu entern, um sicherzustellen, dass ihre Änderungsmaßnahmen entweder unentdeckt oder unhinterfragt bleiben.“

Diese Textpassage erinnerte mich an den Werbespot für einen Film über Außerirdische, die die Erde erobern wollen.

CAMERA machte in seiner Herangehensweise eine Reihe von Anfängerfehlern, von denen der schwerste war, im Web 2.0 „Undercover“ zu operieren und eine Kampagne von oben nach unten zu führen statt in umgekehrter Reihenfolge. Jedoch hat sie die Initiative für die Heranbildung und Organisation der Aktivisten ergriffen, und schon allein dafür gebührt ihr viel Lob. Angesichts dieser Formfehler hätte das Ergebnis so lauten können, dass manche Wikipedia-Administratoren CAMERA schelten - in dem Sinne, dass „es nicht unsere Arbeitsweise ist“.

Die Einmischung von Electronic Intifada gibt der Sache eine neue Wendung. Und größtenteils handelt es sich um eine Verdrehung. CAMERA als Pressure Group zu bezeichnen ist schon ein wenig heftig, wenn man selbst einer Organisation angehört, die sich als Pressure Group versteht. Auf der Seite „Über uns“ aus dem Jahr 2001 beschrieb sich Electronic Intifada als „fokussiertes Netzwerk Palästinensischer Aktivisten, inspiriert von einer Reihe Internetprojekten, die nur auf einen Punkt des Streites abzielen - den Krieg in den Medien für die Darstellung des Standpunktes der Palästinenser zu nutzen“.

Dies verträgt sich nur schwer mit dem Wikipedia-Grundsatz des neutralen Standpunktes. Der Artikel - der auf eine „geheime, von langer Hand vorbereitete Kampagne“ verweist, die „orchestriert“ wurde, Wikipedia zu unterwandern - ist mit jener Sprache angereichert, die man normalerweise vorfindet, wenn von „Fünften Kolonnen“ oder sogar jüdischer Kabbala in antisemitischen Verschwörungstheorien die Rede ist. Das Bild israelischer Flaggen, die den Wikipedia-Globus einhüllen, erinnert ebenso an klassische antisemitische Symbolik wie jenes, das die Nazis verwendeten. Um zu verstehen, warum dieser Vorwurf der „Infiltration“ so viel Gift beinhaltet, muss man das Prinzip von Wikipedia verstehen. Seine grundlegende Idee ist, dass jeder die Online-Enzyklopädie redigieren kann. Wie also kann dann von jemandem gesagt werden, dass er Wikipedia unterwandert?

Manche mögen protestierend einwerfen: „Aber diese Leute wollten sich zusammenschließen und auf diese Weise eine gewisse Kontrolle über den Redaktionsprozess ausüben!“ Und ich sage „Na wenn schon?“ So funktioniert Web 2.0. Das ist Web 2.0-Demokratie. Nicht perfekt - und manche mögen sogar einwenden, dass es keine gute Sache ist. Auf diesem Konzept beruht aber Wikipedia.

Bei Wikipedia gibt es andere Projekte, für die Leute in Gruppen arbeiten, um Artikel zu verbessern und zu gewährleisten, dass ihre Sicht der Dinge vertreten wird. Das heimtückischste davon ist aber das WikiProject Palestine. Dieses Projekt versucht nicht nur, Inhalte palästinensischer Lebensweise und Anschauung zum Nahostkonflikt zu entwickeln (womit ich kein Problem habe), es versucht aber auch, die öffentliche Wahrnehmung pro-palästinensischer Gruppen zu organisieren, während sie gleichzeitig Rufmord an pro-israelischen Gruppen betreibt.

Wikipedia-Projekte funktionieren so, dass man eine Reihe von Seiten aufbaut und vorhandene pflegt, die wiederum Teil des Projektes sind. Dies könnten Seiten von Wikipedia selbst oder neu hinzukommende Einträge sein, um deren Hinzufügung die Autoren nachfragen. Mitglieder des Projektes- alles Freiwillige - sehen sich dann alle Artikel an, entwickeln sie weiter oder verbessern sie. Wenigstens steckt diese Idee dahinter.

Eine Anzahl Artikel sind sowohl für WikiProject Israel als auch WikiProject Palestine interessant, so z.B. die Seite über Jerusalem. Weshalb aber CAMERA, NGO Monitor, MEMRI und StandWithUs Mitglieder von Projekt Palestine sein sollten, ist weit weniger klar. Zwei davon sind nur bei WikiProject Palestine zu finden (und nicht z.B. in WikiProject Israel). Die Logik ist offensichtlich. Weshalb aber erweise auf Artikel dieser Organisationen, kombiniert mit einer gewissen Methode, eigene Kenntnisse einzusetzen, um sie zu diskreditieren, werden jeden Tag einer dieser auf Wikipedia zitierten Organisation zugeschrieben und sie suggerieren, dass einige Aktivisten die Geschichte bereits zum Vorteil ihrer eigenen Agenda umgeschrieben haben.

Die Kampagnen werden jedoch nicht alle mit negativer Absicht geführt. So sparen sie z.B. auch mit Kritik bei jenen Organisationen, die ihre Sache unterstützen (wie zum Beispiel das israelische Committee Against Housing Demolitions (ICAHD), auch Teil von Project Palestine [Castollux hat zum Thema NGO’s einen eigenen kritischen Beitrag eingestellt]). In beiden Fällen wird die gleiche Agenda vorangetrieben. Dies hat nichts mit geheimen Kabalen, jüdischen Lobbys oder Besuch von Außerirdischen zu tun. Das ist Online-Krieg, und Electronic Intifada ist dabei keine unbeteiligte Zuseherin. Sie ist eine der Kombattanten, die mittels Verschwörungstheorien, Rassismusvorwürfen und öffentlicher Unwissenheit versucht, die Gegenseite in der Debatte auszuschalten, während sie selbst - zurzeit effektiver als jemals zuvor - weiterhin daran arbeitet, Geschichte umzuschreiben.

Wenn Sie sicher gehen wollen, dass ein sorgfältiger Beitrag zur Geschichte geleistet wird, dann loggen Sie sich bei Wikipedia ein und machen Sie mit. Sie brauchen keine Organisation, die Ihnen sagt „wo's lang geht“. Sie brauchen keine Anweisungen von der Gruppe. Tun Sie ihr Bestes, Fehler auszubessern, Propaganda zu entfernen und die Regeln einzuhalten. Stimmen Sie für die, die saubere Arbeit leisten und machen Sie die kenntlich, die Vandalismus ausüben. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön zu sagen pflegt.

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Der Autor hat kürzlich in Großbritannien im Fach Informatik promoviert (PhD). Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am politikwissenschaftlichen Institut der Universität Bar-Ilan ist er auch Legacy Heritage Fellow bei NGO Monitor. In den vergangenen drei Jahren war er verantwortlich für www.ZionismOnTheWeb.org, die Online-Antisemitismus beobachtet und bekämpft.

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