Mittwoch, Juni 17, 2009

Ulrich Pick in Teheran: Hardliner nicht gleich Hardliner

Diesen Gedanken scheint ARD-Hörfunkreporter Ulrich Pick (Abbildung; Quelle: NDR) verinnerlicht zu haben. Wenn er in diesen Tagen telefonisch aus Teheran zugeschaltet wird, sollte man eigentlich froh sein, dass mit ihm ein Mann berichtet, der politisch nicht festgelegt zu sein scheint. Sollte... und scheint....

Problematisch wird's, wenn Pick (wegen der Ausgangssperre für Journalisten) nachts aufs Dach hinausgeht und von dort berichtet. Problematisch deshalb, weil er meint, die Rufe Abertausender Iraner, die sich ebenfalls auf den Dächern rundum versammeln, für uns Zuhörer so interpretieren zu müssen, dass wir sie auch richtig verstehen (sollen)*: Tod der Diktatur (andere Berichte sagen Tod dem Diktator), dann die vielstimmige Herstellung einer Analogie zwischen dem dritten Imam al-husain und Mussawis Vornamen Hossein. Dazu das Allah-u-Akhbar.

Pick geht nun her und beginnt flugs mit der Auslegung: die Nennung der Vornamen des dritten Imam und Mussavis in einem zusammengezogenen Ruf bedeute, dass man Mussawi mit jenem Ali-Sohn aus dem 7. Jahrhundert gleichsetze und in ihm einen Erlöser sehe, was etliche hartgesottene Mussawi-Anhänger sicher auch so sehen. Aber die Mehrheit der jungen Iraner? Das Allah-u-Akhbar, so Pick gleich hinterher, ließe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass das Volk die islamische Republik in ihrem Ist-Zustand erhalten wolle. Einfacher und holzschnittartiger geht's kaum noch.

Nun weiß ich nicht, wie viele Hochhäuser Ulrich Pick in Teheran von seinem Standort aus überblicken kann, was bei einer Einwohnerzahl von 13 Millionen sehr schwierig sein dürfte; vielleicht kann er auch die Rufe aus dem Dutzend anderer großer iranischer Städte, in denen die Menschen mittlerweile auf die Straße gehen, interpretieren und sogar hören. Überraschen würde es mich nicht, denn unsere Öffentlich-Rechtlichen (Hoch lebe die GEZ!) sind Spezialisten dafür, wie man Korrespondenten in Tel Aviv, Jerusalem, Kairo oder Beirut stationiert, um sie dann - Wunder über Wunder - aus dem Gazastreifen oder dem Sudan live berichten zu lassen.

Ulrich Pick steht also auf einem Hochhaus in Teheran, ist in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt und muss nervigen Moderatoren im Rundfunk hierzulande die Lage erklären. Doch warum diese vorschnelle Interpretation? Wahied Wahdat-Hagh von der European Foundation for Democracy in Brüssel weiß es besser, ohne vor Ort zu sein: Mussawi ist ebenso ein Hardliner wie Ahmadinejad und die restlichen zwei Kandidaten, die zur Wahl angetreten waren. Oder hätte der Wächterrat, der direkt der Wespenkönigin Ali Chamenei untersteht und sie gleichzeitig schützt und füttert, einen Kandidaten durchgelassen, der auch nur andeutungsweise die Systemfrage stellt? Und ein wenig dankbar müssen Chamenei und der Wächterrat ihrem Mussawi schließlich ja sein, zumal er das iranische Nuklearprogramm kräftig angeschoben hat und schon einmal Studenten kräftig verprügeln ließ.


An all das denkt Ulrich Pick nicht, und er vergisst auch, dem geneigten Hörer mitzuteilen, dass der Wächterrat von über 1.400 Bewerbern bis auf die vier durchgeschlüpften Hardliner (ein international gesuchter Bombenleger und Verbrecher ist auch darunter) alle gnadenlos abschmetterte. Warum dazu nicht ein, zwei Sätze?

Was die Pick-Reportagen (die von Peter Mezger sind fast noch schlimmer) besonders ärgerlich macht: Der ARD-Mitarbeiter hätte wenigstens andeuten können, dass in den Straßen Teherans mehr passiert und mehr erhofft wird als das, was man verschlafen im Oval Office oder bei Hempels auf dem Sofa wahrnimmt. Warum verwies er (der Kenner) nicht darauf, dass die Jugend - und das sind nun mal beinahe alle Demonstranten und damit über 60% aller Iraner - keinen Bock auf eine Entscheidung zwischen diesem oder jenem Hardliner hat, sondern das System prinzipiell in Frage stellt? Warum sagt Pick, Mussawi hätte die Demonstranten aufgerufen, ab jetzt zu Hause zu bleiben und liefert nicht die richtige Erklärung hinterher? Mal' sehen, was in den nächsten Tagen von Herrn Pick kommt.

Allah-u-Akhbar-Geschrei muss nicht zwangsläufig die Forderung nach Beibehaltung des islamischen Terrorregimes bedeuten - auch wenn's Ulrich Pick noch
immer in den Ohren dröhnt.

Von Tehranlive.org hier noch eine große Bilderserie. Einige Bilder sind sehr schockierend. Gefunden bei DenkBar.

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*Ulrich Pick erklärte dazu, dass er nun sein Mikrofon in den Nachthimmel halte und man konnte auch die Sprechchöre hören, allerdings ziemlich undeutlich.

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