Freitag, Dezember 14, 2007

Bombensichere Geheimdiensterkenntnisse

Vor drei Tagen äußerte der ansonsten notorisch auf Appeasement getrimmte SPIEGEL - wenige Tage nach seiner Häme gegen die Bush-Administration - den ersten vagen Verdacht, dass die vor 11 Tagen veröffentlichte Studie von 16 amerikanischen Geheimdiensten, die dem Iran eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ bis etwa zum Jahr 2015 ausstellte, wohl doch alles andere als überzeugend ist. Er steht mit seiner Einsicht nicht allein. Unmittelbar nach der medialen Verbreitung des Dossiers waren aus Israel besorgte Töne „Gleich einem Selbstmord“ zu hören, die nun ausgerechnet von Frankreich, dem ehedem „unzuverlässigsten“ Partner der USA, zuerst aufgenommen wurden. Aber die Chirac-Administration ist so vergessen wie nur irgendetwas und Nicolas Sarkozy hat die transatlantischen Beziehungen in einem atemberaubenden Tempo erneuert.

Dass der „überzeugte Choleriker“ in Teheran, so Lizas Welt, und hinter ihm das versammelte klerikalfaschistische Regime, sich diebisch über diesen veritablen Bock freuen, den die Bush-Administration da geschossen hat, dürfte mittlerweile nicht nur dem energischen Franzosen aufgefallen sein. Die amerikanische Regierung hat, so scheint es, sich selbst alle Optionen, die vorher noch auf dem Tisch lagen, aus der Hand geschlagen. Schon 2005 - also zu einem Zeitpunkt, zu dem das Nuklearprogramm nach der vorübergehenden Aussetzung und Zergliederung in elf verschiedene Bereiche wieder angeschoben wurde, hatte Benjamin Netanjahu darauf gedrängt, die Atomanlagen aus der Luft anzugreifen, wie dies 1981 beim irakischen Reaktor Osirak
der Fall gewesen war und dem damaligen Premier Menachem Begin „20 Jahre Ruhe“ gebracht hatte. Nun sind zwei weitere Jahre vergangen, der Iran hat knapp 3.000 Gaszentrifugen zur Urananreicherung zusammengeschaltet und mit dem Bau eines Schwerwasserreaktors bei Arak begonnen, der ihn befähigen wird, in eigener Regie Plutonium zum Bau von Atombomben herzustellen.

Es wird das ewige Geheimnis der NIE (National Intelligence Estimate) bleiben, warum sie ausgerechnet einen so „zurückhaltend“ formulierten Bericht abgeliefert hat. Und Alan M. Dershowitz ist sicher nicht der Einzige, der sich dazu seine Gedanken gemacht hat. Castollux hat seinen Aufsatz übersetzt.


Dummer Geheimdienst
Alan M. Dershowitz

Der kürzlich veröffentlichte Geheimdienstbericht, der zu der Schlussfolgerung gelangte, dass der Iran im Jahr 2003 sein Atomwaffenprogramm gestoppt hat, enthält so ziemlich die dümmste Einschätzung, die ich jemals gelesen habe. Sie fällt auf eine durchsichtige und wechselnde Taktik herein, die nicht nur vom Iran, sondern auch von mehreren anderen Atommächten in der Vergangenheit angewandt wurde.

Die Taktik ist offensichtlich und allen Geheimdienstexperten mit einem IQ oberhalb des Werts der durchschnittlichen Raumtemperatur bekannt. Und so funktioniert sie: Es gibt zwei Möglichkeiten zur Herstellung von Atomwaffen: Eine davon ist, Forschung zu betreiben und Technologie zu entwickeln, die direkt der militärischen Verwendung dient. So gingen die Vereinigten Staaten vor, als sie im Rahmen des Manhattan-Projekts die Atombombe entwickelten. Die zweite Möglichkeit besteht darin, Atomtechnologie zur zivilen Nutzung zu entwickeln und im weiteren Verlauf die zivile Technologie für militärische Zwecke zu verwenden.

Jeder Geheimdienst weiß, dass der schwierigere Weg, Atomwaffen zu entwickeln, nach der zweiten Variante verläuft, nämlich mittels der zivilen Anwendung. Oder anders gesagt - es ist verhältnismäßig einfach, in einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne von Variante 2 auf Variante 1 zu wechseln. Valerie Lincy und Gary Milhollin, Experten auf dem Gebiet auf dem Gebiet der Kontrolle für nukleare Abrüstung, dazu in einem Gastbeitrag in der New York Times am 6. Dezember 2007:

„Während des vergangenen Jahres, in einem Zeitraum, als das iranische Atomwaffenprogramm scheinbar stoppte, arbeitete die Regierung mit Hochdruck an der Installation von knapp 3000 Gaszentrifugen in der Nuklearanlage Natanz. Diese Maschinen könnten, wenn sie ein Jahr über ununterbrochen in Betrieb sind, genug Uran anreichern, um eine Bombe zu bauen. Darüber hinaus dienen sie keinem nachvollziehbaren Zweck für ein ziviles Atomprogramm des Iran. Sämtlicher Bedarf an angereichertem Uran für den Iran zu zivilen Zwecken ist durch einen Vertrag mit Russland abgedeckt.

„Der Iran baut zusätzlich einen Schwerwasserreaktor in seinem Forschungszentrum bei Arak. Dieser Reaktor ist hervorragend zur Herstellung von Plutonium für Atombomben geeignet, aber von geringem Gebrauchswert für ein Energieprogramm wie dasjenige des Iran, wo für den Betrieb des Reaktors kein Plutonium verwendet wird. Indien, Israel und Pakistan haben ähnliche Reaktoren gebaut - alle zu dem Zweck, Atomwaffen zu bauen. Und warum eigentlich beharrt der Iran auf einem Atomprogramm, wenn er auf gewaltigen Erdölreserven sitzt und der Rohölpreis astronomische Höhen erreicht? Und warum entwickelt der Iran Shahab-Langstreckenraketen, die militärisch sinnlos sind, wenn auf ihnen kein nuklearer Sprengkopf montiert ist?

„…Der vorübergehende Stopp seiner geheimen Anreicherung und Anstrengungen zur Rüstungsentwicklung im Jahr 2003 beweisen nur, dass der Iran einen taktischen Schachzug ausgeführt hat. Er setzte die Arbeiten aus, weil sich im Falle einer Aufdeckung unzweideutig herausgestellt hätte, dass er beabsichtigte, die Bombe zu bauen. Gleichzeitig hat er andere Arbeiten fortgeführt, die entscheidend zum Bau einer Bombe beitragen, so dass es über die Bühne gehen konnte, da er zivile Anwendungsmöglichkeiten hat“.

Du Dummkopf! Wie kann man sich dann einen so offensichtlichen Fauxpas bei den Geheimdiensten erklären? Eine Erklärung könnte im alten Sprichwort „Militärischer Geheimdienst verhält sich zu Geheimdienst wie Militärmusik zu Musik“ zu finden sein. Aber ich kann einfach nicht glauben, dass unsere Geheimdienste von der Art Einfallspinseln bevölkert sind, die so offensichtlich auf eine iranische Masche hereinfallen würden.

Wahrscheinlicher ist, dass sich in dem Bericht eine Agenda verbirgt. Wie könnte diese Agenda aussehen? Um eine verborgene Agenda aufzuspüren, sollte man immer nach dem Nutznießer fragen. Wer profitiert von diesem durch und durch fehlerhaften Bericht? Klar - der Iran auf jeden Fall. Aber es ist unwahrscheinlich, dass iranische Interessen irgendeine amerikanische Agenda beeinflussen könnten. Lincy und Milhollin schreiben:

„Wir sollten jedes Dokument misstrauisch betrachten, das plötzlich der Regierung Bush einen Vorwand für ein großes nationales Sicherheitsproblem gibt, das sie während der verbleibenden Amtszeit nicht lösen will. Wäscht die Regierung ihre Hände angesichts der unlösbaren iranischen Nuklearbedrohung in Unschuld, wenn sie sagt „Wenn wir uns damit nicht beschäftigen, kann auch nichts zerstört werden?“ Meine Meinung ist, dass die Autoren ihren letzten Krieg kämpften. Nein, nicht den im Irak, sondern eher das, was sie als Vizepräsident Cheneys Bestreben ansehen, gegen den Iran in den Krieg zu ziehen."
Dieser Bericht nimmt sicherlich den Wind aus jenen Segeln. Aber das war der letzte Krieg des vergangenen Jahres. Niemand in Washington hat ernsthaft daran gedacht, den Iran anzugreifen, seit Condolleezza Rice und Robert Gates Cheney als außenpolitische Macht hinter dem Thron verdrängt haben. Was auch immer Agenda und Motiv dieses Berichts sein mag, er wird in die Geschichte eingehen als eine der gefährlichsten, törichtsten und kontraproduktivsten Geheimdiensteinschätzungen der Geschichte. Er wird die Iraner ermutigen, noch mehr Anstrengungen in die Entwickelung von Atomwaffen zu investieren. Wenn der Bericht Recht hat mit dem Argument, dass der einzige Weg, den Iran von der Entwicklung der Bombe abzuhalten, die Beibehaltung des internationalen Drucks ist, dann müssen die Autoren des Berichtes auf jeden Fall wissen, dass sie im Alleingang jeden Anreiz für die internationale Gemeinschaft verringern, den Druck aufrechtzuerhalten.

Wenn Neville Chamberlain nicht schon lange verstorben wäre, würde ich mich fragen, ob er dazu beigetragen hatte, als dieses Peace-in-our-Time-Fiasko des Geheimdienst-Dossiers abgefasst wurde. Ich wünschte mir, dass die Geheimdiensteinschätzung richtig ist. So wie sich das die meisten Medien wünschen, die seine naive Schlussfolgerungen mit unkritischem Enthusiasmus aufgenommen haben. Die Welt wäre ein weit sichererer Ort, wenn der Iran tatsächlich seine Anstrengungen beendet hätte, einsatzfähige Atomwaffen zu entwickeln. Aber der Wunsch nach einem erstrebenswerten Ergebnis alleine führt nicht zu selbigem. Die Vorspiegelung, ein erstrebenswertes Ergebnis träte ein, wo doch die besten Informationen darauf hinweisen, dass dem nicht so ist, wird nur zum schlechtesten Ergebnis führen.

Die Autoren dieses verdrehten Berichts, der die Politik so unmittelbar und negativ beeinflusst, werden viel damit zu tun haben, ihn zu verantworten, wenn ihre Einschätzung zu einer Reduzierung des Drucks auf den Iran führt - der einzigen Nation, die wirklich damit droht, bei einem Angriff auf ihre Feinde nukleare Waffen einzusetzen. Sie werden sich die Frage gefallen lassen müssen, wie sie ihn auf seinem klar erkennbaren Weg, die gefährlichste mit Nuklearwaffen ausgerüstete Militärmacht der Welt zu werden, aufhalten wollen.

Hattip: Eurient

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