Sonntag, August 17, 2008

Bielefelder Mobbingkultur, Teil 2 (Interview mit Heinz Gess)

In der ZEIT-Ausgabe vom 14. August hatte Evelyn Finger einen Kurzkommentar (Nur Print-Version verfügbar) zu den Vorkommnissen um den Bielefelder Soziologieprofessor Heinz Gess geschrieben und dabei deutlich zum Ausdruck gebracht, was sie vom Maulkorberlass hält, der ihm in Form eines Disziplinarverfahrens auferlegt wurde. Castollux berichtete in diesem Beitrag über den unerhörten Vorgang, in dem einem Wissenschaftler seitens der Rektorin untersagt wird, Forschungsergebnisse über die Tätigkeit des nazistischen Wissenschaftlers und hochrangigen ehemaligen NSDAP-Funktionärs Werner Haverbeck, der ab 1972 an der FH Bielefeld "lehren" durfte, öffentlich zu thematisieren.

Castollux hat mit Prof. Dr. Heinz Gess ein Kurzinterview geführt, das näheren Einblick in die Entwicklung an der FH Bielefeld während der letzten Wochen vermittelt.

Herr Prof. Dr. Gess, wie beurteilen Sie das gegen Sie eingeleitete Disziplinarverfahren?

Heinz Gess: Das Disziplinarverfahren ist ein unglaublicher Eingriff in der Freiheit der wissenschaftlichen Kritik, wie ich ihn bis dahin nicht für möglich gehalten hätte. Mit dem Angriff soll Angst verbreitet werden und die Hochschullehrer zum Kuschen angehalten werden. Er ist ein regelrechter Maulkorberlass. Zugleich zeugt das Verfahren von einer außer­ordentlichen Arroganz der Macht, sprich der hiesigen Hochschulleitung. Aus diese Arroganz spricht, dass der Hochschulleitung die politische Lage und der Konformismus, der sich an der Hochschule breit gemacht hat, ihr ein solches Vorgehen gestattet, ohne dass sich nennenswerter Protest dagegen regen würde.

Castollux: Wie erklären sie sich das erstaunliche Verhalten der Hochschulleitung? Wie konnte es dazu nur kommen?

Heinz Gess: Dafür gibt es meines Erachtens von der Sache her mehrere Gründe:

Erstens: das neue Hochschulfreiheitsgesetz NRW:

Das Gesetz beschränkt unter dem irreführenden Namen „Hochschulfreiheit“ die Freiheit der Hochschullehrer drastisch. Es ist insofern ein antidemokratisches Gesetz. Das Rekto­rat wird nun nicht mehr von den Mitgliedern der Hochschule gewählt, sondern vom Hoch­schulrat bestimmt. Auch der Hochschulrat ist kein gewähltes Organ, sondern von der nicht gewählten Hochschulleitung bestellt. Die Hochschullehrer sind keine Landesbeamten mehr, sondern nur noch Hochschulbeamte und damit unmittelbar und ausschließlich der demokratisch nicht legitimierten Hochschulleitung unterstellt sind. Solch ein Macht­zu­wachs muss jenen, die es immer schon mit der Macht hielten und denen Argumente und Kritik immer nur ein lästiges Beiwerk waren, wie ein Geschenk des Himmels erscheinen. So ist es kein Wunder, dass ich z.B. nur eine Woche nach meiner Zwangs­übernahme zum Hoch­schulbeamten, gegen die ich rechtliche Schritte einleitete, aus nichtigem Anlass mein erstes Disziplinarverfahren erhielt, das freilich von der Diszi­plinarkammer nicht ange­nommen wurde.

Zweitens: die Konzentration auf die "Außendarstellung der FH"

Im Zentrum der neuen Hochschule steht ihre Selbstvermarktung oder "Außendarstellung". Ob wahr oder falsch wird dabei zweitrangig. Wichtig ist, bei der Herrschaft gut anzu­kom­men. Herrschaft heiß in diesem Fall: bei den Industrieführern, der Kulturindustrie, den Chefs der Verwaltungen. Unter diesen Bedingungen wird der Konfor­mismus Trumpf. Und nun kommt da ein Hochschullehrer aus der eigenen Hochschule und macht ohne Not der Öffentlichkeit bekannt, dass an der Bielefelder Fachhochschule in den sieb­ziger Jahren ein Nazi und bekannter Rechtsextremer gelehrt und in einem bewusst un­auf­fällig gehaltenen Einstellungsverfahren (also keinem normalen Berufungsverfahren) an­gestellt worden sei und anschließend seine verdorbenen Früchte unter die Leute ge­bracht habe. Das muss doch die lediglich an der Außendarstellung interessierte Hoch­schulleitung empören, nicht wahr? Nicht der negative Sachverhalt selbst stört die FH Leitung, son­dern dass er an die Öffentlichkeit gerät und kritisiert wird. Der Bote wird für die schlechte Botschaft be­straft, weil sie der Reklame schadet. Aber das ist hierzulande ja nichts Neues mehr.

Drittens: Die in Deutschland übliche Form der Erinnerungs- und Schuldabwehr

Die öffentlichen Schuldeingeständnisse deutschet Amtsinhaber etwa zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung von der Herrschaft der Nazis, die viele Deutsche immer noch für die größte Niederlage des deutschen Volkes halten, sind Makulatur. Sie sind durchweg zu Inszenierungen der Außen­dar­stellung, des Selbstmarketings Deutschlands geworden. Viele wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre belegen, dass die Enkel und Enkelinnen aktiver Nazis ihre Großväter allesamt für unschuldig halten, selbst dann, wenn sie in der SS oder in der Gestapo waren, halten daran fest, dass die Großväter Opfer des Systems oder sogar heimliche Widerstandskämpfer waren. In der Fachhochschule wurde mit derselben Geistlosigkeit stets davon ausgegangen, dass alle Fachhochschullehrer im fraglichen Alter nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun hatten, und gerade dieser kollektive Mythos wird durch den Verweis auf Haverbeck, der zeitlebens ein Nazi geblieben ist und als moderner Nazi an der Fachhochschule praktizierte, Lügen gestraft. Das ist für die Mythengläubigen sehr ärgerlich und weckt ihre Aggression.

Haverbeck wurde in einem „unauffälligen Einstellungsverfahren“ an der FH angestellt. Man darf deshalb vermuten, dass es eine Seilschaft alter Kameraden gegeben hat, die ihm diese unauffällige Einstellung ermöglichte. Dafür sprechen auch andere Hinweise, wie die, dass Haverbeck vom ersten Tag seiner Einstellung an aus dem Fachbereich Sozialwesen in die Ingenieurwissenschaften abgeordnet wurde. Dass es so gewesen sein könnte, ist für die Fachhochschule ein sehr unangenehmer Gedanke, den sie durch die Verhängung des Disziplinarverfahrens vermutlich unterdrücken möchte.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel, wie die Erinnerung an die Vergangenheit ausgelöscht wird, gibt das Ministerium für Forschung und Entwicklung selbst. Als Antwort auf eine Anfrage des Asta zum Sachverhalt schreibt es. Ich zitiere:

"Im Rahmen des unauffälligen Einstellungsverfahrens hat Herr Professor Haverbeck die üblichen Erklärungen unterschrieben, mit denen er u. a. bestätigt, dass er keiner Organisation angehört und keine Organisation fördert, deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet oder die darauf ausgeht, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu gefährden.
Auch aus den Unterlagen und seinem Lebenslauf ergaben sich keine Hinweise auf einen Sachverhalt, der einer Einstellung widerspricht.
Unter Hinweis auf § 2 Abs. 3 und § 9 Informationsfreiheitsgesetz NRW bitte ich um Verständnis, dass ich keine weiteren personenbezogenen Daten offenbaren kann und verbleibe mit freundlichen Grüßen ...."

Diese Antwort ist geradezu hanebüchen und unfassbar arrogant. Da wird läppisch mitgeteilt; Haverbeck sei in einem unauffälligen Einstellungsverfahren angestellt worden und ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass man das so hinzunehmen habe und es nicht der Aufklärung bedürfe, warum seine Einstellung "unauffällig“ erfolgte. Ferner wird ebenso läppisch mitgeteilt, Haverbeck habe beeidigt, dass er keiner verfassungsfeindlichen Organisation angehöre. Also habe man von nichts was gewusst. Ja, gibt’s denn das? In Wahrheit wurde Haverbeck doch schon 1973 Vorsitzender des rechtsextremen WSL*. Wie aufmerksam von der Behörde, die damals so bekanntlich sehr intensiv damit beschäftigt war, jeden linken Kritiker deutscher Verhältnisse, der sich einmal auf einer Demo hatte blicken lassen, zu identifizieren und aus dem Staatsdienst zu entfernen. Vermutlich hätte sie aber, selbst wenn jemand sie auf Haverbeck aufmerksam gemacht hätte, ihn nicht einmal als "neuen" alten Nazi erkannt, weil sie bewusstlos ähnlich dachte wie er und auf den „neuen“ Jargon der kulturalistischen Eigentlichkeit und der öko-systemischen Echtheit hereingefallen wäre, wie so viele „Linke“ jener Zeit. Die Krone aber wird dem Ganzen dadurch aufgesetzt, dass man vorgibt, selbst von der Nazi-Vergangenheit des Naziführers Haverbeck nichts gewusst zu haben, weil er in seinem Lebenslauf nichts davon berichtet habe. Volksverdummender geht es nimmer. Das stößt besonders übel auf, weil so noch im Jahr 2008 und nicht etwa 1978 geantwortet wird.

Castollux: Das Rektorat unterstellt in seiner Einleitung des Disziplinarverfahrens nach den vorliegenden Informationen, es ginge Ihnen lediglich um die Diskreditierung von Personen in der Hochschulleitung.

Heinz Gess: Das ist falsch, weit hergeholt und eine Umkehrung des wirklichen Sachverhalts. In Wahrheit geht es dem Rektorat um mich, meine Arbeit an der kritischen Theorie und insbesondere das Kritiknetz - darum, zu diskreditieren, zu ruinieren und aus der Hochschule zu entfernen. Die Kritische Theorie wird von der Rektorin zur unwissen­schaftlichen Privatsache erklärt und am liebsten von der FH verbannt, indem man ihrem Verfechter mit immer neuen Sanktionen droht. Der Täter inszeniert sich in diesem Fall gewissermaßen als Opfer, um sich das Recht zu geben, zuschlagen zu können, und das nicht das erste Mal.

Was meinen Vorspann zum Artikel von Bierl und Heni über Haverbeck angeht, so habe ich darin ausdrücklich festgestellt, dass es mir um die Kontinuität einer Praxis der Hochschulleitung als Institution geht und hervorgehoben, dass das nicht ad personam gemeint ist. Deshalb ist dieser Vorwurf völlig unverständlich. Die Kontinuität, um die es mir geht, liegt darin, dass jedenfalls im Fachbereich Sozialwesen dem konformistischen Jargon der Eigentlichkeit oder dem esoterisch- ökosystemischen Jargon, der sich kon­struktiv kritisch gibt - eben so wie es Haverbeck in den siebziger Jahren tat - stets der Vorzug gegeben wird vor der kritischen Theorie der Gesellschaft. Während jene, die sich konformistischer Jargons bedienen, beinahe machen können was sie wollen, wird die kritische Theorie in jeder ihrer Variationen bekämpft - mit der erkennbaren Intention, sie aus der Hochschule zu entfernen. Darauf zielt vermutlich das neue Disziplinar­verfahren gegen mich hin.

Ich hoffe, dass die Hochschulmitglieder sich diese autoritäre, konformistische Praxis nicht länger gefallen lassen, gehe aber davon aus, das sie sich lieber heraushalten, um sich nicht den Mund zu verbrennen.

Castollux: Sie sagten zuvor, es existieren von der Sache her mehrere Gründe. Soll das heißen, dass es daneben auch noch persönliche Gründe gibt?

Heinz Gess: Das kann ich nicht sicher wissen. Denn falls es sie bei der Rektorin gibt werden sie vollständig verleugnet. Ich vermute aber, dass Sie völlig Recht haben und mit Ihrer Frage ins Schwarze treffen. Denn die Begründungen für die Sanktionen - auch schon die früheren - waren und sind von der Art her weit hergeholt und fadenscheinig, sodass diese Vermutung sehr, sehr nahe liegt. Ich habe in der Vergangenheit in einem sehr persönlich gehaltenen Schreiben an das Rektorat die Vermutung auch schon geäußert und darum gebeten, eine Gesprächsform zu wählen, die es uns ermöglichte, über Kränkungen und Verletzungen miteinander zu sprechen, damit sie verheilen können. Aber der Gedanke wurde ziemlich brüsk abgewiesen.

Castollux: Herr Professor Gess, Dank für die offenen Worte und alles Gute für die Zukunft.

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*Weltbund zum Schutze des Lebens e.V.

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