Montag, Oktober 08, 2007

Geburtstag meets Todestag

Als Wladimir Putin am 7. Oktober 2006 seinen 54. Geburtstag feierte, wurde ein paar Kilometer entfernt seine schärfste Kritikerin, die Journalistin Anna Politkowskaja, in ihrem Wohnhaus mit mehreren Schüssen niedergestreckt. Ein Auftragsmord als Geburtstagsgeschenk?


Gestern, am 07. Oktober 2007, traf man sich wieder. Am frühen Nachmittag kamen auf dem Puschkinplatz im wolkenverhangenen Moskau etwa 1.500 Sympathisanten Anna Politkowskajas zusammen, um der Ermordung der Schriftstellerin vor einem Jahr zu gedenken.


Dieses Häuflein aufrechter Demokraten konnte man beinahe schon als wagemutig bezeichnen, wenn man bedenkt, wie gefährlich es mittlerweile in Russland ist, eine eigene Meinung zu haben. Dass es keine Massenkundgebung werden würde, war dennoch vorher abzusehen, da es nicht gerade russischer Gepflogenheit entspricht, ermorderter Journalisten zu gedenken.

Dennoch fuhr die Staatsmacht schwerstes Geschütz auf. Tausende Spezialkräfte des Innenministeriums - darunter die gefürchtete OMON - hatten bereits am Morgen im Stadtzentrum sämtliche Kreuzungen besetzt. Sie sollten beim geringsten Anzeichen, dass sich aus der Kundgebung ein Demonstrationszug entwickeln könnte, massiv eingreifen. So kurz vor den Parlamentswahlen (im Dezember) wollte man sich von der Opposition nicht mehr in die Suppe spucken
lassen und Anna Politkowskaja zur Märtyrerin im Kampf gegen die Regierung stilisieren.


Ein paar hundert Meter entfernt ging die Sause ab - und die gefürchtete Omon zeigte keine Präsenz. Die kremltreue Jugendorganisation Naschi (Die Unsrigen) machte so richtig einen drauf - zu Putins Geburtstag natürlich. Wenn das kein Grund zum Feiern war: Putin hatte Anna Politkowskaja um exakt ein Jahr überlebt. Der totalitär anmutende Singsang der Veranstaltung: "Beglückwünsche den Präsidenten, beglückwünsche das Land".


Dieser Nachmittag zeigte wieder einmal, in welche Richtung Putins Russland zu steuern gedenkt: Rückwärts. Die "gelenkte Demokratie" oder "So viel Staat wie notwendig, so viel Freiheit wie nötig" (Putin) ist auf dem besten Wege, sich in eine sowjetisierte Gesellschaft zurückzuentwickeln. Da kam eine mutige Frau wie Anna Politkowskaja natürlich zur Unzeit und besaß auch noch die Chuzpe, sich mit dem Machtapparat im Kreml inklusive dem Geheimdienst FSB anzulegen - der Nachfolgeorganisation des KGB aus tristen UDSSR-Zeiten, dem nicht wenige eine weit größere Machtfülle attestieren als allen Geheimdiesten vorher.


"Wir vergessen nicht!" lautete das Motto einer Veranstaltung in der Kleinen Bühne in Basel , auf der mit der tschetschenischen Journalistin Maynat Kurbanova und der Autorin Irena Brežnà Lesungen aus Anna Politkovskajas Büchern gehalten wurden. Gut, dass nicht vergessen wird, denn hätte die Angst das Sagen, gäbe es in Russland wohl keinen mehr, der darauf aufmerksam machen würde, dass sich Russland schnurstracks auf dem Weg in eine Putinkratie befindet, die mehr und mehr Züge dikatatorischer Willkür annimmt.


Es klingt beinahe zynisch, aber Anna Politkovskaja war das Pech beschieden, sich mit allen Seiten angelegt zu haben. Ihre nimmermüde und mutige Berichterstattung über die tschetschenischen Kriege, in der sie die Gewalt beider Seiten anprangerte, und ihre offene Kritik an Putins Regime waren sowohl den Regierenden in Russland wie auch den neuen Machthabern in Tschetschenien ein Dorn im Auge.

Politkovskajas Haltung nötigt neben einer gehörigen Portion Respekt des Öfteren auch eine andere Reaktion ab: Hass - von allen beteiligten Seiten.

"Wer widerspricht, ist in Todesgefahr", so Vera Politkovskaja, die Tochter Annas in einem Interview mit der FAZ und weiter: "Sie reagierte sehr schlagfertig auf die Autoritäten, denen sie gegenüberstand. Und sie widersprach immer, wenn sie mit der Meinung ihres Gegenübers nicht einverstanden war, egal ob es sich dabei um einen Richter, einen General oder um Ramsan Kadyrow, den tschetschenischen Ministerpräsidenten, handelte."

Anna Politkovskaja lieferte keine einseitige Kriegsberichterstattung der Art, wie man sie leider zu häufig antrifft. Ihr ging es in erster Linie darum, das Schicksal der einzelnen Menschen zu dokumentieren - gleich welcher Religion oder Staatszugehörigkeit. Und ihr Schicksal zeigt, dass Empathie und Mitmenschlichkeit oft schlecht belohnt werden.

Noch einmal Vera Politkovskaja: "Ich glaube nicht an die Gerechtigkeit, denn wir leben in Russland, und hier ist alles käuflich. Hier spricht das Geld das Recht und keine unabhängige Gerichtsbarkeit."

Ich hoffe, dass
Annas Tochter nicht Recht behält. Russland besitzt mehrere Politkovskajas.

Wir dürfen sie nicht im Stich lassen.

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