Donnerstag, Oktober 11, 2007

"Geht rein und macht sie kalt"


....titelte die türkische Tageszeitung Vatan heute.

Die türkische Regierung hat soeben grünes Licht für die Verfolgung der PKK-Rebellen bis auf nordirakisches Gebiet gegeben. Die Situation spitzt sich seit heute stündlich zu, da die Türkei den Beschuss kurdischer Dörfer im Nordirak intensiviert und trotz Warnungen der USA nicht einstellt.


Zudem wurde heute Nachmittag bekannt, dass die türkische Regierung „mit Empörung auf den Beschluss des außenpolitischen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses reagiert: Dieser stuft die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkrieges als Völkermord ein."

Im Bild: Teilnehmer einer antiamerikanischen Demonstration heute in der Türkei


Meldungen dieser Art, wie sie heute über die Ticker laufen, sollten eigentlich nicht allzu sehr überraschen. Die Vorgeschichte ist lang und die Entwicklung war abzusehen.

Großtürkische Träume haben spätestens seit dem Zusammenbruch des Irak wieder neue Nahrung bekommen. Instabilität an der südöstlichen Grenze, Spannungen mit dem Iran wegen dessen nuklearer Ambitionen und neuerdings die außenpolitisch für das Land völlig unwillkommene Diskussion darüber, ob der Völkermord an den Armeniern als solcher bezeichnet werden darf oder nicht, tragen mit dazu bei, dass die Türkei wieder einmal über ihre Rolle als geostrategischer Faktor im eurasischen Raum nachdenkt.

Im Machtzentrum Ankara gedeihen Vorstellungen dieser Art, weil man sich (bis heute) sicher glaubt, dass der Westen türkische Abenteuer durchgehen lässt und die Regierung im Konfliktfall durch die USA und die Mitgliedschaft in der NATO abgesichert sei. Eine hochbrisante Konstellation angesichts der mangelnden Einschätzungsfähigkeit, was die eigenen Perspektiven betrifft. Ob in dieser Situation Drohungen den USA gegenüber (wie seit gestern Nacht) das Maß aller vernünftigen türkischen Diplomatie bedeuten, muss stark angezweifelt werden, zumal die Türkei mittlerweile damit droht, den Amerikanern die Nutzung der Airbase in Incirlik zu untersagen. Die USA werden es verschmerzen - wie schon im letzten Irakkrieg.

Die gegenwärtige Situation scheint darauf hinzudeuten, dass es zu einem geostrategischen Paradigmenwechsel kommt - der sich mittelfristig vorteilhaft für die Türkei auswirken könnte, wenn der Westen keine eindeutige und einheitliche Stellung gegenüber der Türkei bezieht – NATO-Mitglied hin, PKK-Gangster her….

Die Türkei verfolgt m.E. unter Ministerpräsident Erdogan und Staatspräsident Gül (Abbildung unten rechts) mittelfristig drei Ziele:

Die radikale Islamisierung nach innen (mit allen negativen Folgen für die Opposition), die Verbreitung des Islam in Westeuropa über den demografischen Faktor, über die Da’wa (verdeckte Missionierung) und die Unterwanderung der Institutionen sowie die geostrategische Ausdehnung an ihrer südöstlichen Flanke.

Da die Türkei nicht mehr damit rechnet, in die EU aufgenommen zu werden - und welcher realistische Islam-Kritiker muss das bis 2025 ernsthaft befürchten, wird die innenpolitische Auseinandersetzung an Schärfe zunehmen, d.h., die Tendenzen zur Islamisierung aller Lebensbereiche in der Türkei werden mehr und mehr in praktische Politik umgesetzt. Offiziell ist der Islam nicht Staatsreligion in der Türkei, was selbstredend nicht notwendig ist, da 99% aller Türken Muslime sind (In der Mehrzahl Sunniten) . Umso leichter daher auch die Mobilisierung der Massen.

Die Expansionsgelüste in Richtung Westeuropa entwickeln sich (vorerst noch) anders. Hier rechnet die Türkei mit der hohen Geburtenrate der in Westeuropa lebenden türkischen Frauen bzw. der mit doppelten Staatsbürgerschaften. Diese Entwicklung geht einher mit der Unterwanderung der demokratisch-pluralistischen westlichen Staaten in Europa durch die zunehmende Akzeptanz der islamischen Gesetzgebung, der Scharia, wobei man regional sicher Unterschiede machen muss. („Demokratie ist wie eine Straßenbahn, die man verlässt, wenn man am Ziel angekommen ist“; Recep Tayyip Erdogan). Im stark christlich geprägten Bayern verläuft die Entwicklung auf absehbare Zeit sicher anders als z.B. im eher säkular dominierten Nordosten Deutschlands. Konfessionelle Parameter würden mittelfristig also vielleicht einmal für die Einbindung der griechisch-orthodoxen Länder Ukraine und später Serbien in die EU sprechen. Aber das ist graue Theorie...

Wer bisher glaubte, die Türkei außenpolitisch "auf Kurs" halten zu können, wird sich in Zukunft wohl auf einen anderen Gesprächspartner einstellen müssen, der, wenn die radikale Islamisierung - zuerst im eigenen Land - alle Gesellschaftsbereiche durchdrungen hat, auch keine Scheu mehr haben wird, sämtliche Hindernisse abzustreifen, die sich seinen militärischen Zielen im Nordirak, an den Grenzen zu Armenien und einem zukünftig wohl geschwächten Iran in den Weg stellen.

Eine Türkei, die sich zunehmend in eine radikal-islamische Richtung bewegt, kann übrigens auch für Israel kein vertrauenswürdiger Partner sein. Israel wird seine Beziehungen zur Türkei wohl überdenken müssen.

Es gibt mittelfristig nur einen Weg aus der Krise: Die säkularen Kräfte im Land müssen wieder an Stimme gewinnen. Doch dass dies so schnell nicht wieder der Fall sein wird, wissen die Herren Erdogan und Gül zu verhindern. An ihnen führt so schnell leider kein Weg vorbei.

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