…und die Kunst, Verstand und Gefühl an „Stolzdeutsche“ zu verlieren
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
ich habe dich bei deinem Namen gerufen;
du bist mein!
Oft haben Menschen, die sich geschäftlich oder wegen gleicher Interessenlagen kennen, intensiven Briefkontakt. So kommt es hin und wieder vor, dass die Mails mit den Jahren häufig hin und her wechseln und man verzichtet im Kontakt mit besonders vertrauten Menschen darauf, Anrede oder Namen des Gegenüber zu verwenden, wenn beide dies stillschweigend so handhaben und es sich eingeschliffen hat. Schließlich muss man sich nicht stets versichern, dass man gut befreundet ist oder seriöse Beziehungen pflegt.
Die eine oder andere (Mail-) Beziehung schläft ein, weil die Interessen nicht mehr übereinstimmen und man aus anderen Gründen nicht mehr in der Lage ist, die Verbindung aufrechtzuerhalten. Es gibt auch Situationen, in denen nach und nach unüberbrückbare Differenzen entstehen und eine Auflösung des Kontakts nicht mehr zu vermeiden ist. Aber selbst in diesen Situationen sollte man wenigstens noch die Form wahren, um den Kontrahenten nicht in seiner Würde herabzusetzen. Von mir aus ganz bewusst „politisch korrekt“, wenn Sie so wollen.
Eine der schlimmsten Beleidigungen, die mir aber ein Mensch zufügen kann, für den ich gute Gefühle empfinde, ist die, dass meine höfliche Bitte, mich das nächste Mal doch bitte mit meinem Namen anzureden, wiederholt schlicht übergangen wird. Gut - es gibt Streit. Aber der Kontakt (war) ja nicht abgebrochen. Warum also diese Taktlosigkeit? Bin ich ein Straßenköter, dem man einen Fußtritt gibt, nur weil ich darauf bestehe, dass auch ich Würde habe und das verdammt noch mal zu akzeptieren ist?
Es gibt Menschen, die meinen, dass eine „Idee“ für sie wichtiger ist als alles andere (auch wichtiger als Menschen?), so nach dem Motto „Der einzige Sinn meines Lebens besteht darin, das Abendland zu retten“. Sie reden auch sehr viel und sehr oft von Würde - auch von Amts wegen und da besonders weihevoll - natürlich meinen sie dabei nur ihre eigene bzw. die der „Gemeinschaft“, in der sie sich abgeschottet haben. Dass sie aber so ganz nebenbei Freundschaften vernachlässigen und bereit sind, diese aufzugeben, fällt ihnen nicht auf. Weist man sie darauf hin, wird man als „Feind“ angesehen. Weist man sie wieder darauf hin, laufen sie Amok. Und das fuchst mich ganz gewaltig. Sie begreifen nicht, dass man das Eine tun kann ohne das Andere zu lassen.
Was passiert nun, wenn diese Menschen in ihrem Vorhaben, das Abendland zu retten (wie unfreiwillig komisch), auf Zeitgenossen treffen, die neben der Rettung des Abendlandes noch etwas anderes vorhaben - nämlich eine bestimme Klientel bereitwillig zu bedienen - die der so genannten Stolzdeutschen, wie Clemens Heni sie völlig zu Recht bezeichnet, jene, die nur allzu oft Islamkritik mit Herabwürdigung von Menschen anderen Glaubens oder einer anderen Lebensform vermischen? Wie können diese Leute sich einerseits (zu Recht) darüber aufregen, dass es eine Sauerei ist, wenn wir im Koran als Schweine und Affen bezeichnet werden, sie selbst sich aber erlauben, politische Gegner (auch meine politischen Gegner) in Primatenpose abzubilden, miserabel zu recherchieren und den politischen Gegner mit billiger Polemik zu überziehen, weil ihnen der Saft für eine ernsthafte intellektuelle Auseinandersetzung fehlt? Wie viele "islamkritische" Seiten gibt es, die im Kielwasser der Israel-Sympathie schwimmen, sich in Wirklichkeit aber einen Dreck um Israel oder christliche Motivation scheren, auch wenn sie es lauthals verkünden oder plakativ anpreisen? Ich denke es gibt genug. Eine ist schon genug - und genug der gigantischen Heuchelei, die mit der Angst operiert. Der Blick in die Foren mancher Blogs - Pssst - zeigt mehr als deutlich, dass da etwas im Anmarsch ist, das alles Andere im Sinn hat - nur nicht seriöse Islamkritik. Und zum Thema „Israel“ gehen harmlose Reiseberichte noch gerade so durch.
Die gebetsmühlenartig vorgetragene Beteuerung, man zitiere hier und zitiere da, und sei überhaupt gewillt, so sauber wie möglich zu arbeiten, muss aber von der Fragestellung „Wie hältst du es mit Selbstkritik?“ begleitet werden, wenn unübersehbar wird, dass sich der rechte Mob im Kommentarraum festsetzt. Wie kommt es, dass ein tendenziöser Beitrag über Volker Beck (ich stimme mit ihm politisch auch nicht überein) 200 überwiegend hässliche Leserstimmen rauskitzelt - ein (guter) Aufsatz von Jungle World über die Parallelen zwischen Nazis und Islamisten jedoch nur etwas über 20?
Merke: Ein guter Homosexueller ist einer, der islamfeindlich ist. Ein schlechter Homosexueller ist Volker Beck. Alles klar?
Was passierte wohl mit dem „guten Homosexuellen“ und "politisch inkorrekten" Islamkritiker, der heute mit den Knalltüten in der Meute "Ziegen******" und "Kültürbereicherer" grölt, weil sein beschränkter Verstand nicht mehr hergibt, wenn jene 25% das Sagen hätten, die bei „Hitler nicht alles so schlimm“ fanden? Und welche Minderheiten müssten dann zusätzlich daran glauben? Vielleicht ich, weil ich nicht so bescheuert und "perfekt inkorrekt“ bin, wie Fanatiker das von mir holzschnittartig erwarten? Weil ich ein Renegat bin? - als den man mich bezeichnete; als jemand, der einem verschworenen Haufen (wirklich verschworen oder einfach nur intrigant?) den Rücken gekehrt hat, weil er zum Glück noch rechtzeitig begriffen hat, welcher braune Dreck da auf ihn zurauscht?
Während ich dies schreibe muss ich an Ralph Giordanos Worte zu "Pro Köln" denken. Und sie gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Ihr wisst, welche Worte ich meine.