Freitag, November 02, 2007

Namenlos


…und die Kunst, Verstand und Gefühl an „Stolzdeutsche“ zu verlieren


Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;

ich habe dich bei deinem Namen gerufen;

du bist mein!

Jesaja 43, 1


Oft haben Menschen
, die sich geschäftlich oder wegen gleicher Interessenlagen kennen, intensiven Briefkontakt. So kommt es hin und wieder vor, dass die Mails mit den Jahren häufig hin und her wechseln und man verzichtet im Kontakt mit besonders vertrauten Menschen darauf, Anrede oder Namen des Gegenüber zu verwenden, wenn beide dies stillschweigend so handhaben und es sich eingeschliffen hat. Schließlich muss man sich nicht stets versichern, dass man gut befreundet ist oder seriöse Beziehungen pflegt.

Die eine oder andere (Mail-) Beziehung schläft ein, weil die Interessen nicht mehr übereinstimmen und man aus anderen Gründen nicht mehr in der Lage ist, die Verbindung aufrechtzuerhalten. Es gibt auch Situationen, in denen nach und nach unüberbrückbare Differenzen entstehen und eine Auflösung des Kontakts nicht mehr zu vermeiden ist. Aber selbst in diesen Situationen sollte man wenigstens noch die Form wahren, um den Kontrahenten nicht in seiner Würde herabzusetzen. Von mir aus ganz bewusst „politisch korrekt“, wenn Sie so wollen.

Eine der schlimmsten Beleidigungen, die mir aber ein Mensch zufügen kann, für den ich gute Gefühle empfinde, ist die, dass meine höfliche Bitte, mich das nächste Mal doch bitte mit meinem Namen anzureden, wiederholt schlicht übergangen wird. Gut - es gibt Streit. Aber der Kontakt (war) ja nicht abgebrochen. Warum also diese Taktlosigkeit? Bin ich ein Straßenköter, dem man einen Fußtritt gibt, nur weil ich darauf bestehe, dass auch ich Würde habe und das verdammt noch mal zu akzeptieren ist?

Es gibt Menschen, die meinen, dass eine „Idee“ für sie wichtiger ist als alles andere (auch wichtiger als Menschen?), so nach dem Motto „Der einzige Sinn meines Lebens besteht darin, das Abendland zu retten. Sie reden auch sehr viel und sehr oft von Würde - auch von Amts wegen und da besonders weihevoll - natürlich meinen sie dabei nur ihre eigene bzw. die der „Gemeinschaft“, in der sie sich abgeschottet haben. Dass sie aber so ganz nebenbei Freundschaften vernachlässigen und bereit sind, diese aufzugeben, fällt ihnen nicht auf. Weist man sie darauf hin, wird man als „Feind“ angesehen. Weist man sie wieder darauf hin, laufen sie Amok. Und das fuchst mich ganz gewaltig. Sie begreifen nicht, dass man das Eine tun kann ohne das Andere zu lassen.

Was passiert nun, wenn diese Menschen in ihrem Vorhaben, das Abendland zu retten (wie unfreiwillig komisch), auf Zeitgenossen treffen, die neben der Rettung des Abendlandes noch etwas anderes vorhaben - nämlich eine bestimme Klientel bereitwillig zu bedienen - die der so genannten Stolzdeutschen, wie Clemens Heni sie völlig zu Recht bezeichnet, jene, die nur allzu oft Islamkritik mit Herabwürdigung von Menschen anderen Glaubens oder einer anderen Lebensform vermischen? Wie können diese Leute sich einerseits (zu Recht) darüber aufregen, dass es eine Sauerei ist, wenn wir im Koran als Schweine und Affen bezeichnet werden, sie selbst sich aber erlauben, politische Gegner (auch meine politischen Gegner) in Primatenpose abzubilden, miserabel zu recherchieren und den politischen Gegner mit billiger Polemik zu überziehen, weil ihnen der Saft für eine ernsthafte intellektuelle Auseinandersetzung fehlt? Wie viele "islamkritische" Seiten gibt es, die im Kielwasser der Israel-Sympathie schwimmen, sich in Wirklichkeit aber einen Dreck um Israel oder christliche Motivation scheren, auch wenn sie es lauthals verkünden oder plakativ anpreisen? Ich denke es gibt genug. Eine ist schon genug - und genug der gigantischen Heuchelei, die mit der Angst operiert. Der Blick in die Foren mancher Blogs - Pssst - zeigt mehr als deutlich, dass da etwas im Anmarsch ist, das alles Andere im Sinn hat - nur nicht seriöse Islamkritik. Und zum Thema „Israel“ gehen harmlose Reiseberichte noch gerade so durch.

Die gebetsmühlenartig vorgetragene Beteuerung, man zitiere hier und zitiere da, und sei überhaupt gewillt, so sauber wie möglich zu arbeiten, muss aber von der Fragestellung „Wie hältst du es mit Selbstkritik?“ begleitet werden, wenn unübersehbar wird, dass sich der rechte Mob im Kommentarraum festsetzt. Wie kommt es, dass ein tendenziöser Beitrag über Volker Beck (ich stimme mit ihm politisch auch nicht überein) 200 überwiegend hässliche Leserstimmen rauskitzelt - ein (guter) Aufsatz von Jungle World über die Parallelen zwischen Nazis und Islamisten jedoch nur etwas über 20?

Merke: Ein guter Homosexueller ist einer, der islamfeindlich ist. Ein schlechter Homosexueller ist Volker Beck. Alles klar?

Oder drastischer ausgedrückt: Ein guter Homosexueller ist der, der für eine "politisch inkorrekte" Seite seinen Furz ablassen darf (so lange es den Herren "Neudeutschen" genehm ist, bevor sie ihn -vorerst - ins virtuelle Foren-KZ schicken, das in ihrer Gedankenwelt schon Formen angenommen hat). Ein schlechter Homosexueller ist der, der auf der falschen Seite steht und sowieso ausgemustert wird.

Und wo ist das Problem mit Jungle World? Zu weiter Horizont? Oder: "Genug vom Nazigequatsche, wir wollen unsere Evi und unseren Kardinal Meißner", egal, welchen gefährlichen Schrott die absondern?

Was passierte wohl mit dem „guten Homosexuellen“ und "politisch inkorrekten" Islamkritiker, der heute mit den Knalltüten in der Meute "Ziegen******" und "Kültürbereicherer" grölt, weil sein beschränkter Verstand nicht mehr hergibt, wenn jene 25% das Sagen hätten, die bei „Hitler nicht alles so schlimm“ fanden? Und welche Minderheiten müssten dann zusätzlich daran glauben? Vielleicht ich, weil ich nicht so bescheuert und "perfekt inkorrekt“ bin, wie Fanatiker das von mir holzschnittartig erwarten? Weil ich ein Renegat bin? - als den man mich bezeichnete; als jemand, der einem verschworenen Haufen (wirklich verschworen oder einfach nur intrigant?) den Rücken gekehrt hat, weil er zum Glück noch rechtzeitig begriffen hat, welcher braune Dreck da auf ihn zurauscht?

Ich weiß, von was ich rede. Als ich in einem Blog schüchtern anmerkte, dass bei aller berechtigten scharfen Kritik am Islam Muslime keine Menschen zweiter Klasse sind (Und als Christ fügte ich hinzu "Auch von Gott angenommen"), habe ich den geballten Hass vieler selbst ernannten „Islamkritiker“ und Flachpfeifen abbekommen, die sich wohl als „Menschen erster Klasse begreifen“. Herrenmenschen eben. Die gesammelte Empörung und Häme bekam ich zu spüren. Und die mancher „Redakteure“ auch. Keine Rückendeckung - auch nicht für mein christliches Grundmotiv. Sind diese Leute politisch korrekt oder inkorrekt? Sind diese Leute nicht sogar „politisch korrekter“ als diejenigen, denen sie dieses Prädikat aufdrücken? Sind sie nicht mindestens so verlogen wie jene, denen sie Verlogenheit vorwerfen? Und sind sie nicht ebenso große Hasser wie jene, denen sie Hetze vorwerfen? Gut, lassen wir diese Unterscheidung. Sie nervt mich eigentlich nicht prinzipiell. Aber sie geht mir besonders dann extrem auf den Geist, wenn sie von jenen Stammlern - und davon gibt es bei der neuen Rechten mehr als genug - verwendet wird, die nicht einmal wussten, wie man „Koran“ buchstabiert, als ich mich mit dem Islam auseinandersetzte.

Während ich dies schreibe muss ich an Ralph Giordanos Worte zu "Pro Köln" denken. Und sie gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Ihr wisst, welche Worte ich meine.

Und dir, der du vergessen willst, wie ich heiße: Ich wünsche mir, dass du (Ja, Du bist gemeint) mich mit meinem Namen ansprichst. Dann werde ich dich wieder ernst nehmen.

Dienstag, Oktober 30, 2007

"Wie die unbefleckte Empfängnis"

Becks "Demokratischer Sozialismus": Realitätsverweigerung aus Prinzip

Das hätten sich die Schöpfer des Godesberger Grundsatzprogramms (Erich Ollenhauer, Herbert Wehner, Alfred Nau, Fritz Erler, Carlo Schmid, Erwin Schoettle und Willy Eichler; v.l.n.r.; Bild mit freundl. Genehmigung: AP Archiv) für eine runderneuerte Tante SPD, das vom 13. bis 15. November 1959 in Bad Godesberg diskutiert und mit 324 gegen 16 Stimmen verabschiedet wurde, nicht träumen lassen: 48 Jahre später tritt ein allenfalls durchschnittlicher (oder vielleicht doch unterschätzter?) Parteivorsitzender der zweiten Generation nach dem Urgestein der SPD vor's Mikrofon, schmettert sein Credo vom aufgewärmten „Demokratischen Sozialismus“ in den Saal und die Öffentlichkeit reibt sich darob verwundert, zornig oder belustigt die Augen. Vielen wird wohl heute noch der Mund offen stehen. Auch vielen in der SPD? Vorerst wohl noch nicht. Da regiert im Moment wohl die kollektive Illusion.

Lange ließ die erste Antwort nicht auf sich warten. Die promovierte Physikerin Angela Merkel bemühte ihre Logik, die so abstrus für einen vernünftigen Menschen - und sie ist einer - nicht ist: „Wir brauchen keine Rückbesinnung auf den Sozialismus wie die Sozialdemokraten. Vom Sozialismus haben wir genug gehabt mit der DDR." Danach begibt sie sich in metaphysische Sphären, die einer Pfarrerstochter auch nicht so ganz fremd sind und kombiniert, dass „ich mir darüber intensiv Gedanken gemacht habe und zu dem Schluss gekommen bin, dass das Begriffspaar „Demokratischer Sozialismus“ ein Konstrukt ist, das nicht zusammenpasst, denn final, Demokratie impliziert Freiheit, Sozialismus jedoch Bevormundung“.

Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Da beißt die Maus keinen Faden ab, und die Schöpfer des Godesberger Programms hätten heute wohl mehr Berührungsängste mit einer SPD, die dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit entgegentaumelt, als mit der Pragmatikerin aus dem Osten, die sehr wohl weiß, wie „beglückend“ der Sozialismus ist. Vieles von dem, was die „Godesberger“ 1959 durchgesetzt hatten, steht in der SPD seit gestern wieder zur Disposition: Das Verhältnis zur sozialen Marktwirtschaft (Z.B. Vorzugs-Volksaktien bei einer Privatisierung der Deutschen Bahn; oh je), das Verhältnis zur Bundeswehr, zur NATO und zu den Aufgaben, die im Verbund mit derselben wahrzunehmen sind (schrittweises Sich-aus-der-Verantwortung-stehlen), blinde Fortschreibung einer devoten Haltung gegenüber dem politisch-radikalen Islam, eine, dann offen und noch hässlicher zutage tretende Entsolidarisierung mit Israel und eine Familienpolitik, die diesen Namen nie und nimmer verdient, weil die Kinder von klein auf nicht mehr zuhause aufwachsen sollten, ginge es nach den Sozialdemokraten - von den Dunkelroten und Grünen ganz zu schweigen.

Nun könnte man die Argumente aneinanderreihen und würde bis morgen nicht fertig werden, aber eins muss noch aufs Tableau: Die Wiederentdeckung des Marxismus als theoretischem Überbau und x-te Alternative, 1959 feierlich zu Grabe getragen und vom Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft (endlich) abgelöst, feiert nun fröhliche Urständ, auch wenn sich der „Bundestagsvizepräsident auf Lebenszeit“ Wolfgang Thierse mit seinem "Die Äußerungen von Frau Merkel sind entweder dumm oder böswillig - oder vielleicht beides“ und hinterher dozierend „das, was die Kommunisten für Sozialismus gehalten haben, mit dem zu verwechseln, was Sozialdemokraten meinen, wenn sie von freiheitlichem, demokratischem Sozialismus reden" ächzend für seinen Chef Kurt Beck in die Bresche warf, um den einen Tag vorher gespielten Wutanfall des Pfälzers vergessen zu lassen. Denn auch er hatte gegen Angela Merkel kräftig vom Leder gezogen - nicht ohne vorher „klarzustellen“, dass die im Osten geborene Kanzlerin bei der Interpretation des berüchtigten Begriffspaares eine Lehrstunde verdient hätte, weil es bei der Wiederbelebung dieses angestaubten Begriffes „nicht um eine geschichtliche Reminiszenz“ ginge, sondern um eine völlige Neufassung. Ist nicht so leicht nachzuvollziehen, denn nach FDP-Generalsekretär Dirk Niebel ist der „Demokratischer Sozialismus wie die unbefleckte Empfängnis. Man kann daran glauben, aber man wird es nicht erleben“.

Dass die SPD - trotz gegenteiliger Beteuerungen - auf dem Weg zur Die Linke ist und nicht umgekehrt, dürfte sich spätestens am Wochenende in Hamburg herumgesprochen haben, denn Anpassungsschwierigkeiten haben die Genossen aus dem Osten beileibe nicht mehr. Zudem sollte der Machttrieb des blassen Schwergewichts aus der Pfalz nicht unterschätzt werden. Dann kommt endlich zusammen, was im Verbund mit den Grünen einen neuen Anlauf unternehmen wird - nämlich diese Republik gegen die Wand zu fahren.

Vieles spricht dafür, dass Rot-Rot-Grün von nun an aufs Tempo drückt und einen Regierungswechsel - der den Umfragen zufolge rein rechnerisch jetzt möglich wäre - schon im Herbst 2008 anstrebt. Dennoch werden noch ein paar Pfeile im Köcher belassen. „Nicht alles verschießen“ gilt daher auch für das konservative Lager, das nun endlich einen Profilwahlkampf führen kann. Natürlich sollte man Kurt Beck nicht unterschätzen, aber schon jetzt tritt er so polternd auf, dass die besonnene und kluge Pragmatikerin Angela Merkel, wenn sie ihre Linie durchzieht, den Mann wohl wieder dahin schicken wird, wo er hingehört - nach Mainz. Die harte Oppositionsbank im Bundestag ist nichts für den "Weltpolitiker" und "Taliban-Versteher". Büttenreden liegen ihm besser.