Nachbetrachtung zu Anne Wills Beschneidungs-Exorzismus am
11. Juli in der ARD
(Bildquelle: ARD)
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Professor Holm Putzke sich
einmal ähnlich vehement gegen Abtreibung eingesetzt hätte wie gegen die Beschneidung jüdischer Söhne. Ich
sage bewusst „jüdischer Söhne“, weil ich weiter unten bzgl. Islam etwas
differenzieren will (Ich hatte mir Putzkes Webseite angesehen).
Allein schon der oben genannte Sachverhalt macht ihn in
höchstem Maße unglaubwürdig, da er von Traumata im Kindesalter spricht, obwohl er Säuglinge
meint. Embryonale und pränatale Traumata scheint es demnach bei ihm - folgt man
seiner Logik - überhaupt nicht zu geben. Traumata also erst, wenn der Mensch
geboren ist (Die TV-C-Prominente Angelika Kallwass lasse ich vorerst außen vor, auch wenn diese Person eigentlich keine Bemerkung wert ist. Zu ihr komme ich ganz unten).
Schon an der grotesk-juristischen und fast hilflos anmutenden
Argumentationsfolge Holm Putzkes erkennt man, dass er die ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung
des Menschen, die eben auch(!) nicht tiefenpsychologisch von der Trennung der
Nabelschnur bei der Geburt zu unterscheiden ist (übrigens auch schmerzhaft für
Kind und Mutter, wie tagtäglich zu beobachten), komplett aus dem Radar verloren
hat. Er hat sich wohl festgebissen….
Woran sich seine Begierde wirklich zu reiben scheint, ist das
"Jüdisch sein", das "Jüdische" als Gesellschafts- und
Lebensentwurf, symbolisiert im Ritual der Beschneidung, der körperlich
akzentuierten Menschwerdung und vollzogenen Liebesbejahung zu Gott in
Gemeinschaft mit den Eltern des Kindes. Seine Abneigung gegen religiöse Artikulierung jüdischen (Familien-) Lebens schlechthin
ist in beinahe jeder seiner Ausführungen mit Händen zu greifen, obwohl er sich immer
wieder bemüht, das vorher Gesagte im nächsten Satz zu relativieren. Putzkes
Ausflüchte, er kritisiere auch die altersmäßig später vorgenommenen
Beschneidungen an Knaben im islamischen Kulturraum, kann man nicht gelten
lassen, weil er die Unterschiede kennt, wie er selbst bei Anne Will andeutete und sie dennoch nicht berücksichtigt.
Man kann es auch kürzer fassen: Zumindest argumentiert Holm Putzke antisemitisch,
auch wenn er für sich natürlich kategorisch ausschließen würde, dass er selbst
Antisemit sei (Bei gepflegt diskutierenden Antisemiten ist das obligatorisch).
Dass ihm und Angelika Kallwass in Anne Wills Forum begeistert applaudiert
worden war, bestätigt meine These eher als dass sie widerlegt werden könnte. Er
trifft den Geschmack der antisemitischen Grundstimmung in unserer Gesellschaft
- und das quer durch alle politischen Lager. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Und Professor Putzke weiß das auch. So dumm kann er nicht sein, dass er die Breitenwirkung seiner Thesen in der Bevölkerung nicht einkalkuliert hat.
Im Islam bzw. den Hadhiten beinhaltet die Beschneidung einen
zentral politischen (!), aber auch Phallus-orientierten Aspekt, ebenso wie das Kopftuch
und die (Ganzkörper-) Verschleierung etc., wie Seyran Ates richtig anmerkte.
Dieses Argument wurde völlig außer Acht gelassen. Sonst fiel Frau Ates leider nur durch
nerviges Humanismus/Feminismus-Gequatsche auf, das angeblich Brücken bauen sollte.
Ziemlich enttäuschend ihre Performance diesmal, weil eher den Bescheidungsgegnern zuarbeitend.
Im Judentum hingegen bedeutet die Beschneidung am 8.Tag nach
der Geburt (siehe Genesis 17,12) die Besiegelung des Bundes mit Gott, hat also nullkommanix mit Politik zu tun,
mit religiöser Enkulturation aber ganz konkret. Ähnliches entwickelt(e) sich
in allen neu aufgerichteten Gemeinschaften: Stärkung des Zusammenhalts durch
Rituale nach innen und positive Abschottung nach außen, um identitätsstiftend
wirken zu können. Diese zeremoniellen Bräuche waren nebenbei auch sehr sinnvoll, weil sie Krankheiten
vorbeugten. Ähnlich verhielt es sich mit dem Verzicht auf Schweinefleisch:
Jeder halbwegs Gebildete weiß, dass man Schweinefleisch nicht dörren kann und
es sehr schnell vergammelt, wenn es permanenter Hitze ausgesetzt ist.
Schade auch, dass die ARD-Redaktion unterschiedliche Interpretationsansätze zum Thema zwischen
Judentum und Islam entweder nicht herausarbeiten konnte oder schlicht
ignorierte.
Ich tippe auf Letzteres, wie der Videozusammenschnitt zu Beginn der
Sendung suggerierte, als direkt hinter dem Bild der jüdischen Beschneidung ein
kleiner, weißgekleidet ausstaffierter muslimischer "Prinz" in einer Sänfte präsentiert wurde -
so, als bestünde zwischen den beiden Religionen Judentum und Islam, ihren
religiösen Praktiken und soziokulturellen Weichenstellungen ein unmittelbarer
Zusammenhang, der durch einen scheinbar gemeinsamen Ritus reglementiert und zementiert werden würde.
Gemeinsam war und ist beiden Religionen lediglich die praktische Einsicht, dass ein unbeschnittener
Penis und der Genuss von Schweinefleisch in bestimmten Jahreszeiten/Situationen/Regionen
und bei bestimmten Verhaltensweisen schlicht zu Krankheiten führen kann. Die religiöse Begründung folgte
meistens unmittelbar danach, weil man am Siechtum der Menschen zu erkennen glaubte, dass
Gott für ein bestimmtes Hygiene- oder Konsumverhalten Strafen vorsah; so
dachte man zumindest, und die medizinische Maßnahme bzw. der Verzicht wurden
als gottgegeben interpretiert, was sich ja letztlich auch als nicht ganz
unvernünftig herausstellte.
Ein weiterer Beleg für die völlig konfus zusammengestellte Exegese
der Beschneidung im Anne-Will-Talk war die mediale Zurschaustellung "Edler
Wilder", wie Grüne und viele Linke die Zuwanderer in ihrer naiven
Beglückungsperspektive sehen, also muslimische Mitbürger, die sich mehr oder
weniger indifferent über ihre Beschneidungen äußerten, die weit nach (!) ihrem
8. Lebenstag vorgenommen waren, oft Jahre danach. Dass dann hier und da vereinzelte Traumata bestehen, lässt sich sicher
nicht bestreiten. Das hängt aber vom Alter der beschnittenen muslimischen
Befragten ab. Wären sie am 8. Lebenstag beschnitten worden (wie im Judentum), hätte
sich mit Sicherheit keiner an dieses Ereignis erinnert.
An dieser Stelle frage ich mich: Warum wurde zu diesem Thema
kein einziger der laut Putzke traumatisierten etwa 1.500 Juden, die ihm
angeblich eine E-Mail geschrieben hatten, vor die Kamera gezerrt und bei Anne
Will präsentiert? Billige Aufschneiderei also, mehr nicht. Wahrscheinlich hat
Putzke seine Mails mittlerweile gelöscht….
Beinahe untergegangen in der Diskussion war die beiläufige Anmerkung
des Gemeinde-Rabiners Yitshak Ehrenberg von der Synagoge in
Berlin, dass der Welt durch Israel und die USA die meisten Nobelpreisträger
geschenkt wurden - trotz Beschneidung. Oder vielleicht gerade deshalb?
Vorschlag:
Professor Holm Putzke sollte sich
eine zusätzliche Vorhaut implantieren lassen, damit es wenigstens für den Aachener Friedenspreis, wo sich
bisher so manche Antisemiten ein Stelldichein gaben,
oder etwas Ähnliches in dieser lächerlichen Kategorie reicht; Seyran Ates
sollte sich wieder auf das besinnen, was sie wirklich gut kann, nämlich ihre weibliche
türkisch-atheistische Klientel verteidigen, und Angelika Kallwass auf ihre läppischen
Psycho-Spielchen mit ausgeplauderten Indiskretionen und armseligen Exhibitionisten
bei den kommerziellen Medien. Dass Kallwass vollkommen bescheuert ist, hat sie
ja wieder einmal überzeugend demonstriert. Warum wird diese Psycho-Domina
eigentlich immer wieder aufgetischt, und gibt es in der nach oben offenen Skala
der Peinlichkeiten bei Einladungsorgien der Öffentlich-Rechtlichen denn keine
Schamgrenze?
Was
mir übrigens bei Frau Kallwass’ Äußerungen auch haften blieb:
Sie
sagte in einem eigentümlichen Slang (siehe Video), dass ihr Großvater „auf gut deutsch“ vergast worden sei. Wenige
Minuten später bemerkte sie aber, dass man das heutige Deutschland nicht für „damals“ verantwortlich machen könne.
Zumindest problematisch, diese diffundierende Sprachregelung innerhalb weniger Minuten, oder
nicht? Für mich würde sie als perfekte Alibi-Jüdin durchgehen, wenn sie denn
Jüdin wäre. Falls nicht, wäre sie nur eine ganz billige Schwätzerin. Beides ist
schon peinlich genug, um bei den Öffentlich-Rechtlichen als Gast eingeladen zu
werden.
UPDATE, 19. Juli 2012
Eben habe ich einen Kommentar des PI-Herolds Michael Stürzenberger zum Thema gelesen. Dümmer, schlecht informierter und schlampiger kann man einen Kommentar nicht schreiben:
Er zieht seine (sonst teilweise durchaus berechtigte) Islam-Kritik an jüdischen Essentials auf und versucht so - wie erfolgreich im Leserfrum bei PI demonstriert - seine populistische Selbstdarstellung zu inszenieren. Schäbiger geht's kaum noch noch.
Mein Rat an den bekennenden Atheisten Michael Stürzenberger: Weniger Selbstdarstellung, viel Studium von Quellenmaterial und danach genaue Analyse!
UPDATE, 1. August 2012
Ich möchte meinen Kommentar zusätzlich mit zwei hervorragenden Beiträgen abstützen, die ich zum Thema gefunden habe. Die Lektüre lohnt sich.
Und:
“Das sagt der Anwalt: Erst einmal durchatmen“, von Nathan
Gelbhart
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/das_sagt_der_anwalt_erst_einmal_durchatmen/