Wer aber könnte mit dem Begriff Islamische Apologetik etwas anfangen - noch dazu, wenn er nur oberflächliche Kenntnisse über den Islam, geschweige den Koran besitzt?
Und wer würde im zweiten Schritt die Feststellung treffen können, dass die christliche Historisch-Kritische Methode (Exegese) das Einfallstor für islamische Apologetik sein könnte? Doch mehr dazu weiter unten....
Die Frage der Apologetik stellt sich unausweichlich immer dann, wenn gemeinsam erfahrene und gelebte (in diesem Fall christliche) Glaubenssätze durch Entstellungen und nachträgliche Verfälschungen, die oft genug aus den eigenen Reihen kommen, in ihrer Substanz gefährdet sind. Dies galt in besonderem Maße für die junge Kirche, die neben der Verfolgung durch Rom auch mit Angriffen von ihren Rändern her (Gnostiker u.a.) konfrontiert war.
Deshalb mussten verbindliche Glaubenssätze formuliert und ein Kodex der Heiligen Schrift erstellt werden. Auf den Konzilien (auch: Synoden) wurden deshalb allgemein verbindliche Bekenntnisse formuliert.
Doch wie kam es zu einer Islamischen Apologetik?
Fest steht zumindest, dass zu Beginn der Begegnung Mohammeds mit Christen und Juden die biblischen Schriften von ihm nicht in Frage gestellt, sondern in manchen Fällen sogar hervorgehoben wurden, so in Sure 3,3-4:
"Er hat auch die Torah und das Evangelium herabgesandt, früher, als Rechtleitung für die Menschen" oder noch überbietend in Sure 5,46: "Und wir ließen nach ihnen her Jesus, den Sohn der Maria folgen, dass er bestätige, was vor ihm da war, nämlich die Torah. Und wir gaben ihm das Evangelium, das Rechtleitung und Licht enthält und das bestätigt, was vor ihm da war, nämlich die Torah, und als Rechtleitung und Ermahnung für die Gottesfürchtigen".
Diese frühen (noch nicht abrogierten) Koranzitate müssen jedoch in erster Linie im Lichte der Selbsteinschätzung Mohammeds gesehen werden. Er verstand die Beziehung zu Juden und Christen als die zwischen altem und neuem Prophetentum, wobei das neue und endgültige Prophetentum (also seines) die Anerkennung durch Juden und Christen einfordern kann bzw. diese Anerkennung vorausgesetzt wird. Zu diesem Zeitpunkt ging Mohammed (fälschlicherweise) noch davon aus, dass seine Vorstellungen und seine fragmentarischen Kenntnisse über die Bibel miteinander vereinbar wären bzw. mit der Vorstellungswelt der Menschen in seiner Umgebung in Einklang zu bringen wären.
Da aber diese Kompatibilität von Juden und Christen abgelehnt wurde, schlug seine anfängliche Achtung gegenüber den Juden und Christen in Feindschaft um. Ab diesem Zeitraum (etwa 622. n. Chr.) kann man streng genommen von den Anfängen einer islamischen Apologetik sprechen - jedoch der Apologetik eines Missverständnisses, der Ahnungslosigkeit und Eitelkeit. Nun erklärt Mohammed den Islam kurzerhand zur Urreligion (Ur-Islam) und Juden sowie Christen zu Schriftverfälschern eben dieser. Er bricht mit der vorher positiven Haltung zu den biblischen Schriften und schlägt einen scharfen Ton an - auch die Gebetsrichtung wird nun von Jerusalem nach Mekka geändert:
"Weil sie (die Israeliten) aber ihren Bund brachen, haben wir sie verflucht und ihre Herzen verhärtet. Sie entstellten die Worte. Und sie vergaßen einen Teil von dem, womit sie ermahnt worden waren. [...] Und mit denjenigen, die sagen: 'Wir sind Christen', schlossen wir einen Bund. [...] (Sure 5,13-14) oder "Hierauf, nachdem sich das ereignet hatte, verhärteten sich eure Herzen, so daß sie wie Steine wurden, oder sogar noch härter ... (Sure 2,75).
Festzuhalten ist, dass Mohammed (als Analphabet) bzw. seine Adepten keine differenzierte Bibelforschung betrieben, sondern sich in allgemeiner Standardkritik ergingen: Ablehnung der Trinität, Leugnung des Kreuzestodes Jesu etc. Das gipfelte schließlich darin, dass man in der Folgezeit Juden und Christen vorwarf, sie hätten die Bibel systematisch und sukzessive so verfälscht, dass sie sämtliche Hinweise entfernt hätten, die auf Mohammed als letzten Gesandten Gottes hinweisen würden.
Ein klassisches Beispiel dafür, wie man mit einem kleinen Kunstgriff eine Behauptung aus dem 7. Jahrhundert als von Christen verfälschten Text aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts (sic!) uminterpretiert, liefert Johannes 15, 26-27:
Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir. Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen.
Vom Heiligen Geist ist hier die Rede - von nichts sonst (Pfingstereignis)
Wer ist der Tröster im Koran?
Hören wir, was dort in Sure 61, 6 gesagt wird:
"Und da sagte Jesus, der Sohn der Maria: 'O ihr Kinder Israels, ich bin Allahs Gesandter bei euch, der Bestätiger dessen, was von der Thora vor mir gewesen ist, und Bringer der frohen Botschaft eines Gesandten, der nach mir kommen wird. Sein Name wird Ahmad sein.' Und als er zu ihnen mit den Beweisen kam, sagten sie: "Das ist ein offenkundiger Zauber."
Wer glaubt, das sei alles graue Theorie, kann sich u.a. auch bei der (allgemein als "liberal" verstandenen) Ahmadiyya-Gemeinde kundig machen. Ich habe mit den Vertretern dieser islamischen Sekte auch schon diskutiert. Ergebnis: Zero - bestenfalls Versteifung auf den vorherigen Positionen. Unfassbar, dass diese Gruppierung bei Friedenskundgebungen deutschlandweit immer wieder hofiert wird.
Mit dem Aufkommen der "modernen Bibelkritik" im 19. Jahrhundert und der protestantisch initiierten Historisch-Kritischen (Methode) Exegese erwuchs dem Islam (unfreiwillig) ein Bundesgenosse, den er sich in seinen kühnsten Träumen nicht erhofft hatte:
Wenn sich nun Theologen wie David Friedrich Strauß oder Julius Wellhausen (Abb. links) und heute Gerd Lüdemann daran machten - um nur drei Beispiele aus einer großen Anzahl herauszunehmen -, eine über viele Jahrhunderte fast einhellig anerkannte Authentizität des heilsgeschichtlich-theologischen Kerns der Bibel bzw. die neutestamentliche Christologie in Frage zu stellen oder vermeintliche historische Unwahrheiten und Widersprüche zu "beweisen", dann spielten sie den muslimischen Apologeten in die Karten.
Gerd Lüdemann sagt z.B. von sich selbst, dass er (als (Theologe!) in erster Linie an historischen Fakten interessiert sei. Wie aber theologischer Kern und "historische" Fakten ("leeres Grab") in gelebtem Glauben zusammenkommen und erfahrbar werden, das verschweigt er - eine Unsitte, der viele Theologen verfallen sind.
Was folgt daraus?
Sie sind nicht mehr in der Lage, eine vernünftige Predigt zu halten. Ein Bild des Jammers, das die moderne Gott-ist-tot-Theologie hier abliefert. Drewermann, Bultmann, Küng und modernes Chorgestühl lassen herzlich knarzen. Die Beziehung zum Jesus, dem Christos, wird von der transzendentalen und unmittelbar-emotionalen Ebene auf ein pädagogisch-psychotherapeutisches Erlebnisszenario abgeleitet. Post-christliches Couch-Potato sozusagen.
Da in den Werken vieler christlicher Theoretiker die Evangelien relativiert und in einen scheinbaren Widerspruch zueinander gebracht werden, brauchen sich die islamischen Gelehrten nur zu bedienen. Es gibt, so weit ich weiß, keine einzige originär islamische Historisch-Kritische Exegese biblischer Schriften - speziell der Evangelien. Warum auch? Die gibt es doch frei Haus von der (meiner) überwiegend protestantischen Fakultät.
Wie man die Historisch-Kritische Methode am wirksamsten aufgreifen und als Waffe gegen die Kirche einsetzen kann, zeigte neben anderen Muhammad M. Abû Zahra (1898-1974, Abb. rechts), der wie sein Vorgänger Muhammad Rashîd Ridâ (1865-1935) christliche Bibelkritik rezipierte, um die unterschiedlichen Entstehungsgeschichten und Variationen der Evangelien als "Beweis" für die Ungültigkeit der Bibel umzudeuten.
"Indizien" für eine Verfälschung der Schrift sah er in den Wirren der Christenverfolgungen, dem Einfluss der neuplatonischen Philosophie und dem - wie er meinte - synkretistischen Charakter des Christentums, da es angeblich hellenistische und polytheistische Traditionen mit dem Urchristentum zur Unkenntlichkeit der biblischen Botschaft vermischt habe. Eine entscheidende Rolle kommt nach Ansicht der islamischen Gelehrten schon etwa ab dem 10. Jahrhundert jedoch Paulus zu, der ihrer Ansicht nach "Verfälschungen" in die Bibel getragen habe.
"Der christliche Glaube ist eine Verfälschung der ursprünglichen Lehre"höre ich immer wieder, wenn ich mit Muslimen rede. Sätze wie diese haben ihren Ursprung in der Adaption der Historisch-Kritischen Methode durch die islamischen Theologen und deren entstellende Weiterverbreitung.
Natürlich bestreite ich nicht, dass die christliche Forschung mit der modernen Bibelkritik viele nützliche Werkzeuge für das Verständnis der Schriften bereithält. Ich habe ja auch davon gelernt und profitiert. Und es wäre geradezu töricht, die Forschung auf diesem Gebiet mit einem Handstreich abzutun.
Dass sich aber in der Auseinandersetzung mit den christlichen Theologen heute die islamischen Gelehrten mehr denn je der Historisch-Kritischen Methode als apologetischer Waffe bedienen, ist leider Fakt und bestimmt die Gedankenwelt in der Umma. Das sollte eigentlich alle Christen nachdenklich stimmen.
Es ist für die Imame/Hodschas ein Leichtes - dank gnädiger Mithilfe vieler geschmeidiger christlicher Theologen - einen Gegensatz zwischen der Verkündigung Jesu bei den Synoptikern und der Christologie des Johannes/Paulus zu konstruieren, und dies wiederum erleichtert den "Dialog" zwischen den Vertretern des Islam und der Amtskirchen nicht, um es großzügig zu formulieren.
Eine theologische Diskussion mit islamischen Theologen/Juristen über Trinität, Christologie oder persönliche Gottesbeziehung (!) ist so lange kontraproduktiv, wie die islamische Seite immer auf ihrem sektererischen Standpunkt beharren wird. Und wir wissen: Sektierer dulden keinen Widerpruch- erst recht keine wissenschaftliche Auseinandersetzung.
Conclusio:
Glaubwürdig wird unsere (Welt-) Kirche erst dann wieder, wenn sie predigen, beten und (geistlich) kämpfen lernt und lehrt und das Schwafeln abstellt. Pädagogisierende Predigten und Psychoklempnerei gehören nicht auf die Kanzel.
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Castollux-Lesetipp: Christine Schirrmacher: Warum Muslime die Bibel für verfälscht halten