Im Bild rechts: Helmut Haller (weißes Trikot) im Luftkampf gegen einen argentinischen Abwehrspieler in der Partie Argentinien-Deutschland (0:0) bei der WM in England 1966. Schöne Aufnahme!
Es ist still geworden um den stets zurückhaltend und bodenständig agierenden Helden, der 1966 im Londoner Wembley-Stadion im WM-Endspiel England-Deutschland das 1:0 für Deutschland geschossen hatte. (Hier alle Spiele der deutschen Mannschaft der WM 1966 im Zeitraffer).
Ein schwerer Herzinfarkt am zweiten Weihnachtsfeiertag 2006 und eine komplizierte Operation an der Hauptschlagader im August 2009 setzten dem Ausnahmefußballer Grenzen, die nur das profane Leben schreibt.
Der „Hemad“ ist für treue Augsburger Fußballfans so etwas wie ein Nationalheiligtum, an das selbst andere in Augsburg geborene Weltstars wie Bernd Schuster niemals ranschmecken konnten - eher noch der ehemalige Rekordnationalspieler und Rekordtorschütze Ernst Lehner oder Uli Biesinger (Weltmeister 1954; Ersatzspieler), weil in ihren Zeiten medial nicht so präsent.
Helmut Haller war, als er 1962 in einer sensationellen Transferaktion zum zum FC Bologna wechselte (Damals unglaubliche 300.000 D-Mark Handgeld), neben Albert Brülls und Karl-Heinz Schnellinger einer der wenigen ersten Deutschen, die in der italienischen Liga spielten.
Brülls war als vielseitig einsetzbarer Offensivspieler beim FC Modena, danach bei Brescia Calcio und beim schweizerischen Young Boy Bern am Ball, Schnellinger ein knochenharter Weltklassevorstopper (so nannte man das damals) beim AC Mailand und seinerzeit sicher einer der weltbesten Verteidiger.
Beide hatten jedoch, von Schnellingers Ausgleichstor im legendären Halbfinalspiel gegen Italien bei der WM 1970 im Aztekenstadion abgesehen (legendäres Video), niemals die Ausstrahlung und überragende Spielintelligenz, die Haller eine Nominierung in die beste deutsche Nationalmannschaft aller Zeiten beschert hatte (Unter anderem in einer Umfrage der Süddeutsche Zeitung 1999), dazu die Auszeichnung zum besten ausländischen Spieler in der italienischen Liga im Jahr 1964.
Herbert Schmoll, Ex-FCA-Spieler und Sportredakteur bei der Augsburger Allgemeine, bemerkte gestern:
[...] (S) ein Lächeln, für das ihm in Italien die Herzen der Tifosi zugeflogen waren. Für die dortigen Gazetten war er „20 Jahre nach der Besetzung Mittel- und Oberitaliens durch die Nazitruppen der erste große Deutsche“ auf dem Apennin. Durch seine Art Fußball zu spielen genoss „Il Biondo“ jenseits des Brenners eine Bewunderung, wie er sie in der Heimat eigentlich nie erfuhr. „In Bologna haben sie ihm die Füße geküsst“, erzählt sein Freund Sepp Fuchs.Man könnte es auch so formulieren: Nicht ein besenhart an seiner Partitur klebender Wilhelm Furtwängler des bis dato als höchst unsympathisch bekannten Deutschland spielte auf, sondern der leicht beschwingte und freisinnige Vivaldi aus bayerisch-rebellischen Gefilden.
Herbert Schmolls Zitation der italienischen Hommage ist prinzipiell stimmig, wenn auch seine Formulierung „Nazitruppen“ nicht ganz passt: schließlich waren es keine undefinierbaren Truppen vom galaktischen Stern „Nazien“, sondern die deutsche(!) Wehrmacht im Verbund mit SS-Einheiten. Man sollte die Verbrecher schon beim Namen nennen. Sei’s drum: Der SPIEGEL, die Frankfurter Rundschau, der Tagespiegel und die Süddeutsche hätten es auch nicht anders formuliert....
Helmut Haller führte nicht nur den FC Bologna 1962 zum italienischen Meistertitel, sondern auch Juventus Turin (1972 und 1973). Spätestens ab diesem Moment wurde er in Italien so vergöttert, wie Michel Platini und Zinédine Zidane Jahrzehnte danach. In der Ahnengalerie der Größten der „alten Dame“ Juve wird das "Hemad" für immer einen Ehrenplatz behalten.
Seine Rückkehr in meine Heimatstadt Augsburg Ende 1973 führte dort zu einer wahren Fußballbegeisterung, wenn nicht sogar Hysterie (ich war Augenzeuge und selbst infiziert). Eigentlich sonst so zurückhaltend-bayerische Schwaben wie ich (bitte nicht mit den Baden-Württemberg-Schwaben verwechseln; dort leben die Stuttgart21-Hysteriker und Juchtenkäfer-Idioten) sahen in ihm so etwas wie einen heimgekommenen Sohn - fast einen Fußball-Messias.
Prompt wurde in der folgenden Regionalliga-Saison - die Regionalliga war damals die zweithöchste Klasse im DFB - die Meisterschaft errungen und der Aufstieg in die erste Bundesliga angepeilt, was ganz knapp misslang.
Ein schier unglaubliches Ereignis passierte dann im August 1973, das alle bisherigen Fußballstatistiken gesprengt hat und wohl nie mehr in dieser Dimension stattfinden wird: Der FC Augsburg (Kurzform „FCA“) gastierte im Münchner Olympiastadion gegen den TSV 1860 München (Endergebnis 1:1). Man hatte optimistisch mit 60.000 Zuschauern gerechnet (sowieso unglaublich für ein Regionalligaspiel). Dann aber wurde das Stadion mit 80.000 brechend voll, und vor dem Stadion waren noch etwa 25.000 Fans im Anmarsch. Das Video unten vermittelt noch einmal ein Feeling dafür, wie es damals ablief. Ich war übrigens nicht dabei. Grund: ich musste zum gleichen Zeitpunkt selbst ein Punktspiel bestreiten. Stinksauer war ich damals....
Zum Ansehen des Videos hier oder auf die Abbildung klicken.
Helmut Haller, der Ball-Wegzauberer
Wie schlitzohrig das „Hemad“ übrigens auch war, zeigt eine Episode, die sich nach dem WM-Endspiel England-Deutschland 1966 (4:2) zugetragen hatte. Wikipedia berichtet darüber in dürren Zeilen:
Als das WM-Finale von 1966 im Londoner Wembley-Stadion abgepfiffen wurde und Deutschland 4:2 verloren hatte, lag der Final-Ball direkt vor den Füßen Hallers. Dieser nutzte die Gelegenheit und schnappte sich das wertvolle Erinnerungsstück. Helmut Haller schüttelte mit unter den Arm geklemmtem Ball sogar noch Queen Elizabeth die Hand. Während einer Feierstunde am Rande der Europameisterschaft im Jahre 1996 gab Haller dann seine "Beute" dem Englischen Fußballverband zurück.So war er, unser „Hemad“: Ein Held auf und außerhalb des Platzes: Ein genialer Spielgestalter mit einem überaus sympathischen Unterhaltungswert. Wo gibt es heute noch so etwas?
Zinédine Zidane fiel im WM-Enspiel 2006 dadurch auf, dass er seinen Gegenspieler Mazzerati durch einen Kopfstoß bewusst schwer verletzten wollte. Vorausgegangen war eine Beleidigung Mazzeratis, wie später im STERN berichtet wurde.
Klassespieler? Ja!
Vorbild? Niemals!
Dir, lieber Helmut, alles Gute für deine weiteren Lebensjahre!
Und Freunde hast du genug in Augsburg. Da mach' dir mal keine Sorgen. Wenn jemand ein Vorbild im Augsburger Fußballsport war, dann DU!
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Post Scriptum:
Herzlichen Dank an Herbert Schmoll von der Augsburger Allgemeine, der mich durch seine Artikel zu Helmut Haller dazu inspiriert hat, ein wenig auf meinem Blog dazu beizutragen, dass der Ruhm eines der besten und sympathischsten deutschen Fußballspielers aller Zeiten nicht in Vergessenheit gerät.