Wo
bleibt das Gedicht zur Koreakrise?
Günter Grass schweigt – noch
Von Gerald Beyrodt
Es ist genau ein Jahr her, dass Günter Grass sein
Israelgedicht in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlichte. Damals
hatte er, gelinde gesagt, viel Echo, und das könnte er wieder haben, wenn, ja
wenn er sich eines anderen Problems annähme - findet zumindest Gerald Beyrodt.
Er mahnt nicht. Er ruft nicht. Er leitartikelt nicht. Günter
Grass schweigt, obwohl Nordkorea mit der Atombombe droht. Wenn er uns nur
aufrütteln würde, wie
er es vor genau einem Jahr tat, als es um Israel und den Iran ging. Denn
ein Problem wird erst dann ein Problem, wenn Günter Grass es benennt. Vor einem
Jahr hob er an:
"Warum schweige ich, verschweige zu lange, was offensichtlich ist und in Planspielen geübt wurde, an deren Ende wir allenfalls Fußnoten sind"."
Gute Frage: Warum schweigt Grass, wo wir seiner Hilfe doch
so dingend bedürfen wie vor einem Jahr?
Vorher wusste kein Mensch, welche politische Kraft Lyrik
hat. Dann hat uns der weise Greis die Augen geöffnet - mit "letzter
Tinte", wie er damals notierte. Ist die Tinte inzwischen ganz versiegt?
Hat ihn jetzt wirklich Schreibhemmung gepackt? Das kann vorkommen, wäre aber
nicht schlimm, denn die ersten Zeilen für ein Korea-Gedicht sind schon mal da:
"Warum schweige ich, verschweige zu lange, was offensichtlich ist und in
Planspielen …" etcetera pp. Das kann man doch alles nehmen. Auch die
Überschrift "Was gesagt werden muss" ist prima und der Rest sowieso.
Ganz nebenbei könnte Grass einen Vorwurf aus der Welt
räumen, der ihn seither gefuchst hat: Er könnte zeigen, dass Formulierungen wie
"Überlebende", oder "als Wiedergutmachung getarnte U-Boote"
mit Korea genauso viel zu tun haben wie mit Israel, dass also sein Mahnen und
Rufen in Sachen Nahost nichts, aber auch gar nichts mit deutscher Geschichte zu
tun habe. Endlich würde klar: Das war doch alles Blödsinn mit dem Antisemitismus-Vorwurf
damals - oder würde ihm jetzt jemand etwa Antikoreanismus vorwerfen wollen?
Irgendwann würde auch Jakob Augstein zur Blechtrommel
greifen, würde mutig Nord- oder Südkorea als Lager bezeichnen. Kurz darauf wäre
der Weltfrieden gesichert.
Vermutlich hat Grass längst erkannt, wie gut er sein Gedicht
vom letzten Jahr wiederverwenden kann. Trotzdem schweigt er bislang. Eine
lyrische Klippe muss er nämlich noch nehmen. Soll er das Wort
"Israel" durch Nordkorea oder Südkorea ersetzen? Oder doch lieber durch
Amerika? Wir werden bald von ihm hören.