Die Journalistin und Autorin Vera Lengsfeld („Ich wollte frei sein....Die Mauer, die Stasi, die Revolution“) mit einem Erlebnisbericht vom Prozessverlauf gegen selbstverständlich völlig ahnungslose und unschuldige türkischstämmige Angeklagte. Eine authentische Bestandsaufnahme der bundesdeutschen Wahrnehmung abseits des NSU-Spektakels, sowohl was die journalistische Ethik mancher “Qualitätsjournalisten“ als auch das Verhalten einiger Prozessbeteiligter betrifft.
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Gerechtigkeit für Jonny K.
Am Donnerstag, dem 30.Mai war ein weiterer Verhandlungstag
im Prozess gegen die Körperverletzer mit Todesfolge von Jonny K, der im Oktober
vergangenen Jahres in Sichtweite des Berliner Roten Rathauses von vier jungen
Türken zu Tode getreten wurde.
Ich wollte mir selbst ein
Bild machen, also begehrte ich in der Früh Einlass in das Gebäude des Berliner
Landgerichts in der Turmstraße. Ich war schon fast durch die Eingangskontrolle
durch, als mich der Einlasser fragte, ob ich wüsste, wo ich hin müsste.
Als er hörte zu welchem
Prozess ich wollte, wurde ich umgehend zu einem Nebeneingang an der Seite
komplimentiert. Hier warteten schon ein paar junge und wenige ältere türkische
Männer. Es dauerte eine Weile, bis ich endlich ins Gebäude gelassen wurde. Als
Vorletzte. Ich bekam eine Nummer in die Hand gedrückt und stieg eine
Nebentreppe hinauf. Nach dem ersten Stock ging es nicht weiter. Die weiteren Treppenabsätze
waren voll besetzt, überwiegend mit Türken: viele junge Muskelmänner, die
keiner Arbeit nachzugehen scheinen, ein paar ältere, wenige Frauen. Spannung
und unterdrückte Aggression lagen in der Luft. Nicht weit von mir stand eine
hübsche junge Frau mit einem Beutel: I am Jonny. Ich sagte ihr, dass ich auch
gern so einen Beutel hätte, damit es wenigstens zwei wären.
Sie erzählte mir von den
vorangegangenen Verhandlungstagen und dass sie sich mit einer Journalistin von
Spiegel online in die Haare gekriegt hätte. Die Spiegelredakteurin hatte
politisch korrekt Reue bei den Tätern bemerkt und vermeldet, wo es doch nur
eine leere Formel des Bedauerns gewesen war, die jede Glaubwürdigkeit vermissen
ließ. Die Täter hätten bei ihren Aussagen nicht ein einziges mal Jonny beim
Namen genannt, sondern nur von „der Sache“ gesprochen, wegen der sie jetzt
„Schwierigkeiten“ hätten. Sie hätten sich sogar darüber beschwert, dass sie von
Mitgefangenen angesprochen worden seien, ob sie die „vom Alexanderplatz“ wären.
Die Anwälte der Angeklagten hätten Jonny K.s Schwester Tina attackiert, weil
sie den Fall im Internet so publik gemacht hätte. Im Übrigen hätten die
Angeklagten gegrinst. Die wenigen Unterstützer von Tina im Zuschauerraum seien
immer wieder angerempelt und beschimpft worden.
Nachdem sich die Tür zur Zuschauertribüne geöffnet hat, sitzen wir dicht
gedrängt zwischen den Unterstützern der Täter.
Der erste Zeuge wird
gerufen. Ich staune, mit wie vielen Entschuldigungen („bitte betrachten Sie das
nicht als Misstrauen, ich muss das tun“)der Richter den Zeugen darüber belehrt,
dass er vor Gericht die Wahrheit zu sagen hat.
Der Verlauf der Befragung legt dann die Vermutung nahe, dass der Zeuge
keinesfalls die Wahrheit sagt. Ali, 23, der bei der Polizei präzise Angaben
gemacht hat, dass zwei der Täter den Begleiter von Jonny attackiert hätten,
vier von ihnen auf Jonny, als er schon am Boden lag, eingetreten hatten, auch
auf den Kopf , konnte sich vor Gericht an nichts mehr erinnern.
Der Richter hält ihm sogar
vor, dass er zu Protokoll gegeben hatte: „Das waren Ausländer, nur die
Ausländer machen Probleme“. Natürlich kann sich Ali auch daran nicht mehr
erinnern. Immerhin bestätigt er, der Polizei die Wahrheit gesagt zu haben.
Seine Angst ist im ganzen
Saal spürbar. Wer ihn unter Druck setzt und womit, will er nicht sagen.
Leider macht dann der
Schöffe einen Fehler. Er fragt Ali, angesichts des unglaubwürdigen
Erinnerungsverlustes, ob er zu feige sei, auszusagen oder ob er das Gericht
verarschen wolle. Obwohl der Richter umgehend die Wortwahl des Schöffen rügt,
nehmen die Anwälte der Angeklagten die Gelegenheit wahr, einen
Befangenheitsantrag gegen den Laienrichter zu stellen. Die Verhandlung wird
unterbrochen.
Ich nutze die Gelegenheit,
um an die frische Luft zu gehen. Beim Verlassen des Gebäudes muss ich meine
Nummer abgeben und werde belehrt, dass mein Wiedereintritt nicht gewährleistet
sei. Wenn noch andere Zuhörer kämen, müsste ich draußen bleiben.
Im Café gegenüber setzen
sich Journalistinnen neben uns. Eine ist von der Süddeutschen Zeitung. Als ich
von der aggressiven Haltung der im Zuschauerraum anwesenden Türken erzähle, ich
hatte beim Hinausgehen gehört, wie zwei Türkinnen die Unterstützer von Tina
beschimpften, ist sie erstaunt. Sie hatte geglaubt, dass Tina übertreibe, als
sie von ähnlichen Vorfällen berichtete. Als mein Begleiter von einem
Gewaltexzess sprach, wie sie ihn barsch zurecht: der Gerichtsmediziner hätte
ausgesagt, Jonnys Leiche sei bis auf eine Platzwunde an der Augenbraue fast
unversehrt gewesen. Es hätte sich auf keinen Fall um einen Exzess gehandelt.
Was bitte, ist dann die politisch korrekte Bezeichnung dafür, dass vier
Muskelmänner auf einen wesentlich kleineren liegenden Mann mehrfach eintreten,
auch auf den Kopf? Sie wollten nur spielen?
Ich habe dann die Aussage
des Gerichtsmediziners noch mal nachgelesen: äußerlich war tatsächlich nicht so
viel zu sehen, aber im Kopf hatte Jonny vier fürchterliche Wunden, von denen
jede einzelne zum Tod führen konnte.
Als ich das
Gerichtsgebäude wieder betreten wollte, wurde ich an der Tür von zwei
Jungtürken rigide beiseite geschoben, zwei weitere zwängten sich an mir vorbei.
Die Einlasskontrolle bedauerte: sie könnten nicht sehen, was vor der Tür geschehe. Außerdem hätten die jungen Männer gesagt, ich hätte mich vordrängeln wollen. Als ich fragte, ob sie es für wahrscheinlich hielten, dass sich eine Dame meines Alters mit vier jungen Männern anlegt, zuckten sie hilflos mit den Achseln. Ich wüsste doch, wie das sei.
Die Einlasskontrolle bedauerte: sie könnten nicht sehen, was vor der Tür geschehe. Außerdem hätten die jungen Männer gesagt, ich hätte mich vordrängeln wollen. Als ich fragte, ob sie es für wahrscheinlich hielten, dass sich eine Dame meines Alters mit vier jungen Männern anlegt, zuckten sie hilflos mit den Achseln. Ich wüsste doch, wie das sei.
Aha, wenn man also weiß,
was los ist, warum stellt man nicht einen von der Einlasskontrolle vor die Tür,
um zu verhindern, dass die wenigen Sympathisanten von Jonny K. nicht auch noch
weggedrängt werden?
Die Verhandlung ging dann
weiter mit noch einem Zeugen, der sich an nichts mehr erinnern konnte und
endete mit der ungewissen Aussicht, ob sich das Gericht entschließt, dem Antrag
der Verteidigung stattzugeben und den Schöffen für befangen zu erklären. Dann
müsste der Prozess noch mal von vorn beginnen....