Als Edmund Hillary am 29. Mai 1953 (Der „Sir“ kam einen Tag später hinzu) mit seinem Begleiter, dem nepalesischen Sherpa Tenzing Norgay, auf dem höchsten Punkt der Erde stand, wird er wohl ein wenig bereut haben, dass sein Gefährte nicht wusste, wie man den Fotoapparat richtig bedient. So blieb von der Sekunde, in der Hillary und Norgay der Erde ihren „letzten weißen Fleck“ nahmen, keine Bilddokumentation erhalten. Das Foto (rechts) wurde geschossen, als die beiden Bergsteiger wieder im Basislager ankamen. Später kokettierte der „Grand seigneur des Bergsteigens“ ein wenig damit, dass der Gipfel des Mount Everest in jenem Moment „nicht der geeignete Ort für einen Lehrgang“ gewesen sei und er in diesem Moment nicht daran gedacht habe, plötzlich „weltberühmt“ zu sein. Man sollte ihm diese Aussagen abnehmen. Der Mann neigte nie zu Übertreibungen. Eigentlich war der knorrige, hoch aufgeschossene Schlacks nicht als Erstbesteiger des höchsten Gipfels der Welt vorgesehen. So zumindest lautete die Regie der britischen Expedition, die pünktlich zur Krönung Königin Elizabeths II. am 30. Mai 1953 eine Seilschaft am Gipfel stehen haben wollte. Als die Briten Tage vorher unterhalb des Gipfels aufgeben mussten war der Weg für Hillary und Norgay frei und sie erklommen den Gipfel über die ansonsten einfachere Südroute, die kurz unterhalb des Gipfels aber noch mit einer Schwierigkeit aufwartet, die selbst heute noch für alle "Everest-Touristen" ein unüberwindbares Hindernis darstellt - eine 70% geneigte Felswand (siehe Abbildung links) später Hillary-Step genannt.
Manche Touristen, die sich heute für mehrere zehntausend Dollar oder mehr bis unterhalb des Gipfels „hochtragen“ lassen, müssen spätestens hier kapitulieren und wieder umkehren, falls die Sherpas noch keine neuen Seile gezogen und Steighilfen installiert haben sollten.
Hillary hat zeitlebens den zunehmenden Massentourismus auf den höchsten Gipfel der Erde und mit mittlerweile mehr als 200 Leichen gepflasterten Routen beklagt. Wer wollte ihm seine Bitterkeit verdenken, wenn - wie am 23. Mai 2003 - 88 „Gipfelstürmer“ gleichzeitig den „Stern des Himmels“ „eroberten“ und die ganze Region des Everest als Müllhalde missbrauchten? Geändert hat sich bis heute an diesen Zuständen leider kaum etwas. Die durchaus ernst gemeinte Forderung Hillarys an die nepalesische Regierung, für 5 Jahre keine Besteigung mehr zuzulassen, erscheint in diesem Lichte nachvollziehbar. In den mehr als 50 Jahren seit seiner Erstbesteigung ist von alpiner Kletterfaszination zudem wenig übrig geblieben: Everest-Besteigungen u.v.a. sind zu "Events" einer aufgeblähten Bergsteigerindustrie verkommen, in der ein Gipfelstürmer einen Tross von mehreren Dutzend Helfern benötigt, um sein Ziel so bequem wie möglich zu erreichen. Doch war diese Entwicklung spätestens dann abzusehen, nachdem aus den Erfahrungen in den Alpen seit den 1970er Jahren genügend Negativbeispiele bekannt wurden. Man denke z.B. nur an die teilweise wahnwitzigen Geschwindigkeitsrekordversuche an den Furcht einflößenden Eiger Nordwand oder Grand Jorasses, die sich ebenso wie Everest, K2 oder die Rupal-Flanke am Nanga Parbat, der mit 4500 Meter höchsten Gebirgswand der Erde, mit schöner Regelmäßigkeit ihren Tribut in Form von Menschenleben holen, auch wenn die Besteigung nicht mehr im Entferntesten mit der Anfang des letzten Jahrhunderts vergleichbar ist, was Ausstattung und Logistik betrifft.
Hillary, der in leitender Funktion im Worldwide Fund for Nature (WWF) tätig war, machte sich auch einen Namen als Gründer der nach ihm benannten Stiftung, die Projekte für Kinder in Nepal fördert. Der Mann, der ebenso wie Tenzing Norgay auch in späteren Jahren wenig Interesse daran zeigte, seinen Ruhm zu vermarkten, konnte jedoch nicht vermeiden, dass, wie immer bei solchen Anlässen, andere versuchten, den Erfolg der beiden für ihre Zwecke auszuschlachten. So funktionierte Königin Elizabeth im fernen London den Aufstieg als Teil ihrer Krönungsfeierlichkeiten um, was aus dem Edmund sobald einen „Sir Edmund“ machte. Glauben konnte der 33-jährige Bienenzüchter das allerdings erst, als ihm versichert wurde, dass die sonst in anderen Dingen leider sehr unausgewogen berichtende BBC den "Knight Commander of the British Empire" bestätigte. Hillary soll sich zeitlebens nie so richtig mit dem Ritterschlag angefreundet haben…
Anders die Menschen im damals (bald wohl wieder) von den Kommunisten beherrschten Nepal: Wie Hillary berichtet, hatte Nepal unmittelbar nach ihrer Rückkehr vom Gipfel darauf bestanden, man solle sofort registrieren, „dass Tenzing noch vor Hillary auf der Dachspitze der Welt eingetroffen sei.“ Doch Hillary ließ verlauten, dass er und Tenzing ein Schweigegelübde über den „genauen Zieleinlauf“ vereinbart hätten. So viel Eitelkeit muss sein: Den Vorbehalt, er selbst sei, nach Aussagen von Tenzing, im entscheidenden Moment zwei Meter voranmarschiert, bestätigte er im Interview dann später.
Wichtiger als das Geheimnis um die zwei entscheidenden Meter - Hillary und Tenzing blieben ihr Leben lang enge Freunde - könnte für Hillary in den letzten fünfzig Jahren eine andere Frage gewesen sein: Waren er und Tenzing denn wirklich die Erstbesteiger des Mount Everest? 1924 waren die beiden Briten George Mallory (im Bild rechts) und Andrew Irvine zuletzt auf über 8.500 Meter Höhe durch das Fernglas gesehen worden und seither verschollen. Verunglückten sie beim Aufstieg tödlich oder erreichten sie den Gipfel und starben erst beim Abstieg? "Ich weiß es nicht", so die souveräne Antwort des Geadelten, der zudem von Reinhold Messner Unterstützung erhält, frei nach dem Motto „Es ist nicht sicher, dass Mallory und Irvine es geschafft haben und es spricht mehr dagegen als dafür". 1999 erlebte Hillary die Bergung der Leiche Mallorys, doch der Fotoapparat, in dem die Anhänger Mallorys das noch unentwickelte Foto vom Gipfel vermuten, blieb bis zum heutigen Tag verschwunden. Und wie das in der Yeti-Welt so ist, dient das Fehlen des Fotoapparats natürlich dazu, dass die Spekulationen weiterhin ins Kraut schießen werden.
Sir Edmund Hillary hat seinen festen und mehr als verdienten Platz in der Entdeckergeschichte, noch dazu, wo doch die Bezwingung des Mount Everest nicht seine einzige und letzte Großtat war. Über all seinen Ehrungen und Annehmlichkeiten, die ihm sein Ruhm bescherte, hat er jedoch Eines nicht verwinden können: die Queen verweigerte seinem Freund und Gefährten Tenzing Norgay, der 1986 starb, den Adelstitel.