Berlin und die NSA-Affäre - Deutsches Schmierentheater
Wann immer in der
Bundesrepublik eine Debatte beginnt, darf man sich gewiss sein: Deutschland
steht auf der Seite der Guten, seine Position ist zugleich eine Inkarnation der
Weltmoral. In Afghanistan begnügte sich die Bundeswehr lange damit, Brunnen zu
bohren und Schulen zu bauen, während man das Kämpfen den Nato-Alliierten überließ.
Den libyschen Diktator Ghadhafi wollte auch die deutsche Öffentlichkeit
gestürzt sehen, an den Luftangriffen der Verbündeten durfte sich die
Bundesluftwaffe jedoch nicht beteiligen. In der globalen Aufregung um die Behauptungen
des NSA-Verräters Snowden protestiert niemand so schrill gegen den
amerikanischen Überwachungsstaat wie deutsche Medien, zugleich wertet man emsig
die Erkenntnisse der US-Geheimdienste aus.
Nur wenn es um den Euro
geht, will Deutschland partout nicht zu den Guten gehören, sondern zu den
Sparsamen. Statt bereitwillig das Portemonnaie für die armen Südländer zu
öffnen, hält man sein Geld lieber zusammen. Das Beispiel der Finanzkrise zeigt,
dass Berlin durchaus zu einer nüchternen und interessengeleiteten Außenpolitik
in der Lage ist. Es wäre daher auch in der Daten-Affäre allmählich angezeigt,
mit der Schnappatmung aufzuhören und mit dem Nachdenken zu beginnen.
Seit Tagen stellt die
Opposition bohrende Fragen, in welchem Umfang der deutsche Auslandnachrichtendienst
BND mit der NSA kooperiert. Die Regierung indes gibt nur ausweichende
Antworten. Dieses Schmierentheater muss ein Ende finden. Der BND arbeitet seit
seiner Gründung engstens mit den amerikanischen Partnern zusammen; und
natürlich erhalten die deutschen Spione dabei gelegentlich Informationen, deren
Beschaffung ihnen nach deutschem Gesetz verboten ist. Das weiß jeder, der es
wissen will. Dafür muss man keine Interviews mit Snowden führen. Statt ihre
nicht enden wollende Abscheu zu zelebrieren, genügte es, wenn die SPD ihren
Fraktionsvorsitzenden Steinmeier um Auskunft bäte. Dieser war unter
Bundeskanzler Schröder für die Koordination der deutschen Geheimdienste
zuständig.
Der Austausch mit
Partner-Diensten hat nicht nur Anschläge in der Bundesrepublik verhindert. Das
ganze Lagebild zum internationalen Terrorismus beruht in großem Umfang auf
ausländischen Quellen. Ohne die Hilfe wäre Berlin gegenüber der islamistischen
Gefahr auf einem Auge blind – obwohl Deutschland besonders exponiert ist. Von
hier aus sind zahlreiche Migranten und Konvertiten in den Jihad gezogen. Die
Bundesrepublik erlebte in den siebziger Jahren, wie eine Welle politischer
Gewalt eine Gesellschaft paralysieren kann. Hier vorzusorgen ist ein Gebot der
Klugheit, und dazu gehört es auch, die technischen Mittel auszuschöpfen.
Niemand kann der Forderung
widersprechen, Gefahrenabwehr und Datenschutz seien auszubalancieren. Was dies
aber in der Praxis bedeutet, lässt sich nicht im Zustand medialer
Dauer-Erregung klären. Zumal jemand die Verantwortung tragen muss, wenn infolge
von Versäumnissen Komplotte nicht aufgedeckt werden und Unschuldige ihr Leben
verlieren. Es ist noch nicht lange her, da erörterte Deutschland, weshalb drei
Neonazis zehn Personen töten konnten, ohne dass staatliche Stellen die
richtigen Schlussfolgerungen zogen. Ist diese quälende Diskussion schon
vergessen?
Doch geht es in der
jüngsten Geheimdienstaffäre nicht allein um Terrorismus. Kanzler Kohl stand
einst am Pranger, weil deutsche Firmen am Bau einer Giftgasanlage in Libyen
mitgewirkt hatten. Die Bundesregierung hatte von «Auschwitz in the sands»
nichts gewusst und war restlos blamiert. Deutschland bekämpft die Weitergabe
von
Massenvernichtungsmitteln
oder sichert seine Exportrouten auf den Weltmeeren. Strategische Interessen
werden auch durch den Informationsvorsprung der Nachrichtendienste gesichert.
Die Großmacht Amerika handelt nach dieser Maxime und stützt sich dabei auf die
Antennen und Rechner der NSA. Deutschland ist im europäischen Rahmen ebenfalls
eine Großmacht; sie kann sich nicht immer darauf verlassen, dass andere für sie
die Kastanien aus dem Feuer holen, während sie in gemessenem Abstand das Banner
der Moral hinterher trägt.