"Wäre ich amerikanischer Präsident gewesen nach dem 11. September, wäre ich vielleicht mit der Air Force 1 nach Afghanistan geflogen, allein, vielleicht sogar ohne Dolmetscher. Hätte den Taliban und der Al Qaida unter dem Schutz der weltöffentlichen Berichterstattung einfach in die Augen gesehen und sie gefragt, was los sei. Verrückt, denken Sie? Nein, direkt. Keine Eskalation."(Auszug eines Leserbriefs in der Printausgabe der taz am 28.11.2001)
Vielen Christen gelten die Worte Jesu in der Bergpredigt als Grundlage und Bestätigung für ihren (verquasten) Pazifismus. Sie berufen sich immer wieder auf den Satz „Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ (Mt. 5,9).
Ein Blick in die Septuaginta, die griechische Übersetzung des hebräischen Originaltextes aus dem so genannten AT oder in den Grundtext des NT (Mt 5,9) kann manchmal nicht schaden. Er belehrt uns eines Besseren. Dort wird das Wort εϊρηνοποιοϊ (eirenopoioi) gebraucht, d.h. Friedensstifter, aber im Sinne von “Frieden machend, Frieden herbeiführend“. Es geht um eine aktive Handlung, die einen unfriedlichen Zustand in einen friedlichen überführt.
In der von Hieronymus ins Lateinische übersetzten Fassung (Vulgata, 4. Jahrhundert) heißt es gleichbedeutend: Beati pacifici quoniam filii Dei vocabuntur - “glücklich die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden”.
Und hier beginnen schon die Missverständnisse, Verdrehungen und Umdeutungen, denn in blanker Unkenntnis und Oberflächlichkeit entstand daraus ein: „Selig sind die Pazifisten“, was einer glatten (Ver-) Fälschung gleicht.
„Pacificus“ bedeutet die Zusammensetzung von „pax“ und “facere“, also „pacem facere“, Frieden schaffen, wobei „facere“ das aktive Handeln und Gestalten meint und nichts mit bloßem Abwarten, Teilnahmslosigkeit und falscher Liebedienerei zu tun hat. Deshalb bedeutet dies auch keine passive Appeasement-Haltung, die dem Feind zuarbeitet (Jesus spricht nicht davon, dass Friedensbereitschaft die Nichtexistenz oder das Verschwinden des Feindes voraussetzt oder zur Folge hat), keine hedonistische Bequemlichkeit oder die Weigerung, die Welt so zu sehen, wie sie tatsächlich ist und angemessene Antworten zu finden.
Selig sind die Friedensstifter, nicht (nur) die Wehr- oder Waffenlosen. Das ist ein eminent wichtiger Unterschied. „Pacifici“ und Pazifisten sind zwei Paar Stiefel. Und das gilt sowohl für den privaten Raum als auch für den staatlichen und den zwischen Völkern.
Die Instrumentalisierung des Friedensappells Jesu
Wer glaubt, dass allein die kirchliche Friedensbewegung sich darauf berief, irrt, denn die Bergpredigt wurde sehr schnell auch zum Steinbruch für Marxisten, Hobbypädagogen und selbsternannte Bibelexegeten (z.B. Milan Machovec „Jesus für Atheisten“) und einem großen Teil der 68er-Bewegung, die der Bergpredigt aus rein sozialtherapeutischem und soziokulturellem Interesse heraus ihre Beachtung schenkte. Leider hat sich diese Tendenz bis in die heutige Zeit mehr als verselbständigt.
Verhängnisvoll und negativ prägend dabei vor allem die Zusammenarbeit mit Theologen beider Volkskirchen. Wenn ich nur an Namen wie Dorothea Sölle, Gollwitzer und Drewermann denke, bekomme ich massive Kopfschmerzen. Kaum einer dieser Protagonisten hatte etwas gegen die massive bewaffnete Aufrüstung von marxistischen Befreiungsbewegungen weltweit, aber beim NATO-Doppelbeschluss musste u.a. auch die Bergpredigt als Verhinderungsvehikel herhalten, so, als sei sie eine Gebrauchsanleitung für politisches Handeln.
Die einseitige Instrumentalisierung der Bergpredigt zieht sich aber auch durch die Literatur und das journalistische Tagesgeschäft. Es gehört schon zum guten Ton seit Gründung und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland, sich auf die Bergpredigt zu berufen und damit wie selbstverständlich pazifistische Positionen zu begründen.
Wiederkäuer altvorderer Autoren, die Scheu haben, sich sorgfältig mit biblischen Inhalten auseinanderzusetzen? Nach landläufiger Auffassung, aber auch im Konsens der akademischen Kreise, wird „Bergpredigt“ pauschal mit Pazifismus im Sinne von Waffenlosigkeit gleichgesetzt: Kein Krieg, keine Gewaltausübung, keine Rüstung, kein Militär, kein aktiver Widerstand. Fehlt nur noch, dass man die Polizei abschafft….
Der Text der Bergpredigt gibt solche Spinnereien überhaupt nicht her. Jesu Aussage ist eine andere, ernsthafte und konsequente.
Grundsätzlich meint sie die Herbeiführung eines Zustandes, nicht grundsätzlich passive Ergebenheit in jeglicher Hinsicht (Beispiel "Sozialer Widerstand") und in jeder Situation, auch wenn man von Fall zu Fall immer wieder neu entscheiden muss - das stimmt zweifelsohne. Das Ziel ist der Zustand des Friedens - die Frage der Mittel eine völlig andere.
Wie es Jesus sicher nicht gemeint hat und ein Weltverbesserer vor dem Herrn formulierte:
„Wenn ich mich völlig entwaffne, also ganz nackt dastehe, zeige ich dem Feind, dass ich keine bösen Absichten hege und bewege ihn dazu, seine feindselige Situation zu überdenken und es mir gleichzutun“,....so ein Anrufer in der Hörersendung 2254-2254 von dradio-kultur (wo linker Antisemitismus von Anrufern und manchen Moderatoren gepflegt wird wie Nachbars Heinzelmännchen im Vorgarten) vor ein paar Wochen, als es darum ging, ob man mit Gewalt Frieden erzwingen könne.
Mir graut vor solchen Menschen, die dem Gegner alles gestatten - dem, der seine Angehörigen und sein Land und die Freiheit schützen will, aber rein gar nichts.
Die Vorstellung der Friedensbewegung und der christlichen Pazifisten, dass es in der Bergpredigt nicht auf das Ziel, sondern in erster Linie auf den Weg dahin und die Mittel ankomme, kann man zudem nur als grandiose hermeneutische Fehlleistung interpretieren. Oder müsste man nicht sogar von einer einseitigen Verdrehung und faktisch einer eklatanten Fälschung sprechen, auf die Generationen von Geisteswissenschaftlern, Theologen und andere Intellektuelle reingefallen sind? Manipulative Friedenssemantik, die Inhalt, Bedeutung, Aussage und Intention des Textes bzw. des Autors verfälscht?
Es geht in der Bergpredigt um den Frieden, nicht um die Waffenlosigkeit
Die Bergpredigt taugt ganz und gar nicht zur Legitimierung des gängigen Pazifismus, und schon gar nicht im Sinne einer christlichen Verbindlichkeit und/oder Aufforderung zum Pazifismus.
Aus ihr lässt sich eine breite Varianz menschlichen Verhaltens ableiten, was bedeutet, dass Friedenstiften sowohl durch Aufrüstung oder Abrüstung, durch Kapitulation oder Kampf bis zum letzten Mann erfolgen kann, wobei sich das jeweils adäquate Handeln situativ ergibt und nicht aus einer vorgefertigten statischen, ideologisch oder religiös interpretierten Position.
Wenn sich der Fokus auf den Frieden richten soll, dann nicht auf die Bedingungen für den Frieden. Jesu Aussage zum Frieden beschreibt das Bemühen, diesen (überhaupt) zu erreichen, aber es ist keine Aussage darüber, wie dieser Friede herzustellen ist: ob bewaffnet oder nicht, mit Rüstung und Nuklearwaffen, mit Bündnissen und Völkerfreundschaft, mit Gastgeschenken und Tributzahlungen oder mit Waffenlosigkeit und Kapitulation.
Die Bibel lässt Aufrüstung und Waffenlosigkeit zu, Krieg und Kapitulation - das Ziel ist der Frieden. Es mag Situationen geben, in welchen Waffenlosigkeit und Kapitulation die richtigen Friedensinstrumente sind, und es mag andere Situationen geben, in welchen Rüstung und Krieg die richtigen Friedensinstrumente sind, so absurd das auch für manchen Leser klingen mag.
Jesus macht hierzu keine Aussage. Danke jetzt schon, wenn mir jemand das Gegenteil beweist. (Konnte bis heute niemand - auch kein Theologen-Kollege)
Kann Frieden eher durch Waffenlosigkeit erreicht werden, so ist diese vorzuziehen (falls man dabei seine Freiheit behält); kann der Frieden gegen Friedensunwillige eher durch militärische Rüstung erlangt werden, so ist diese vorzuziehen. Hier entscheidet sich auch, welches Menschenbild man hat. Ein realistisches, wie Jesus und die Bibel es uns vorhalten, oder ein schwärmerisches, das alles Gelingen in die Kompetenz des Menschen verlegt?
Kaum etwas ist teurer als ein Krieg, auch wenn er erfolgreich für den Verteidiger endet. Deshalb sind einige Milliarden für Rüstungsausgaben u.U. gut angelegtes Geld, auch wenn die beschafften Waffen nach etlichen Jahren wieder teuer verschrottet werden müssen (siehe Pershing 2 - aber eben auch die SS 20 in den 1980er-Jahren). Menschliche Anstrengungen auf der endlichen Erde unterliegen stets der Zeitlichkeit, und zweifellos muss gelten, dass je weniger Waffen zur Friedensicherung erforderlich sind, umso besser für alle Beteiligten.
Unterschiedliche Zeiten erfordern unterschiedliche Maßnahmen. 1914 hätte die allgemeine Parole lauten müssen: „Waffen nieder“, aber 1940 für England?
Nein.
Nach menschlichen Maßstäben gibt es (gerade für christliche Pazifisten) zur Herstellung und Beibehaltung von Frieden wenig Raum für Waffenlosigkeit oder Kapitulationsbereitschaft - er würde mit großer Wahrscheinlichkeit den Tod vieler Menschen bedeuten.
Angesichts eines “homo homini lupus est”, tut man sicherlich gut daran, sich zu bewaffnen, auch wenn dies niemals eine Friedensgarantie bietet. Aber die Wahrscheinlichkeit, den Frieden sichern zu können, steigt mit einer adäquaten Bewaffnung. So etwas nennt man schlicht menschliche Realität und nüchternes Verantwortungsbewusstsein, ob der Einzelne dies gut findet oder nicht, ist dieser Realität schnuppe.
Mit der Bergpredigt könnte man theoretisch ja durchaus Politik machen, vielleicht auch gute Politik. Wäre die Bergpredigt Grundlage jeglicher Politik, so würde jeder Staat leidlich gut funktionieren. Aber die Realität sieht anders aus. Und da sind wir wieder bei der anthropologisch-biblischen Konstante….und bei Kain und Abel.
Biblische Aussagen sind nicht abgehoben, sondern geben Antwort auf die Herausforderung weltlicher Immanenz. Die Lehre der Bibel und das (eigentliche) Naturrecht harmonieren also miteinander.
Im persönlichen Bereich ist eine pazifistische Haltung durchaus zu respektieren, vor allem dann, wenn Pazifisten bereit sind - was manche auch glaubwürdig verkörpern -, die entsprechenden Konsequenzen auf sich zu nehmen.
Im gesamtgesellschaftlichen und zwischenstaatlichen Raum wirft der radikale Pazifismus im Hinblick auf die Realpolitik jedoch viele Fragen auf. Und ist die Bevölkerungsmehrheit gewillt, die Konsequenzen des Pazifismus bis zum Äußersten zu tragen (sozialer Widerstand etc.)?
Fazit:
Auch wenn man dem Pazifismus etwas Positives abgewinnen würde, kann man ihn nicht aus der Bergpredigt ableiten, denn er beruht auf einer persönlichen - wenn auch manchmal durchaus ehrenwerten Sicht der Dinge. Die Bergpredigt erlaubt den Krieg, sie erlaubt den Gebrauch der Waffe, sie erlaubt die Wehr- und Waffenlosigkeit und sie erlaubt die Kapitulation; das Ziel ist aber der Friede, nicht der Pazifismus - das Ziel ist der Friede, nicht der Krieg.
Wie wir alle wissen, steht vor dem UNO-Komplex in New York eine Skulptur, die einen Heros zeigt, der im Sinne der Rüstungskonversion ein Schwert zu einer Pflugschar umschmiedet. Sie wurde 1959 von der UDSSR gestiftet und soll an das Friedensziel der UN-Charta erinnern. Dabei dachten die Machthaber im Kreml aber nicht an die Bibelstelle in Micha 4,1-4, also an einen Frieden, der originär von Gott kommt, sondern an die Selbstdarstellung als Friedensmacht, wie später von der DDR-Friedensbewegung auch bildhaft übernommen.
Man sollte also immer wachsam sein und die Waffen nicht aus der Hand legen, wenn totalitäre Systeme oder Bewegungen, wie jetzt der Politische Islam, das Wort Frieden in den Mund nehmen.