Wie jedes Jahr erreichte mich auch diesmal die obligatorische Einladung des Oberbürgermeisters meiner Heimatstadt Augsburg zum Gedenken an den Pogrom 1938, als hier jüdische Mitbürger verhaftet, verschleppt und ermordet, Geschäfte und Kaufhäuser angezündet, dem SA-Pöbel preisgegeben und schnellstmöglich arisiert wurden.
Ich bekomme die Einladung deshalb, weil ich (noch…) zwei Organisationen angehöre, die sich der deutsch-israelischen Verständigung verpflichtet fühlen, auch wenn der Terminus „sich verpflichtet fühlen“ für manche Mitglieder dieser honorigen Gruppen überhaupt nicht zutrifft….
Die hiesige wunderschöne Jugenstil-Synagoge konnte der [vollständigen] Vernichtung durch die Flammen nur deshalb entgehen, weil die Feuerwehr ein Übergreifen auf benachbarte Gebäude von „Ariern“ und eine angrenzende Tankstelle befürchtete. Deutsche „Umsichtigkeit für unbescholtene Mitbürger“ sozusagen.
Am 9. November 2010 ist es nun also wieder soweit:
Man betrauert ein Ereignis, das vor 72 Jahren den Juden den Weg in die Gaskammern vorzeichnete und viele Gaffer in seine Bann zog.
Die Gaffer sind nicht ausgestorben, und sie werden zunehmend aktiv:
Nicht wenige sind und bleiben Nachfolger bzw. Exemplum der Täter, wenn auch unter modernen Vorzeichen:
Sie betrauern tote Juden aus einer Zeit, die Ihnen eigentlich nichts mehr sagt, und sie deligitimieren heute direkt oder indirekt das Lebensrecht der lebenden jüdischen Nachkommen im Staat Israel und den jüdischen Staat selbst, indem sie durch Gleichgültigkeit oder schlichtes Unwissen zum neuen Antisemitismus beitragen.
Sie werden wie in den Jahren zuvor in der Synagoge sitzen, Krokodilstränen ob feierlicher Elogen vergießen, ihre Zugehörigkeit zu deutsch-israelischen Verbänden, zu antirassistischen Zusammenschlüssen, Gewerkschaftsabordnungen und grünen Graswurzelorganisationen vor sich hertragen wie ein Antisemitismus-Antibiotikum. Sie unterhalten pseudo-proisraelische Webseiten und reflektieren insgeheim ihren eigenen Betroffenheits-Suff über tote Juden und die Verfehlungen meiner und ihrer Eltern in einer Art Selbstspiegelung, denn:
Sie wissen zwar, dass sie eine (formale) innerliche Distanz zum eliminatorischen Antisemitismus ihrer Verwandten gegenüber dem einzelnen Juden gefunden haben, gleichzeitig projizieren sie aber ihr Unschuldsbewusstsein und ihre gnadenlose Selbstgerechtigkeit auf den heutigen Staat Israel, den sie als Negativfolie für ihr gestörtes Verhältnis zu Juden einsetzen - ja, weil sie doch „gerade als Deutsche“ so viel gelernt haben.
Vor ein paar Jahren durfte ich an gleicher Stelle Ex-Senator Hartmann lauschen, der in seinem Sermon nichts Besseres zu sagen hatte, als den anwesenden türkischen Millö-Göres-Mitgliedern zu versichern, dass sie Mitleidtragende eines Ausländerhasses seien. Ein (unbewusster) peinlicher Vorgriff auf Wolfgang Benz' später folgenden (bewusst inszenierten?) intellektuellen Missgriff, der in den Muslimen die neuen Verfolgten sieht - also eine Themen- und Opferverlagerung?
Ich denke, ja.
War dies das Sujet, auf das alle gewartet hatten? Und warum wurde Millö-Göres in die Gedenkveranstaltung miteinbezogen?
Heute bin ich sehr gespannt darauf, ob Vertreter dieser islamistischen Judenhasser wieder eingeladen werden.
Meine Kollegen von der evangelischen Fraktion werden in Person von Regionalbischof Michael Grabow sicher auch ihren Stempel hinterlassen. Ich befürchte aber, dass es wieder ähnlich ablaufen wird wie damals.
Meinen Notizblog werde ich jedenfalls mitnehmen. Und ich werde schreiben.
Das ist so sicher wie jeder Trostpsalm.