Wie kann man wahre Märtyrer von falschen Märtyrern unterscheiden, und woher kommt es, dass in unserer Zeit diese Trennung nicht mehr klar getroffen werden kann? Und dass diese Begriffsverwirrung, was diesen Terminus Märtyrer im Zusammenhang mit den monotheistischen Religionen Islam und Christentum betrifft, nicht aufgelöst wird und allgemeine Sprachlosigkeit vorherrscht?
Im badischen Uhldingen-Mühlhofen ist die Hilfsorganisation Märtyrerkirche (HMK) beheimatet. In Gesprächen mit den Mitarbeitern erfahre ich immer wieder, dass die christliche Einrichtung mit einer Frage belästigt wird, die an Absurdität kaum noch zu übertreffen ist - nämlich der, ob wohl die Hilfsorganisation wegen ihres Namens nicht mit Selbstmordattentaten assoziiert werden könnte und Christen auch als Selbstmordattentäter aktiv sind. Vulgäre Fragestellungen dieser Art sind höchst ärgerlich, ganz abgesehen davon, dass sie von einer erschreckenden Ahnungslosigkeit, Gleichgültigkeit und fehlender Bereitschaft zeugen, sich mit Herkunft und Missbrauch des Begriffes auseinanderzusetzen. Die Gleichsetzung des christlichen Märtyrerbegriffes mit der ins Gegenteil verdrehten und pervertierten islamischen Variante kann nur als Verhöhnung aller Christen gelten, die gewaltlos ihr Leben für ihren Glauben ließen und heute hingeben.
Die Gründung von HMK erfolgte 1959, basierend auf den Erfahrungen und Zeugnissen des evangelischen Pfarrers Richard Wurmbrand, der nach 14 Jahren Haft wegen seines christlichen Bekenntnisses im kommunistischen Rumänien freigekauft worden war.
Im freien Westen erhob er für die verfolgten Christen in den kommunistischen Staaten seine Stimme mit Predigten und Vorträgen. Herausragende Resonanz findet er bis heute durch sein Buch Gefoltert für Christus.
Christliche Märtyrerstimmen:
„Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Jesus am Kreuz, Lk 23,34)***
„Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ (Stephanus bittet für seine Mörder bei Gott)
„Oh, Herr“, sagte der Henker, „ich bin dazu bestimmt, das Feuer zu legen“. „Darin", sagte Bischof Hooper, „vergehst du dich nicht an mir: Gott vergibt dir deine Sünden. Walte deines Amtes, ich bitte dich“. (John Hooper, Bischof von Worcester und Gloucester, verbrannt am 22. Januar 1555)
Islamische Märtyrerstimmen:
„Ich schäme mich, dass ich noch am Leben bin und es mir nicht gelungen ist, Dutzende Juden in den Tod zu reißen.“ (Mahmud Kaddusi, 16jähriger Selbstmordattentäter, dessen Tat vereitelt wurde).
„Wir preisen die, die ihre Kinder zum Heiligen Krieg und zum Märtyrertum erziehen. Gepriesen sei der, der eine Kugel in den Kopf eines Juden schießt.“ (Freitagsgebet am 4.8.2001, im offiziellen palästinensischen Fernsehen.)
Aus den Hadithen, den gesammelten und autoritativen Aussprüchen von Mohammeds: „Allah erfreut sich an den Völkern denen der Islam durch die Waffe gebracht wurde und die in Ketten ins Paradies geschleppt werden.“ und „Das Paradies liegt in den Schatten der Schwerter.“
Märtyrertod oder todbringende Märtyrer?
Ein alter christlicher Begriff feiert „fröhlich-falsche“ Auferstehung: Märtyrer. Wir lesen und hören von Märtyrerkämpfern, vom Märtyrertod und von Märtyreroperationen. Über die militant-terroristische Variante des Islam kommt der Märtyrerbegriff wieder ins Gedächtnis des „christlichen Abendlandes“. Die Verwirrung ist groß. Und sie wird noch größer, wenn aus dem Märtyrer ein politisch-humanistischer Rundumbegriff wird, der überall angewandt werden kann: Es gibt Märtyrer der Befreiung, Märtyrer der Emanzipation, Märtyrer der Umwelt, Märtyrer der Revolution usw. usf.
Ohne Zweifel ist Märtyrer ein Schlüsselbegriff unserer Zeit geworden. Das Martyrium kann heute ohne Gott verstanden werden - als Selbstopfer und Waffe für ein politisches oder anderes Ziel. Leider hat die urchristliche Bedeutung des Begriffes Märtyrer durch beliebige Verwendung an Schärfe und Klarheit verloren. Die miteinander konkurrierenden Märtyrervorstellungen führen in der Öffentlichkeit nicht selten zu Verständnisschwierigkeiten.
Märtyrer heißt im Griechischen zunächst einfach Zeuge. Es bedeutete „Zeugnis ablegen für Gott“ im Neuen Testament – also das Evangelium zu verkünden. In der Apostelgeschichte lesen wir, dass Zeugnis ablegen häufig mit Verhaftungen, Verhören, Gefängnisstrafen oder Hinrichtungen verbunden war. Ab 150 n. Chr. schränkte die junge Kirche den Begriff ein und wandte ihn nur noch auf Christen an, die durch ihr Zeugnis zu Tode kamen. Wer für den Glauben litt (etwa durch Haft oder Folter), sein Leben aber behielt, galt fortan als „Bekenner“ (Confessor). Der fest geprägte Begriff Märtyrer begegnet zum ersten Mal im Bericht vom Martyrium des Polykarp von Smyrna (Das heutige Izmir in der Türkei) aus dem dritten Viertel des 2. Jahrhunderts n. Chr. Die genaue Entstehung dieses fest geprägten Terminus ist noch nicht geklärt. Als sicher gilt, dass in den Schriften des Neuen Testaments martys immer den Wort- bzw. Glaubenszeugen bezeichnet, der vom Glauben an Jesus Christus Zeugnis ablegt . Der Begriff Confessor leitet sich u.a. auch von Maximus Confessor ab, der fälschlicherweise die wütenden Sarazenen mit Juden gleichsetzte.
Die HMK knüpft an das Verständnis der ersten Christengemeinden an und bezeichnet alle Christen als Märtyrer, die durch ihr Bekenntnis zum dreieinigen Gott in Bedrängnis geraten. Christen, denen es verwehrt wird, ihren Glauben frei zu leben, sind Teil der weltweiten Märtyrerkirche. Ein Märtyrer ist ein Christ, der eher Demütigung, Haft, Folter und den Tod erträgt, als seinen Glauben zu widerrufen. Das Martyrium ist ein Zeugnis, ein Beweis seines Glaubens, oder dramatischer gesagt - seiner Liebe zu Christus. Märtyrer sind Vorbilder, da sie mitten im Leiden ein unerschütterliches Vertrauen zum Gott der Bibel beibehalten.
Auch der Islam kennt die Vorstellung vom Muslim, der für seinen Glauben mit dem Tod bezahlt. Das arabische Wort hierfür ist Shahid und bedeutet auch Zeuge (auch Eigenname Mohammeds), hat aber inhaltlich eine vom christlichen Zeugen abweichende Bedeutung. Der „Zeuge für Allah“ ist ein Muslim, der im Namen Allahs tötet oder getötet wird. Martyrium im islamischen Kontext bedeutet normalerweise den Tod im Dschihad, einem Heiligen Krieg. Nur dieser Märtyrertod führt ganz sicher und unmittelbar ins Paradies. Die Schrecken des Grabes spielen im Islam eine große Rolle. Viele Muslime wünschen sich den Märtyrertod, da nur dieser Tod alle ihre Sünden vergessen macht und sie unmittelbar ins Paradies eingehen. „Durch seinen Opfertod entgeht der Shahid so beispielsweise dem Verhör der beiden ‚Todesengel‘ Munkar und Nakir und braucht auch nicht das ‚islamische Fegefeuer‘ (Bazarkh) zu passieren; denn Märtyrer sind von aller Sündenschuld befreit, so dass sie der Fürsprache des Propheten nicht bedürfen und sogar gemäß späteren Traditionen selbst als Fürsprecher auftreten dürfen. Ferner wird ihnen von den Stufen des Paradieses die höchste und bedeutendste zugewiesen, welche in der Nähe von Gottes Thron ist...“ Das Verlangen nach den Freuden des Paradieses führte zu einer „eigentlichen Sehnsucht nach dem Märtyrertod“, so Dr. Babak Khalatbari.
Ein längst nicht mehr neues Phänomen sind die Selbstmordattentäter, die von einigen islamischen Rechtsgelehrten als Märtyrer charakterisiert werden. Selbstmordattentate sind eine moderne Variante des Dschihad, welche die Ausführenden und ihre Sympathisanten als „Märtyreraktionen“ und dadurch als besonders ehrwürdige Form des Kampfes für Allah bezeichnen. Zunächst traten sie vor allem im Kontext der im Jahr 2000 begonnenen zweiten Intifada im israelisch-palästinensischen Konflikt auf, mittlerweile werden sie auch weltweit von Islamisten als Mittel zum Kampf eingesetzt und propagiert: in Tschetschenien, Marokko, Irak und nun zunehmend in Afghanistan. Falsch verstandenes Gefühl der Überlegenheit führt dazu, dass sich junge Muslime aus allen Gesellschaftsschichten zum Selbstmordattentäter berufen fühlen. Auf die Bedeutung des Gefühls der „Erwähltheit“ weist der Theologe Hans Maier hin. Die Terroristen können „wie in Urzeiten, Gewalt üben, ihre Ehre verteidigen, ihre Männlichkeit ausleben – und dies alles in der Rolle des Rächers der verletzten Unschuld und des Kämpfers für Gerechtigkeit.“
Anlässlich seiner Ernennung zum Leiter des Rates für Rechtsgutachten in Ägypten äußerte sich Dr. Ali Djum'a Muhammad zu den Selbstmordattentätern: „Die Palästinenser, die sich selbst in die Luft sprengen, sind keine Terroristen, sondern Märtyrer. Diejenigen, die keine Palästinenser sind, sich aber in Palästina einschleichen und dort im Kampf sterben, sind ebenfalls Märtyrer. Der Kampf in Palästina ist eine islamische Pflicht. Jeder Mann und jede Frau, die (für den Islam) kämpfen können, müssen auch am Kampf teilnehmen.“ Der Islam fordert die Unterwerfung aller Menschen unter Allah. Diese Hingabe, glauben Muslime, wird der Welt Frieden bringen. Dass im Kampf zur Rückgewinnung „islamischen“ Territoriums im Kampf gegen den Judenstaat Israel der Selbstmordanschlag auch von hohen Würdenträgern und Gelehrten bejaht wird, wirft einen mehr als dunklen Schatten auf den Islam.
Die von Hamas-Strategen zu Selbstmord-Anschlägen gedrängten jungen Palästinenser als Märtyrer zu bezeichnen, ist mehr als verfehlt. Babak Khalatbari erwähnt theologische Schriften, in denen „die im Kampf gefallenen Kämpfer auf eine Art und Weise verherrlicht werden, dass man glauben könnte, es sei der eigentliche Lebenszweck, sich von den Ungläubigen zerfetzen zu lassen“.
Bereits 1998 bezeichnete der Großscheich der al-Azhar Universität Kairo und Großmufti von Ägypten, Sayyid Mohammed Tantawi, die palästinensischen Attentate für rechtmäßig: „Es ist das Recht jedes Muslims, jedes Palästinensers und jedes Arabers, sich inmitten von Israel in die Luft zu sprengen“ und „Selbstmordoperationen dienen der Selbstverteidigung“. Auf einer Konferenz islamischer Gelehrter aus 58 Nationen 2003 in Qatar sprach sich nur einer (ausgerechnet der saudische Scharia-Professor Hassan ibn Mohammed Safar von der Universität Dschidda) gegen Selbstmordattentate aus. Er sagte, sie seien eine Vergeudung des Menschenlebens und blinde Tötung von Unschuldigen.
Dass Mord und Selbstmord automatisch ins islamische Paradies mit Dutzenden von Jungfrauen führt, ist in der islamischen Theologenwelt heftig umstritten und keineswegs allgemein anerkannt. „Die islamistischen Selbstmordattentäter nehmen auf der Grundlage einer theologischen Spitzfindigkeit bezüglich ihrer Behandlung im Jenseits also ein beträchtliches Risiko auf sich“, meint der Islamwissenschaftler Bernard Lewis.
Die Unterschiede zwischen christlichem und islamischem Märtyrerverständnis sind nicht nur groß, sondern geradezu gegensätzlich. Der Unterschied zwischen Märtyrer und Shahid ist so groß wie der zwischen getötet werden und töten, zwischen leiden und Leid zufügen. Im Islam gilt derjenige als Märtyrer, der im Namen Allahs „tötet oder getötet wird“. Christen sprechen nur von Märtyrern, wenn Menschen für ihren Glauben leiden. Ein christlicher Märtyrer lässt sich schlagen, erschlägt aber keinen. Er nimmt den Tod für Christus auf sich, tötet aber niemand im Namen Christi. So verlangt es das Neue Testament: „Man schilt uns, so segnen wir; man verfolgt uns, so dulden wir’s; man lästert uns, so flehen wir.“ (1. Kor 4,12) Im Römerbrief ermahnt Paulus die Christen: „Rächet Euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes. (...) Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.“ (Röm 12, 19+21).
Christen sterben für ihren Glauben, Muslime dürfen für den ihren auch töten. Der Gott der Bibel verbietet, dass in seinem Namen gefoltert und getötet wird. Mohammeds Gott erlaubt es seinen Anhängern. Christen werden aufgefordert, alles zu ertragen und zu erdulden im Namen der Liebe (1. Kor 13,12). Der Koran fordert seine Gläubigen auf zu kämpfen: „Euch ist vorgeschrieben (gegen die Ungläubigen) zu kämpfen, obwohl es Euch zuwider ist.“ (Sure 2,216).
Wenn der Märtyrerbegriff zum Recht wird, für den Glauben schrankenlos zu morden, dann ist der Märtyrer ein Schrecken für die Menschen. Denken wir an die mahnenden Worte des Reformators Sebastian Castellio: „Einen Menschen töten heißt nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen zu töten.“
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***Ich bezeichne hier Jesus Christus ausdrücklich nicht als christlichen Märtyrer, ordne ihn aber als Gründer des christlichen Glaubens ein, wenn auch die synagogale Tradition nach dem ersten Apostelkonzil 44-49 nach Christus weiterbestand. Andernfalls wäre ich kein Christ. In Matthäus 28, 18-20 schickt Jesus Christus seine Jünger in die Welt.
Er ist für den Gott der Bibel gestorben, dem er mehr gehorchte als den Menschen und den regierenden Institutionen. Ihn als jüdischen Märtyrer zu bezeichnen, wäre auch unangebracht, da er sich nicht für eine politische Idee einsetzte, sondern für das Heil der Welt und die Versöhnung zwischen Gott und Mensch. Jesus Christus ist nicht im Sinne von "christlich" oder "konfessionell" einzuordnen. Aber sein Wort hat die christliche Kirche begründet - wenn auch erst nach seinem Tod und seiner Auferstehung. Und seine Auferstehung ist für mich die Hoffnung meines Lebens.
Ich bekenne mich zu ihm als meinem Erlöser.
Hattip: Hilfsaktion Märtyrerkirche