Samstag, Dezember 01, 2007

Das verdammte siebente Jahr des Monsieur Enderlin


Am 27. Februar 2008 wird an einem Pariser Gericht wohl das endgültige (?) Urteil in einem Berufungsverfahren gesprochen und die Akten eines Falls geschlossen werden, der am 30. September 2000 seinen Ausgang nahm, die zweite Intifada in den palästinensischen Gebieten anheizte und unter der israelischen und palästinensischen Bevölkerung viele Todesopfer forderte.

Anlass war eine
55-sekündige Filmszene, die um die Welt ging und den Palästinenser Dschamal al-Dura mit seinem Sohn Mohammed zeigte. Beide suchten hinter einer mit Beton gefüllten Öltonne Schutz. Sie waren an der Netzarim-Kreuzung (Gaza) in einen Schusswechsel zwischen Palästinensern und einem IDF-Posten geraten. Der palästinensische Kameramann Talal Abu Rahma, bekannt für "ausgewogene" Kamerabedienung, widersprüchliche Darstellungen und grotesk anmutende Presseauszeichnungen, der für den Fernsehsender France 2 arbeitete, hatte 45 Minuten des Schusswechsel unter, wie er behauptete, „großer Gefahr für mein eigenes Leben“ gefilmt und anschließend 27 Minuten davon bei Charles Enderlin, dem Korrespondenten von France 2, im Büro abgeliefert.

Talal Abu Rahma gab auf Nachfragen an, dass allein 6 Minuten des Filmrohmaterials von der Ermordung Mohammed al-Duras stammten. Charles Enderlin handelte an jenem Abend des 30. September nicht wie ein Berichterstatter, der sich dem journalistischen Ethos der Recherche und Absicherung der Fakten verpflichtet wusste. Also schnitt er aus 27 Minuten des Rohmaterials flugs 55 Sekunden zusammen, um das zu machen, was sehr viele Journalisten umtreibt - Befriedigung des eigenen Egos und die der Sensationsgier der Medien obendrein. Dass er so ganz nebenbei die arabische Welt gegen Israel aufbrachte und das Bild Israels im Westen in Misskredit brachte, schien ihn wohl nicht sonderlich berührt zu haben.

Auch als der Hessische Rundfunk im Jahr 2002 Esther Schapiras Dokumentation Wer erschoss Mohammed Dura? ausstrahlte, dürften Monsieur Enderlin wohl kaum ernste Sorgen bezüglich seiner angekratzten Reputation beschlichen haben, blieb er doch auch dann noch ungerührt, als ihm seine Kollegen Denis Jeambar, Daniel Leconte und Luc Rosenzweig deutlich zu verstehen gegeben hatten, dass sie seine Arbeit für Pfusch erachteten. Rosenzweig, ehemaliger Chefredakteur von Le Monde, betrachtete den 55-Sekunden-Schnipsel als Manipulation.

Trotz der besonders in seinem Heimatland Frankreich anhaltend heftigen Diskussion über die umstrittene Dokumentation und seinen Arbeitgeber France 2 blieb Charles Enderlin hartnäckig bei seiner Darstellung und ließ sich auch vom penibel nachforschenden Medienkritiker Phillippe Karsenty (1) nicht besonders beeindrucken. Denn auch hier gilt leider, wie so oft, das Zitat, das Gudrun Eussner am Ende ihres Artikels Mohammed al-Dura. Jetzt wird´s eng für Charles Enderlin anführte: Nachrichten, ob wahr oder erfunden, schnellstens an ausgewählte Multiplikatoren streuen. Es zählt nur das, was einmal behauptet wurde. Dementis dagegen sind völlig unwirksam.

Karsenty, Direktor des medienkritischen Webportals Media Ratings – warf Charles Enderlin vor, das Video über den Tod des 12-jährigen Mohammed al-Duras gefälscht zu haben. Insbesondere die Tatsache, dass Enderlin und damit der (Staatssender!) France 2 die Bänder nicht freigeben wollte, wie Esther Schapira schon bemängelt hatte, erhärtete den Eindruck, dass France 2 an einer Aufklärung des Vorfalls nicht gelegen war - ja, sie sogar bewusst hintertrieb. Enderlin und dessen Brötchengeber France 2, in Verschwiegenheitsallianz unter einer Decke, reichten also eine Verleumdungsklage gegen Karsenty ein, der am 19. Oktober 2006 stattgegeben wurde. Kurz vorher, am 10. September 2006, sprach Philippe Karsenty mit Pesach Benson von HonestReporting. Zwei Sätze daraus: HonestReporting: Der Vorfall mit Mohammed al-Dura liegt Jahre zurück. Warum sollte sich irgendjemand heute noch darum kümmern? Philippe Karsenty: Das Bild hat jeder im Kopf. Jeder glaubt, es sei wahr. Daniel Pearl wurde getötet, um Dura zu rächen. Sie [Pearls Mörder] setzten das Bild in ihr Video.

Am 14. November 2007 kam es zur von Karsenty beantragten Berufungsverhandlung. Bei diesem Termin wurde das zuvor gerichtlich angeforderte Filmrohmaterial während der Verhandlung der anwesenden Presse vorgespielt. Die weitaus überwiegende Meinung der Beobachter noch im Gerichtsgebäude: Enderlin hat schlechte Karten. Dass man den Fall auch anders bewerten kann, zeigt Abdullah Frangi, ehemaliger PLO-Repräsentant in Deutschland und heute zuständig für auswärtige Beziehungen in der palästinensischen Fatah-Partei von Präsident Mahmud Abbas, in der WELT: "Selbst wenn Mohammed al-Dura nicht von Israelis erschossen wurde, ist er doch zu einem Symbol für die große Ungerechtigkeit geworden, die Palästinenser schon erleiden mussten."


Wenn man ein derart gerüttelt Maß an bestialischer Perversität seit 1948 in sich trägt, kann man natürlich locker so fabulieren, und Frangi zeigt damit en passent, dass er und (indirekt) sein Chef Abu Mazen, sich nicht geändert haben und sie keinerlei Schuldbewusstsein empfinden. Annapolis hin - Annapolis her.


Dazu im selben Beitrag Esther Schapira: "Sollten die Palästinenser absichtlich und wider besseres Wissen die Unwahrheit über den Tod des Jungen verbreitet haben, dann ist Mohammed al-Dura kein Symbol für das große Leid, das die Palästinenser erleiden mussten, sondern ein Symbol für ekelhaften politischen Kindesmissbrauch der Palästinenser, der weitere Kinder das Leben kostete."


Castollux hat Nidra Pollers (vorerst) abschließenden Kommentar zur Berufungsverhandlung (2) Karsentys übersetzt. Er ist auch bei Lizas Welt abrufbar.



Nidra Poller

Videomaterial zu al-Dura? Gibt es nicht!

Contentions, 21. November 2007

Am 14. November 2007 führte ein dreiköpfiges Richtergremium vor einem überfüllten Gerichtssaal (und Dutzenden Schaulustigen draußen) das Filmmaterial vor, das ihm für diesen Berufungsprozess von Charles Enderlin (France 2) – dem Kläger in der Verleumdungssache gegen Philippe Karsenty, Direktor von Media-Ratings – ausgehändigt worden war. Nachdem Karsenty im Oktober 2006 für seine Erklärung, der Bericht zu al-Dura sei ein skandalöser Schwindel gewesen, verurteilt worden war, führte er eine energische Gegenattacke, die in Frankreich auf merkwürdiges Schweigen und in angesehenen internationalen Medien auf starken Widerhall stieß. Während der seit sieben Jahren andauernden Auseinandersetzung hatten sich Charles Enderlin und France 2 beständig geweigert, das Videomaterial vorzuführen, das vom für France 2 tätigen freien Korrespondenten Talal Abu Rahma an der Netzarim-Kreuzung im Gazastreifen aufgenommen worden war – am 30. September 2000 nämlich, dem Tag, als der zwölfjährige Mohammed al-Dura angeblich von israelischen Soldaten kaltblütig erschossen wurde.

Der Kameramann sagte drei Tage nach dem Vorfall unter Eid aus, er habe – mit Unterbrechungen – 27 Minuten des 45 Minuten dauernden Kampfes gefilmt. An anderer Stelle behauptete er, dass er an jenem Tag einen sechsminütigen Zusammenschnitt übermittelt und anschließend seinen Produzenten zwei bespielte Kassetten ausgehändigt habe. Enderlin sagte, er habe jene Teile der „Agonie“ des Jungen herausgeschnitten, die er den Zuschauern nicht zumuten wollte. Statt des unredigierten Filmmaterials jenes Tages gab France 2 nur eine 18 Minuten lange „beglaubigte Kopie“ frei. In jenen 27 Minuten standen nicht Jamal al-Dura und seinen Sohn Mohammed im Mittelpunkt; vielmehr bestand das Dokument aus verschiedenen Szenen, drei kurzen Interviews und weniger als einer Minute zu dem Vorfall um die al-Duras. Die Beschuldigung, die „Opfer“ seien das „Ziel des Beschusses der israelischen Stellungen“ gewesen, ist haltlos; entsprechende Sequenzen sind gar nicht zu sehen. Es gibt kein Kreuzfeuer, keinen Kugelhagel, keine Verletzungen, kein Blut. In den letzten Sekunden des Sendematerials von France 2, die schließlich herausgeschnitten wurden, hebt der Junge – dessen Tod soeben dramatisch verkündet worden war – seinen Ellenbogen, hält eine Hand über seine Augen, blickt in die Kamera und nimmt wieder die passende Bauchlage ein.

Berichte vom Tod des Jungen hallten im September 2000 wider, als die Al-Aqsa-Intifada auf Touren kam. Der angebliche Kindesmord befeuerte die „spontane“ Wut, die zu einer beispiellosen Welle mörderischen Judenhasses führte. Die Wiederauferstehung des vermeintlichen Zeugen israelischer Aggression ist noch nicht welterschütternd, hat aber in angesehenen Medien zu einer intensiven Berichterstattung geführt. (Meinen Beitrag zur Filmvorführung finden Sie zusammen mit weiteren Quellen hier.) Doch weder die knappe Erklärung von Agence France Press (AFP) noch die internationale Aufregung konnte die französische Medien-Firewall durchdringen.


Die Vorführung des Filmmaterials bewies, dass der France 2-Bericht zu al-Dura jeglicher Grundlage entbehrte. Dennoch behauptete Charles Enderlin sieben Jahre lang, das Rohmaterial zeige, dass der Beitrag genau, authentisch, verifiziert und nachprüfbar sei. Und dann stellte er sich vor die drei Richter und trug ein monotones Märchen über die Intifada vor, während die Bilder liefen. Wie ist es möglich, dass niemand sich daran erinnerte, was auf der Kassette war? 18 oder 27 Minuten – das ist nicht die Frage. Man dachte, es sei das Filmmaterial zu dem Leidensweg al-Duras, das nach Angaben des Kameramanns und des Vaters – den beiden einzigen lebenden Zeugen – 45 Minuten umfasste. Talal Abu Rahma erklärte drei Tage nach dem Vorfall unter Eid, dass er sich an jenem Tag seit 7 Uhr morgens nahe der Netzarim-Kreuzung befunden, die Schießerei um 15 Uhr begonnen und er mit Unterbrechungen – „um den Akku zu schonen“ – insgesamt 27 Minuten des schrecklichen Geschehens gefilmt habe.
Man stelle sich vor, der Vorfall um Dan Rather wäre überall durchgesickert, nur nicht in den Vereinigten Staaten. Man stelle sich vor, Dan Rather gälte sieben Jahre nach seiner Fälschung immer noch als vertrauenswürdiger Reporter. Über den Schaden hinaus, der durch den verleumderischen Bericht zu al-Dura verursacht wurde, werden nun weit reichende Fragen zur Ethik der Medien gestellt. Und sie betreffen alle Medien in der freien Welt.

Die Vorführung des Filmmaterials bewies, dass der France 2-Bericht zu al-Dura jeglicher Grundlage entbehrte. Doch der für France 2 tätige freie Korrespondent filmte den ganzen Tag über. Die 18 Minuten, die im Pariser Gerichtssaal gezeigt wurden, sind nicht das Rohmaterial jenes Tages, und auch nicht die 27 Minuten, die er selbst unmissverständlich beschrieb. Während der angesehene, in Jerusalem arbeitende französische Journalist Charles Enderlin möglicherweise in großer Eile handelte, als er das Videomaterial schnitt, in die Hauptnachrichten jenes Abends brachte und seine Nachricht den Medien weltweit kostenlos zur Verfügung stellte, musste er am nächsten Tag – als er die Kassetten des Kameramanns erhielt – feststellen, dass das komplette Rohmaterial zur Szene mit al-Dura fehlte. Daraus folgt: Nichts, was zu dem Vorfall gesagt wurde, kann man in den 55 Sekunden des einzigen existierenden Films sehen. Kein Kreuzfeuer, keine Schüsse, die den Mann oder den Jungen treffen, und nicht die Dauer der Qualen. Es gibt kein Filmmaterial, das den Bericht oder die damit verbundene Rahmengeschichte untermauert.

Ist das verantwortungsvoller Journalismus? Ist diese Praxis schon so weit verbreitet, dass Fachleute – speziell französische Medien – dies nicht für kritikabel halten? Gibt es keinen Unterschied zwischen einem Bericht, der auf hinreichend nachprüfbaren Fakten beruht, und einem Beitrag, der sich auf nicht beweiskräftige Schnipsel einer ungeschickt inszenierten Szene von einer Minute bezieht? Wie ist es möglich, dass sich alle dem ungeschriebenen Gesetz fügen, nach dem niemand bei den französischen Medien aus der Reihe tanzt und die Fakten zu dieser umstrittenen Angelegenheit liefert? Eine Woche vor dem heiklen Treffen in Annapolis ist die Affäre al-Dura ein schlagkräftiges Beispiel für das große Geschäft medialer Sabotage. Das Schicksal der freien Welt hängt von unserem Vermögen ab, eine freie Presse zu bewahren. Informierte Bürger müssen Entscheidungen über Leben und Tod treffen – für sich selbst und für die Angelegenheiten ihrer Nation. Wie ist es möglich, dass eine palästinensische Interessengruppe (oder Einzelperson oder Instanz – wir wissen es nicht) falsche Nachrichten produzieren und sie direkt in die internationalen Medien einspeisen konnte, ohne auch nur auf geringsten Widerstand zu stoßen, während der Verfasser des Exposés, das zeigt, dass der Bericht keinerlei normale journalistischen Kriterien erfüllt, mit dem Kopf gegen die Wand rennt und die Öffentlichkeit nicht erreichen kann?

Dies erklärt die gewinnende Leidenschaft der Aufklärer im Fall al-Dura, die sich oft nachteilig für sie (und uns) auswirkt. Das Thema ist brandheiß, und die Flammen breiten sich noch immer aus. Sie könnten durch intelligente internationale Untersuchungen gelöscht werden. Vielleicht erfordert dies eine brillante Strategie, die noch nicht ersonnen worden ist.

(1) Philippe Karsenty wurde von Stéphane Juffa von der Metula News Agency gemeinsam mit Richard Landes und vielen anderen mit den Informationen versorgt.

(2) Das Urteil wird für den 27. Februar 2008 erwartet.

Hattip: Lizas Welt, Gudrun Eussner, HonestReporting

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