Sonntag, Dezember 30, 2007

Die "DDR-Keule"


Oder: Ohne Bildung fand (fast) keine Geschichte statt

Man wäre fast geneigt, die in der Unterüberschrift aufgestellte These grundsätzlich so zu vertreten, gäbe es nicht immer wieder Ausnahmen. Vielleicht zählte sich aber der hessische Gymnasiast aus Wiesbaden, der während der Weihnachtsferien seine Schulakte zerstören wollte und dabei einen Millionenschaden verursachte, nicht zum Kreis derer, die noch daran glauben, dass sie die berühmte Kurve kriegen. Sehr schade - abgesehen davon, dass sein Verhalten noch viel schlimmere Folgen haben und Menschenleben hätte fordern können.

Wer hat wann die Mauer gebaut? Ich gehe einmal davon aus, dass der Schüler das weiß - wenigstens, was den „Bauherrn“ betrifft. Wenn ja, hätte dieses erhabene Gefühl, Geschichtswissen in sich zu tragen, ihn dann von seinem Vorhaben abgebracht?

Eines konnte er mit Sicherheit nicht wissen - und das hätte ihn mit ziemlicher Sicherheit von seinem leicht pyromanischen Drang abgehalten: Er kannte die Untersuchungen der Freien Universität Berlin (FU) zum DDR-Bild von Schülern in Berlin und Nordrhein-Westfalen nicht, die im November 2007 durchgeführt wurden. Hätte er die Zeilen zum Bildungsstand der angesprochenen Schüler eingehend studiert, wäre ihm vielleicht nicht in den Sinn gekommen, solch’ gefährlichen Unsinn zu veranstalten. Er hätte sich ob seines Wissens glücklich geschätzt und halt’ eine Ehrenrunde gedreht. Ist schon so manchem Nobelpreisträger passiert. Im zweiten Anlauf kapiert man den Lernstoff umso besser.

Die Studie des
FU-Forscherteams hatte diagnostiziert, dass bei den Schülern - zum Entsetzen der Bildungsministerien der untersuchten Länder - ein erschreckendes Defizit an Geschichtswissen herrscht. Was die Wissenschaftler zu lesen bekamen, liest sich wie das „Who is Who“ aus der Klippschule. Entschuldigung an alle Klipp-ABC-Schützen! So glaubte jeder zweite brandenburgische Schüler, „dass der SED-Staat keine Diktatur gewesen ist“, jeder dritte hält Konrad Adenauer und Willy Brandt für DDR-Politiker und 25% glauben, dass das Ministerium für Staatssicherheit ein Geheimdienst wie jeder andere gewesen sei. Bei so viel Schönfärberei konnte natürlich auch die gepfefferte Dosis Hochmut nicht ausbleiben, die jedem innewohnt, der sein Scheitern nicht eingestehen will, dies aber a posteriori gerne als Sieg deklariert: „Unser DDR-Wirtschaftssystem war […] dem der alten […] Bundesrepublik überlegen.“ Nun kann man dem lieben Nachwuchs nicht unbedingt gram dafür sein, wenn er nicht weiß, dass die DDR 1989 vor dem wirtschaftlichen Kollaps stand (trotz eines von F. J. Strauß 1983 eingefädelten Milliardenkredits), denn die heute etwa 16-Jährigen könnten sich im Notfall auf nostalgische Reminiszenzen ihrer Eltern berufen. Aber nicht nur darauf….

Zwischenzeitlich liegen Ergebnisse für Brandenburg vor. Sie beziehen sich auf 750 Schüler der 10. und 11. Klassen in Potsdam, Neuruppin und Frankfurt/Oder. Man mag jetzt einwenden, dass der repräsentative Querschnitt zu klein für eine aussagekräftige Erhebung sei; andererseits lässt sich aber auch ins Feld führen, dass die Studien an drei verschiedenen Orten für die gleichen Jahrgangsstufen durchgeführt wurden. Also ist davon auszugehen, dass auch eine größere Zahl Befragter das Ergebnis nicht verändert hätte.

„Das Land Brandenburg hat sich nicht mit seinen pädagogischen Altlasten auseinandergesetzt“, so das vernichtende Urteil des für die Studie verantwortlich zeichnenden Politologen Klaus Schroeder. Dabei hätte man nach der Wende Reformbewegungen einleiten können, wenn man die gut 200 eigens zu diesem Zweck zusätzlich in Geschichte ausgebildeten Lehrer in den Staatsdienst übernommen hätte. Dass es dazu nicht kam, liegt im Zuständigkeitsbereich des brandenburgischen Bildungsministeriums, das sich, so der zuständige Sprecher Stephan Breiding, über die Studie „nicht gefreut" hat. Gleichwohl weist er aber entrüstet die Feststellung Klaus Schroeders, dass „die alten Seilschaften das verhindert“ haben, mit der „Entschuldigung“ zurück, dass es zur Wendezeit „zu viele Lehrer im System“ gegeben hätte. Warum wurde dann nicht ausgetauscht, als die 200 Lehrer ihre Zusatzausbildung hatten? Nur mal so gefragt.

Höchst interessant jedenfalls, wie die Reaktionen brandenburgischer Spitzenpolitiker auf die Ergebnisse der Studie ausfielen. Hier zwei Beispiele: Während Parlamentspräsident Fritsch (SPD) forderte, „Fakten über die DDR zu vermitteln, aber nicht zu indoktrinieren“ (sic), lässt Innenminister Schönbohm (CDU) konstatierend-konsterniert vernehmen, dass das Ergebnis der Studie „bestürzend“ sei. Ach je, was bewegt Herrn Fritsch dazu, gleich im Vornherein „Indoktrination“ zu wittern - er, der vor ein paar Wochen kräftig der Verkündigung des neuen „Demokratischen Sozialismus“ zustimmte? Warum kann er nicht sachlich bleiben?

Jedenfalls muss es mehr als bedenklich stimmen, wenn eine falsch verstandene Sozialromantik die Schrecken der DDR-Diktatur immer mehr verblassen lässt. Das Statement "Gut, dass in der DDR jeder einen Arbeitsplatz hatte, auch wenn der Staat die Löhne bestimmte und der Wohlstand gering war" weckt falsche Assoziationen und verlängert die Halbwertzeit der deliriös verklärten, rückwärts gewandten Nabelschau, und irgendwoher kennen wir dieses Statement schon, nicht wahr? Oder wenn Fritsch und SPD-Generalsekretär Klaus Ness vor pauschalen Schuldzuweisungen warnen, denn es helfe nicht, so Ness, „reflexhaft die DDR-Keule herauszuholen, weil das nur das Gegenteil auslöse, 'nämlich Abwehrreflexe’". Auch das kennen wir. Und wie schlimm - es „löst Abwehrreflexe“ aus. Danke auch schön, sehr geehrter Herr Ness....

Nein, der ehemalige Stasi-Beauftragte Joachim Gauck trifft es schon richtig, wenn er darauf hinweist, dass die Unkenntnis über die DDR vor allem mit der persönlichen Verstricktheit der Ost-Lehrer zusammenhänge, die „zu lange selbst Diener der Diktatur“ gewesen seien und darum das Thema im Unterricht, so weit es geht, aussparen. Warum stellt man sich dieser Tatsache nicht? Der CDU-Abgeordnete Dieter Dombrowski, jahrelang in der DDR aus politischen Gründen inhaftiert, fügt Gauck ergänzend hinzu, dass „es nicht länger im Ermessen der Lehrer liegen dürfe, ob und wie die DDR behandelt werde“, sondern vom Bildungsministerium über die Schulämter durchgesetzt werden müsse. Es sei „eine Schande“, wenn in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen mittlerweile 15.000 Schüler aus Bayern waren, „aber nur einige Hundert aus Brandenburg“. Dem ließe sich hinzufügen, dass die Täter, die den Ort ihrer früheren Wirkungsstätte besuchen, sich auch noch ausnehmend schlecht und uneinsichtig benehmen.

Googelt man im Internet unter „ddr“, werden gut 115 Millionen Einträge angezeigt. Natürlich sind einige dabei, die
sich dem Sujet auf satirische Weise nähern. Was mir jedoch auffiel: Die Verharmlosung des totalitären Unrechtstaates DDR ist einfach nicht aus den Köpfen zu bekommen. Und woher kommen 115 Millionen Einträge?

Kleines DDR-Quiz: Ab 32 richtig beantworteten Fragen von 40 (80%) attestiert die WELT ein solides Wissen über die DDR. Bitte nicht schummeln.

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