Sonntag, September 28, 2008

Schiitischer Messianismus und Ahmadinejads Kampfrhetorik

Die vom iranischen Präsidenten Dienstag vergangener Woche während der UN-Vollversammlung vorgetragenen Hasstiraden gründen in einer religiös-messianischen Vorstellungswelt.

Auf dem Bild rechts steht in Persisch (linke Bildhälfte; frei übersetzt; Dank an Nasrin Amirsedghi): Oh Du, Sohn des Propheten. Gibt´s einen Weg Dich zu besuchen? Und auf dem Bild weiter unten links (rechte Bildhälfte): Eines Nachts fiel ein Stern vom Himmel herab und brachte die Botschaft, (dass) der Morgenschein kommen wird! (dass der Tag seiner Erscheinung bald kommen wird)...

Inmitten seiner aggressiven Rhetorik, in der er Israel als "Kloake" und die Vereinigten Staaten als "Terrorstaat" bezeichnete , erneuerte er seinen Ruf nach einer baldigen Wiederkunft des schiitischen Messias, der die Unterdrücker bezwingen und die Welt zur Vollkommenheit führen soll.

Für schiitische Muslime ist die endgültige Rückkehr des Imam Mahdi ein Glaubensartikel - ähnlich wie die Wiederkunft Christi für nahezu alle Christen. Während wenige iranische Politiker in der Öffentlichkeit diese messianische Weltanschauung artikulieren, haben Herr Ahmadinejad und seine Helfershelfer immer wieder herausgestellt, dass ihre Regierung vom [Geist des] Mahdi geleitet sei. Glaubensvorstellungen wie diese leiten Ahmadinejad sowohl bei innen- als auch außenpolitischen Entscheidungen und liefern (mit) eine Erklärung für sein stures Beharren auf dem iranischen Nuklearprogramm, seinen Widerwillen, der Forderung nach Einstellung seiner atomaren Aufrüstung nachzukommen und nicht zuletzt der fortwährenden Unterstützung antiisraelischer und antiamerikanischer Terroristen durch seine Regierung im Mittleren und Nahen Osten.

Präsident Bush hatte am Dienstag seine Rede einige Stunden vor dem iranischen Staatschef gehalten, den Iran wegen dessen Unnachgiebigkeit in Sachen Urananreicherung scharf angegriffen und härtere Sanktionen verlangt [zu denen es nun doch nicht gekommen ist].

Kritiker im Iran - einige davon Kleriker - kritisieren Ahmadinejads Überzeugung, dass das "Ende der Zeiten" bevorstehe; sie befürchten, dass der Irrationalismus ihres Präsidenten sie unweigerlich in einen Krieg mit den USA und Israel führe.

"Nichts stellt eine engere Bindung mit den Zuhörern her als das permanente Reden über die Bedrohung", so Kurt Anders Richardson, Experte für schiitische Theologie an der McMaster University in Hamilton, Ontario.

"Wenn man [fanatisch] glaubt erfährt man es als große und heroische Sache, mit der Bedrohung zu leben. Die komplette Lebenswelt ändert sich: Politik, Ethik und kollektives Erleben - alles wird überdimensioniert gedeutet und erfahren. Zudem dient diese Haltung hervorragend als Mittel gegen weltliche Alltagssorgen und Ablenkungen. Statt Angst vor der islamischen Moralpolizei zu empfinden schwelgt man in Euphorie - eine durchdringende und stetige Verlockung. Diese Leute werden durch die Vorstellung motiviert, sie seien privilegiert, noch zu ihren Lebzeiten die Wiederkunft des Mahdi zu erleben."
Der Glaube, dass bald ein "ultimativer Erlöser" zurückkehren wird, wurde speziell seit Ahmadinejads Amtsantritt 2005 zum großen Thema. Drei Jahre zuvor wurde er zitiert, Finanzbeamte, die sich mit der Etatüberschreitung befasst hatten, mit folgenden Worten zu beruhigen: "Sorgen Sie sich nicht. Der Imam [Mahdi] wird in zwei Jahren kommen und alle Probleme werden beseitigt".

Ahmadinejad ist auch zu vernehmen, wie er einem ranghohen Geistlichen erzählt, dass sein Kopf von einer „Lichtaura“* umgeben war, als er 2005 vor der UN-Vollversammlung sprach. Und im letzten Jahr habe ihn der Mahdi bei seinem umstrittenen Auftreten in der Columbia University geleitet. Der Präsident hatte sich gewehrt und behauptet, dass jene, die über ihn "spotteten", einem "irregeleitetem" Glauben anhingen. Doch in einer Ansprache letzten Monat zum Geburtstag des Mahdi bemühte sich Irans oberster religiöser Führer, Ayatollah Sayed Ali Khamenei, gut Wetter für die internationale Presse zu inszenieren, indem er einen scheinbaren Gegensatz zwischen sich und Ahmadinejad konstruierte: "Göttliche Religionen…haben den Menschen nie falsche Hoffnungen vermittelt", so sein schlichtes Credo.

Man sieht also - die Arbeitsteilung zwischen bigottem Präsident und Klerus läuft wie geschmiert; soll doch auch das Volk, der Lümmel, weiterhin einigermaßen still gehalten werden; denn nichts fürchten die Machthaber in Teheran mehr, als dass ihnen das Ruder im eigenen Land aus der Hand geschlagen wird.

Und weiter doziert Khamenei gnädig: "Heute richtet der Iran mehr als jemals zuvor seine Aufmerksamkeit auf das Mahdaviat" [Endzeitvorstellung und die damit verbundene menschliche Anstrengung, dem Mahdi den Weg zu bereiten], und mahnend fügt er hinzu: "Jene, die persönliche Ziele damit verfolgen, werden aus diesem Faktum einen Vorteil ziehen wollen".

Behauptungen, man sehe den Mahdi, "sind komplett falsch und beschämend" so Khamenei weiter, da Äußerungen, man habe "enge Kontakte mit dem 12. Imam, treffe sich mit seiner transzendenten Erscheinung oder bekomme Anweisungen von ihm", nicht bestätigt werden können. Von einer Art Kommission zur Klärung übernatürlicher Dinge also - wie die vom Vatikan eingesetzte, wenn es besonders dubios mit allerlei Marienerscheinungen und Spontanheilungen zugeht. Khameneis Warnung zielte auf Scharlatane ab, die versuchen, Profit aus ihrer behaupteten Kontaktaufnahme mit dem Mahdi zu schlagen, indem sie Geschäfte mit Postern machen, auf denen Gebete und an den Imam gerichtete Bitten um Geld abgedruckt sind. Nach Khameneis Rede schwärmten Polizisten aus, um dem Treiben ein Ende zu bereiten. Messianischer "Pragmatismus?" "Pragmatischer" Irrationalismus? Beide Umschreibungen treffen wohl zu - sowohl für das Verhalten des Staatsapparates als auch für das der Kleriker. So "erklärt" sich auch die für den Westen so undurchsichtig erscheinende Aufgabenverteilung.

Die schiitische Tradition geht davon aus, dass nach einer Abwesenheit über einen Zeitraum von mehr als 1.000 Jahren (Man glaubt, dass der Imam 874 nach Christus "entrückte"), niemand außer Allah weiß, wann der zwölfte Imam wiederkommt [Es gibt daneben noch andere Imam-Varianten, die ich hier nicht näher ansprechen muss). Denjenigen, die glauben, ihn gesehen zu haben, wird untersagt, sich darüber zu äußern.

Analytiker im Iran selbst gehen jedoch davon aus, dass Khameneis Worte auch gegen Ahmadinejad und seine Regierung gerichtet sind, es mit den eschatologischen Formulierungen nicht zu übertreiben. Dennoch unterstützt der mächtigste Mann des Iran den Präsidenten weiterhin, weil in den wesentlichen politischen Fragen Übereinstimmung besteht, wie kürzlich wieder beim Al-Quds-Tag eindrücklich demonstriert. Dem Kabinett teilte er vorsorglich schon vor Wochen mit, dass es sich nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 auf eine neue Amtszeit einrichten könne.

Doch zurück zum "Ablasshandel" mit den Heilserwartungen des gemeinen Volkes: "Die obersten religiösen Führer sind ob dieser Entwicklung sehr besorgt", ließ ein iranischer Offizieller verlauten. Die Rede Khameneis sei "eine Warnung…ein starkes Signal für den Präsidenten". Kritiker meldeten sich Juli in einem Zeitungsartikel zu Wort: Der Präsident äußere "abweichende" Behauptungen, wenn er seine Nähe zum Göttlichen herausstelle. "Glauben Sie, dass solche Reden das Missmanagement der Regierung entschuldigen können, die Inflation, steigende Preise, Unzufriedenheit und den Protest der Leute auf der Straße?", so Rasoul Montajabnia, Kleriker und Oppositionspolitiker - also einer, der nicht das Privileg besitzt, der Kamarilla um Ahmadinejad anzugehören.

Sicher bezweifeln wenige Gläubige im Iran, dass der "ultimative Erlöser" eines Tages kommen wird. Ahmadinejad sagt, dass der Mahdi alle ungerechten Herrscher vernichten wird, die "nicht mit den Himmeln verbunden sind und von den allmächtigen Propheten getrennt" [In außerkoranischen Schriften spricht man von mehreren Himmeln, deshalb der Plural]. Es dürfte kaum überraschen, dass Ahmadinejad mit den "ungerechten Herrschern" die USA, Israel und die westliche Welt meint.

Es gibt kein wichtigeres Thema, ließ Ahmadinejad während seiner Rede auf der Konferenz zur Mahdi-Doktrin verlauten.

Gott habe die Menschheit "aus Erde und Schlamm" erschaffen, aber bestimmt, dass er [Ahmadinejad] sich "zum Gipfel der Vollkommenheit und Gottgefälligkeit" entwickle. Ahmadinejad und etliche ranghohe Funktionäre waren bei der Konferenz anwesend, die vom in Qom beheimateten Bright Future Institut gesponsered worden war. Und sie wurde vom Büro des Präsidenten unterstützt, der Millionenbeträge für die Mahdaviat-Studien bereitgestellt hatte.

"Auch wenn schon 1.100 Jahre vergangen sind kann jede Stunde für jene, die empfinden, ein Jahrhundert bedeuten", philosophierte Masoud Poursayed-Aghaie, Direktor des Bright Future Instituts. "Die Regierung dient nur einem Zweck: Sie muss dem wiederkommenden Mahdi den Weg ebnen". Schöne Aussichten, wenn ein gefährliches und bigottes Monster einem Gespenst den Weg ebnet, denn Ahmadinejad legt nach:

"Aber diejenigen, die dieser Vision im Weg stehen, sind es, die bereit sind, die Menschheit [Menschlichkeit] zu opfern, um ihre eigenen teuflischen Interessen und Wünsche zu befriedigen und die tiefen Taschen der Kapitalisten zu füllen". Nur der Mahdi könne Gerechtigkeit wiederherstellen und die Gläubigen hätten bis dahin ein hartes Stück Arbeit vor sich. Stimmt - das eigene Volk weiterhin mit einer mörderischen Diktatur zu knebeln und zu vergewaltigen bedarf schon eines gehörigen Aufwandes, denn "Wir sollten unser Bestes geben, und wenn wir unsere Herzen und Gedanken ändern…dann wird dieses Glück verheißende Ereignis eintreffen."

Dann besser nicht das Beste geben, denn das Beste ist immer noch das Leben. Und daran hängt jeder halbwegs vernünftige Mensch.

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*Daniel Pipes schildert es wie folgt:

[...] Er [Ahmadinejad] brachte das Thema oft auf und nicht nur gegenüber Muslimen. Als er im September vor den Vereinten Nationen sprach, verwirrte er seine Zuhörerschaft aus Führern der Weltpolitik, indem er seine Ansprache mit einem Gebet zum Erscheinen des Mahdi schloss: „O allmächtiger Herr, ich bete zu dir das Erscheinen deiner letzten Quelle, des Versprochenen, des perfekten und reinen menschlichen Wesens zu beschleunigen, dem einen, der diese Welt mit Gerechtigkeit und Frieden füllen wird."

Bei der Rückkehr in den Iran erinnerte sich Ahmadinedschad an die Wirkung seiner Rede vor der UNO:
Einer von uns sagte mir, als ich begann zu sagen „Im Namen Gottes des Allmächtigen und Barmherzigen", da sah er ein Licht um mich und ich befand mich innerhalb dieser Aura. Ich spürte es selbst. Ich fühlte, wie sich die Atmosphäre plötzlich veränderte und diese 27 oder 28 Minuten lang zwinkerten die Führer der Welt nicht einmal... Und sie hielten den Atem an. Es schien, als ob eine Hand sie dort fest hielt und ihre Augen geöffnet hätte, um die Botschaft der Islamischen Republik zu erhalten.

Links zum Thema:


Michael Kreutz: Was treibt Ahmadinejad an?
Ulrich Sahm: Für die Rückkehr des Mahdi: Iran bastelt an der Bombe
Scott Peterson: What drives Ahmadinejad's combative rhetoric
Ders.: True believers dial messiah hotline in Iran
Matthias Küntzel: Ahmadinejads Welt
Daniel Pipes: Mystische Bedrohung durch
Ahmadinejad

Hattip:
Nasrin Amirsedghi, Heplev

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