In den Massenmedien wird gerne zu sehr vereinfachenden Formulierungen gegriffen, wenn es um die Einschätzung der politischen Lager in Israel speziell nach Wahlen geht.
Claudio Casula gibt ein wenig politische Israel-Kunde und räumt nebenbei mit einigen Vorurteilen auf.
Der
Rechtsruck
Das war jetzt also der von allen erwartete
“Rechtsruck”? Wie es aussieht, besteht zwischen dem “rechten” und dem “linken”
politischen Lager nach den Knessetwahlen ein Patt, womit alle Unken, die es
schon vorher und wieder mal besser wussten, offensichtlich falsch lagen.
Unken wie Bettina Vestring. “Israel wählt gefährlich” hieß ihr von völliger
Ahnungslosigkeit in der Sache, dafür durch Voreingenommenheit bestechender
Kommentar in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau, denn was gefährlich
ist und für wen, das weiß eine deutsche Online-Redakteurin mit grandiosem Mut
zur israelkritischen Einstellung immer noch am besten.
Oder eben nicht. Die fragmentierte
Parteienlandschaft Israels spiegelt die Vielfalt seiner Bevölkerung wieder, und
jeder Staatsbürger hat mehr oder weniger gute Gründe für seine
Wahlentscheidung. Religiöse Juden wählen religiöse Parteien, Araber wählen
meistens – aber durchaus nicht immer – arabische Parteien (kleine Anekdote: bei
diesen Wahlen stimmten im von Arabern bewohnten Taybe 22 Wähler für
Likud-Beytenu, 19 gar für die siedlernahe Partei von Naftali Bennet) oder gar
nicht; wer den Palästinensern misstraut, wählt Likud, wer ihnen trotz allem
immer noch vertraut, wählt Meretz oder Avoda und so weiter. Hinzu kommt, dass
beileibe nicht nur der Konflikt mit der arabischen Welt eine Rolle spielt, die
Israelis also nicht zwingend morgens mit dem Palästinenserproblem aufwachen und
abends mit ihm zu Bett gehen, sondern handfeste Dinge, die ihr Leben betreffen:
die hohen Lebenshaltungskosten etwa; im Fall der streng religiösen Juden und
der Araber auch durchaus Interessen, die allein ein bestimmtes Milieu
betreffen.
Da wird es mit den Rechts-links-Schubladen
schon schwierig. Was etwa macht einen Lieberman zu einem “Ultranationalisten”?
Immerhin favorisiert er eine Politik der Loslösung von den Palästinensern.
Nicht nur gewährte er ihnen unter gewissen Umständen einen eigenen Staat
– kaum, weil sie ihn etwa verdienten, sondern weil er sie einfach
loswerden will – vielmehr würde er diesem, aus demselben Grund, sogar noch
israelisch-arabische Gemeinden diesseits der Green Line on top draufpacken, was
für deren Bewohner allerdings, allem Diskriminierungsgerede zum Trotz, eine
Horrorvorstellung ist. Als Nationalisten kann man den Unsympathen Lieberman
durchaus bezeichnen – aber als “Ultranationalisten”? Hinzu kommt, dass seine
Partei, die vor allem die Interessen der russischen und osteuropäischen
Einwanderer vertritt, mit religiösen Vorrechten nichts am Hut hat. Rechts ist
eben nicht gleich auch religiös.
Was ZEIT online nicht daran hindert, in
einem Artikel zu den Wahlen hanebüchene Aussagen wie diese zu machen:
Im Parlament besteht damit ein Patt
zwischen dem religiösen rechtsnationalistischen Lager und den Parteien der
politischen Mitte mit den arabischen Parteien.
Das dröseln wir hier gern einmal kurz
exemplarisch auf. Wie wir gesehen haben, sind rechts und religiös nicht
unbedingt deckungsgleich, die platte Beschreibung des erstgenannten Lagers ist
unzulässig. Auch ist nicht jeder Konservative gleich “nationalistisch” oder gar
“rechtsnationalistisch”. Nun zu den Parteien der “politischen Mitte”. Dazu
scheint die linke Arbeitspartei ebenso zu gehören wie Meretz, eine Partei, die
in etwa mit den deutschen Grünen zu vergleichen ist. Um hier Parteien der Mitte
zu erkennen, muss man schon eine sehr eigenwillige Perspektive einnehmen. Links
scheint demnach keine Partei zu sein.
Dabei wird es bei den arabischen Parteien
noch prekärer: Hadash ist kommunistisch, Ta’al vor allem antizionistisch, also
grundsätzlich staatsfeindlich, und Balad (arabisch-) nationalistisch und
sozialistisch. Nationalsozialistisch, wenn man so will. Ihre bekannteste
Vertreterin, Hanin Zoabi, segelte 2010 mit türkischen Dschihadisten auf der
Mavi Marmara gen Gaza.
So wie sich der kleine Moritz in der
ZEITonline-Redaktion das vorstellt, gibt es aber nur die finsteren, religiösen
und nationalistischen Kräfte auf der einen Seite und die guten Parteien der
Mitte und die der armen diskriminierten Araber auf der anderen. Wer’s glaubt,
gehört sicher zu jenen, die in den vergangenen Wochen und Monaten dem
“Rechtsruck”-Geraune frönten. Solchen Leuten jedoch ernsthaft Kompetenz in der
Sache zuzubilligen und sich auf ihre Voraussagen und die ihrer Zulieferer wie
Gideon Levy von Ha’aretz und anderen üblichen Verdächtigen zu verlassen, ist
grob fahrlässig. Da macht man weniger falsch, wenn man nach Sitte der
altrömischen Auguren das Fressverhalten von Hühnern im heiligen Bezirk oder die
Eingeweide von Tieren beobachtet.
Über 30 Parteien sind zur Parlamentswahl
angetreten, jede dritte hat die Hürde genommen und wie seit jeher wird in
Jerusalem eine Koalitionsregierung gebildet werden. Wie es aussieht, springt am
Ende ein Mitte-rechts-Bündnis dabei heraus, das die Positionen der
überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung vertritt – in jeder Demokratie dieser
Welt ein völlig normaler Vorgang.
Man wäre auch in Deutschland gut beraten,
diese zumal für nahöstliche Verhältnisse einzigartige Demokratie fair zu
beurteilen statt sich in Klischees und Ressentiments zu suhlen. Und man möge
den Unterschied zu den palästinensischen Nachbarn wahrnehmen; diese haben bei
ihrem letzten, auch schon deutlich zu lange zurückliegenden Urnengang
mehrheitlich für die Hamas gestimmt, sich bei der Wahl zwischen Pest und Cholera
also für die Pest entschieden. Sie haben damals wirklich “gefährlich gewählt”,
auch wenn es die FR nicht mitbekommen hat. Verglichen damit, wäre selbst der
prognostizierte “Rechtsruck” in Israel immer noch Peanuts gewesen. Wenn er denn
passiert wäre.
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