Sonntag, April 20, 2008

Warum nicht gleich Olympische Spiele im Iran?


Und wieso Boykott nichts bringt

Für den Fall, das Sie den Nachrichten in den vergangenen zwei Wochen nicht allzu viel Beachtung geschenkt haben sollten - einige Leute haben ein Problem mit den Olympischen Sommerspielen 2008 und reden die ganze Zeit über ihr Symbol - die olympische Flamme. Am 25. März begann der Fackellauf - vom olympischen Geburtsort Athen aus (Ist übrigens historisch nicht so ganz richtig - wegen der propagandistischen Ausschlachtung durch die Nationalsozialisten seit 1936) - bis zum Bestimmungsort Peking. Von Anfang an wurde der Lauf von Demonstranten begleitet, die einen Boykott Chinas wegen seiner Menschenrechtsverletzungen forderten. Sie prangern die Politik Chinas in Tibet an und die Unterstützung des sudanesischen Regimes, das in Darfur Völkermord begeht.

Ich finde sportliche Großereignisse wie olympische Sommerspiele fantastisch. Als Sportfan genieße ich es, wenn rund um die Uhr große Sportereignisse zu sehen sind. Es begeistert mich auch, zu sehen, wie konzentriert Sportler bei großen Wettbewerben auftreten und unglaublich viel Trainingsfleiß und Schnelligkeit zeigen, was Normalsterbliche nicht leisten können. Alles also Athleten, die einen Großteil ihrer Jugend - und nicht nur vier Jahre (meistens schon von Kindheit an) - diesem Ziel untergeordnet haben. Und als Anhänger der Olympischen Spiele und ihrer Traditionen sah ich es nie gerne, wenn die olympische Fackel Ziel von Protestaktionen war. Ich bleibe dabei: Sport taugt nicht für politische Zwecke. Jeder, der mir das jetzt nicht glaubt oder verständnislos den Kopf schüttelt, sollte alle Spiele der Neuzeit „durchgoogeln“, und er wird keine (!) Spiele finden, die nicht von irgendwelchen politischen Protesten begleitet waren oder irgendetwas bewirkt oder verhindert hätten. Politische Instrumentalisierung von Sportveranstaltungen ist schlicht lächerlich - auch wenn es in manchen Ohren „unmenschlich“ nachhallt. Allenfalls kann man mit symbolischen Gesten wie gefärbten Bademänteln, Tattoos oder anderen intelligenten Aktionen andeuten, für oder gegen was man steht; und selbst dann ist das jeweilige NOK (Nationales Olympisches Komitee) dahinter wie der Hund hinter der Salami.

Das soll aber nicht heißen, dass ich ohne Wenn und Aber dem Motto „Panem et circenses“ anhänge und die politische Begleitmusik außer Acht lasse. Sonst würde ich dies hier nicht schreiben. Denn als leidenschaftlicher Verfechter der Menschenrechte und jemand, der Völkermord anprangert, kann auch ich nicht verstehen, warum die Olympischen Spiele überhaupt nach Peking vergeben wurden.

Selbst jetzt fanden die Demonstrationen kein Ende, als die Leute vom IOC (Internationales Olympisches Komitee) sich besprochen hatten, um die Löschung der Fackel in jedem Kaff, an dem sie vorbeigetragen wurde, zu unterbinden. Entweder wurden die Routen gewechselt und geheim gehalten, oder manche Orte wurden aus dem Läuferprogramm gestrichen. Fackelträger, die das Privileg erhalten hatten, die Flamme eine Teilstrecke zu tragen, wurden gegen andere ausgetauscht oder gaben selbst auf, weil sie um ihre körperliche Unversehrtheit fürchteten - trotz des Cordons stetig präsenter chinesischer Sicherheitsleute, die seit Beginn der Aktion bei jeder Etappe nebenhertraben. Und so ging das weiter wie zuletzt in Bangkok, als man für den Schutz der Fackel so viele Polizisten aufbieten musste wie bei keiner Etappe zuvor.

Die Proteste und das Chaos rund um die Fackel entzündeten sich jedoch am heftigsten in London und Paris. In London wurde die Fackel kurzfristig von einem Aktivisten geklaut - in Paris beflaggten Protestler öffentlichkeitswirksam den Eiffelturm. Bevor die Fackel ihren einzigen Bestimmungsort in Nordamerika (San Francisco) erreicht hatte, erklommen Demonstranten die Golden Gate Bridge, um ihre Botschaft gigantisch zu plakatieren. Warum gibt es kein Google Earth in Echtzeit? Bei allem Protest, der noch dazu von der Heimlichtuerei der Stadtverantwortlichen und der (berechtigten) Angst um die Sicherheit der Läufer begleitet wurde, war es für die sensationshungrigen Leute entlang der Strecke nicht leicht, auch nur einen Schein der Flamme zu erhaschen.

Wer hat eigentlich entschieden, dass Peking der passende Austragungsort für die Olympischen Sommerspiele sei? Und warum wollte das IOC den politisch so negativ auftretenden Kandidaten ein derart imposantes internationales Ereignis ausrichten lassen? Ein Blick in die Archive hilft: 2001 hatte Peking den kanadischen Mitbewerber Toronto mit 56 zu 34 Stimmen rausgekegelt. Und - stellen Sie sich vor - sehr viele IOC-Abgeordnete hatten ein Riesenproblem mit einer Vergabe nach China. Fast sieben Jahre nach der Entscheidung haben sich die Beziehungen zum Olympia-Gastgeber China nicht verbessert; und das ist noch sehr diplomatisch umschrieben. Wegen der Romanze Chinas mit dem Sudan und seiner indirekten Beteiligung beim Völkermord in Darfur hat sich weltweit Feindseligkeit angestaut. Zudem warfen die Menschenrechtsfragen, Tibet betreffend, schon 2001 heikle Fragen auf. Auch sieht es nicht danach aus, als ob diese Probleme heute in irgendeiner Form gelöst worden wären.

Sollte China ausgerechnet damals, geschweige denn heute, seine massiven Menschenrechtsverletzungen überdenken und das Morden in Darfur stoppen, wenn es den Olympia-Zuschlag bekommen konnte und darin eine Goldmine für seine Ökonomie sah? Ganz sicher nicht! Es wäre schon sehr naiv, das Gegenteil anzunehmen. Wer sich damals beim IOC der Illusion hingab, mit dieser Entscheidung China auf dem Weg zur Demokratie das Stöckchen zum Drüberspringen niedriger zu halten, lag komplett daneben. Und wenn irgendjemand denkt, dass China im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit die Defizite beseitigen wird, die bisher dafür sorgten, dass man in der internationalen Kritik stand, dann fällt er von der Tischkante.

Betrachtet man die Thematik Menschenrechtssituation in China schon (!) zum Zeitpunkt der Nominierung durch das IOC im Jahr 2001, dann lässt einen das darüber sinnieren, wie dieses Gremium tickt. Vielleicht sollten die nächsten Spiele im Iran stattfinden. Eigentlich eine logische Schlussfolgerung.

Die Mehrheit der Demonstranten forderte die Weltgemeinschaft auf, die Spiele zu boykottieren. Was ist dabei herausgekommen? 204 Mitgliedstaaten des IOC (eigentlich fast alle Nationen auf unserem Globus) haben ihre feste Zusage für eine Teilnahme gegeben. Knieschuss! Der Ansatz der Demonstranten ist nicht schlüssig und ich kann damit überhaupt nichts anfangen - auch aus moralischen Gründen nicht, weil Boykottmaßnahmen die Situation nicht verbessern, sondern die Abschottung eines Landes wie China erst recht forcieren. Dann werden die Informationen aus dem Reich der Mitte bzw. Tibet noch spärlicher fließen und es wird noch weniger Gewissheit darüber geben, was wirklich passiert, von der schwindenden Einflussnahme ganz abgesehen.

Athleten, denen wegen des Boykotts 1980 in Moskau die Teilnahme verwehrt war, sind noch heute verbittert, weil sie sich (zu Recht) um die Früchte ihrer Trainingsleistungen und Entbehrungen betrogen sehen. Und man trainiert nicht so nebenher 4 Jahre von einer Olympiade zur nächsten, sondern muss die Grundlagen schon in der frühesten Jugend legen. Das Beispiel „Moskau“ lässt sich trefflich mit jenem vergleichen, das vier Jahre später bei den Spielen in Los Angeles zu sehen war - nur unter umgekehrten Vorzeichen: Die UDSSR und ihre Satellitenstaaten „rächten“ sich mit ihrem Boykott für die Schmach des letzten, auch wenn als Begründung hauptsächlich der NATO-Doppelbeschluss (Pershing II als Antwort auf die SS 20) herhalten sollte.

Es gibt andere Wege, sich mit schlimmen politischen Fehlentwicklungen eines Landes auseinanderzusetzen als Athleten einen Lebenstraum zu verwehren, in den sie so viel investiert haben. Falls Präsident Bush oder andere politische Repräsentanten der Eröffnungsfeier fernbleiben wollen - okay, aber die Spiele komplett zu boykottieren sendet ein falsches Signal aus.

Die Demonstranten können jederzeit aussprechen, was sie - wie ich auch - denken: dass Peking die Spiele nicht verdient hat. Aber die Flamme auszupusten ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Sollen sie weiterhin ihre Transparente hochhalten und so viel Medienrummel bekommen wie sie wollen, während die Fackel unterwegs ist. Sie sollten aber nicht mit einer Jahrzehnte langen Tradition brechen. Alle haben an dieser idiotischen Entscheidung des IOC aus dem Jahr 2001 zu knabbern, und je näher die Spiele rücken, desto mehr verschlechtert sich die allgemeine Situation und das Verhältnis zum Ausrichter China. Aber es ist nicht in Ordnung, wenn jede erstbeste Möglichkeit dazu genutzt wird, die Flamme zum Erlöschen zu bringen oder den Athleten das Streben nach der Goldmedaille zu verweigern.

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