Es gehört zur schlechten deutschen Journalistentradition, manchen Klerikern im
iranischen Gottesstaat Prädikate wie moderat, gemäßigt oder gar liberal zu
verpassen, um einen scheinbaren Kontrast zu so genannten Konservativen wie Chamenei
zu suggerieren. So auch im Fall des neu gewählten Präsidenten Rohani. Was man von
solchen Vorschusslorbeeren zu halten hat, beschreibt der Politikwissenschaftler
Matthias Küntzel mit seiner gewohnt sorgfältigen Analyse.
Hassan Rohani - ein
Mann mit guten Beziehungen nach Berlin
Die iranische Bevölkerung hat Grund zu feiern: Der
befürchtete Wahlbetrug fand nicht statt. Der Wahlsieg Rohanis zeigt, dass die Mehrheit
mehr Freiheit will. Und: Die Tage Ahmadinejads sind gezählt.
Doch auch Revolutionsführer Ali Khamenei hat Grund zu
feiern. Er wollte dreierlei erreichen: keine Aufruhr, eine hohe Wahlbeteiligung
und ein Kandidat, auf dessen Loyalität er sich hundertprozentig verlassen kann.
Er hat dies erreicht. Die Unterdrückten ließen Dampf ab, das System wurde
stabilisiert.
Mit Hassan Rohani wird ein zuverlässiger Verfechter des
Gottesstaates Präsident. Nach eigener Darstellung hat der 1948 geborene bereits
als 17-jähriger an der Seite Ruhollah Khomeinis gekämpft. Seit 1965 mehrfach
verhaftet, verließ er 1977 das Land und bereitete später gemeinsam mit Khomeini
dessen Rückkehr von Paris nach Teheran vor.[1]
Von 1989 bis 2005 leitete er den Nationalen Sicherheitsrats
(NSR) des Iran. Nach dem Wahlsieg Ahmadinejds verlor er diese Position, blieb
aber als persönlicher Vertreter von Revolutionsführer Khamenei Mitglied im NSR.
In einem wesentlichen Punkt teilt Rohani die Besessenheit
seines Vorgängers Ahmadinejad nicht. Während sich dieser der Wahnidee von der
Wiederankunft des „Zwölften Imams“ auslieferte und es als seine größte Aufgabe
bezeichnete, günstige Umstände für die Ankunft des schiitischen Messias zu
schaffen, sind Rohani derartige Wahnvorstellungen fremd. Schon 2008 mokierte er
sich über die abergläubischen Vorstellungen der Kabinettsmitglieder um
Ahmadinejad: „Wenn sie ein Gebet verrichten, breiten sie vor sich auch einen
leeren Gebetsteppich für den Verborgenen Imam aus, oder sie stellen für ihn
einen gefüllten Teller auf das Speisetuch, oder sie erklären, man solle
irgendeine wichtige Sitzung auf den Freitag verlegen, damit sie ihre Beschlüsse
im Beisein des Erlösers fassen können.“[2]
Dieser Unterschied zwischen Rohani und Ahmadinejad ist nicht
unwesentlich. Doch heißt das, dass auch in der Frage des Atomkonflikts und des
Terrorismus „ein neues Kapitel beginnen (kann)“, wie die Süddeutsche Zeitung
schreibt?[3] Noch wissen wir dies nicht. Doch sind Einzelheiten über Rohanis
Besuche in Deutschland bekannt – Einzelheiten, die erste Prognosen erlauben.
Rohani und die
Mykonos-Morde
Im April 1993 empfingen Außenminister Klaus Kinkel und
Bundeskanzler Helmut Kohl Hassan Rohani in Bonn. Es war ein Besuch von hoher
Brisanz, hatten doch iranische Agenten nur wenige Monate zuvor das Restaurant
Mykonos in Berlin-Wilmersdorf gestürmt und drei hochrangige Vertreter der
iranischen Kurden und deren Dolmetscher ermordet.
Offiziell war Rohani vom Deutschen Bundestag in seiner
Funktion als Vizepräsident des iranischen Parlaments eingeladen. „Tatsächlich
war er als Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrates auch einer der
Hauptverantwortlichen des iranischen Terrors und ein mutmaßlicher Drahtzieher
der Mykonos-Morde“, heißt es in einer Doktorarbeit, die sich mit
der Mykonos-Affäre befasst. Exiliraner in Deutschland hatten damals öffentlich
behauptet, Rohani sei „am Beschluss zur Durchführung des jüngsten Anschlags …
persönlich beteiligt“ gewesen.“[4]
Natürlich spielte dieses Attentat in Rohanis Gesprächen mit
Kinkel eine zentrale Rolle. „Beide Dialogpartner ließen durchblicken: Bonn und
Teheran wollten die Mykonos-Affäre Schulter an Schulter durchstehen.“[5]
Die Mykonos-Morde waren nicht die einzigen Terrorakte, die
die islamische Republik im Ausland durchführen ließ – Terrorakte, für die
Hassan Rohani als NSR-Sekretär eine Mitverantwortung trug. Doch auch beim
Terror nach innen war Rohani engagiert – zum Beispiel bei der Zerschlagung der
Studentenbewegung im Sommer 1999.
„Gestern erhielten wir den maßgeblichen revolutionären
Auftrag, jede Bewegung dieser opportunistischen Elemente, wo immer sie
auftritt, ebenso gnadenlos wie monumental zu zerschlagen“, rief Rohani im Juli
1999 den Teilnehmern einer regimefreundlichen Kundgebung zu. „Von heute an soll
unser Volk erleben, … wie wir mit diesen … Elementen umgehen, wenn sie es auch
nur wagen, ihre Gesichter zu zeigen.“ Im Anschluss an diese Kundgebung stürmten
die Sicherheitskräfte die Studentenunterkünfte; zahllose Studierende wurden
verhaftet, viele gefoltert, einige ermordet.[6]
2009 war Rohani an der blutigen Zerschlagung der
Demokratiebewegung zwar nicht beteiligt, doch er schwieg. Nie hat er sich mit
den damaligen Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Moussavi und Mehdi
Karroubi solidarisiert. Erst im Wahlkampf setzte sich Rohanis für die
Freilassung der politischen Gefangenen ein. Ob dies lediglich der
Wählermobilisierung dienen sollte oder ernst gemeint war, wird sich zeigen.
Rohani und Israel
Zum Abschluss seines fünftägigen Besuchs von 1993 erklärte
Rohani gegenüber den Pressevertretern in Bonn, dass „die USA und das
zionistische Regime die Haupturheber der gegen den Iran gerichteten Propaganda
(seien).“[7]
Diese Neigung zur antisemitischen Verschwörungstheorie
scheint auch zwanzig Jahre später noch sein Weltbild zu prägen. Dies belegt ein
Interview, dass Rohani unmittelbar vor seiner Wahl der in London erscheinenden
Zeitschrift al-Sharq al-Awsat gab. Israel, behauptet er hier in aller
Ernsthaftigkeit, habe die Debatte um das iranische Atomprogramm „angeheizt und
angeleitet …, um die internationale Aufmerksamkeit nicht nur von seinem eigenen
heimlichen und gefährlichen Atomwaffenprogramm sondern auch von seiner
destabilisierenden und unmenschlichen Politik und Praxis in Palästina und im
Nahen Osten abzulenken.“ Bedauerlicherweise habe sich der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen diskreditiert, „als er es den USA erlaubte, dieses
kontraproduktive israelische Programm durchzusetzen.“[8]
Aus seinem Hass auf Israel leitet sich auch Rohanis Haltung
zum Assad-Regime ab: Syrien sei „das einzige Land in der Region geblieben, das
der expansionistischen Politik Israels und dessen Praktiken widersteht.“[9]
Natürlich werde der Iran auch weiterhin „die palästinensische Sache aus vollem
Herzen unterstützten“. Eine Lösung der Palästina-Krise sei aber nur dann
möglich, „wenn die Rechte des palästinensischen Volkes vollständig wiederhergestellt
und dessen nationale Aspirationen verwirklicht“ seien. Full restauration of the
rights of the Palestinian people klingt natürlich freundlicher als wipe Israel
from the map. Gemeint ist aber das Gleiche.
Rohani und das
Atomwaffenprogramm
Anfang 2003 verfügte die IAEA erstmals über Beweise, dass
Teheran den Atomwaffensperrvertrag in verschiedener Hinsicht gebrochen hatte.
Eine Überweisung der Iran-Akte an den UN-Sicherheitsrat stand bevor. Um dies –
und die damit drohenden Sanktionen – zu verhindern, erklärte sich Hassan Rohani
als iranischer Verhandlungsführer im Atomkonflikt zu einem Bauernopfer bereit:
Er rief Jack Straw, den Außenminister Großbritanniens, Dominique de Villepin,
den Außenminister Frankreichs sowie Joschka Fischer, den deutschen Außenminister
nach Teheran und ließ sie mit Zustimmung des Revolutionsführers die sogenannte
„Erklärung von Teheran“ unterschreiben. Darin versprach die iranische Führung,
ihre Aktivitäten zur Urananreicherung vorübergehend zu suspendieren und das
IAEA-Zusatzprotokoll über strengere Kontrollen zu unterschreiben. Im Gegenzug
blockierten die Europäer die Einschaltung des Sicherheitsrats und erkannten das
Recht des Iran auf friedliche Verwendung der Atomenergie an.
Vordergründig sah es so aus, als habe der Iran unter der
Führung Rohanis ein Zugeständnis gemacht. Eben dies warfen ihm seine
Kontrahenten während der jüngsten Wahlauseinandersetzungen auch vor. Rohani
konterte diesen Vorwurf, indem damit prahlte, wie gut es ihm gelungen sei, die
Staatengemeinschaft zu täuschen und das Atomprogramm heimlich voranzutreiben.
In der Tat hatte sich Rohani schon zwei Tage nach der
Unterzeichnung der „Erklärung von Teheran“ über die Naivität der Europäer
lustig gemacht. Er erklärte, dass man gar nicht daran denke, das unterschriebene
Zusatzprotokoll in Kraft zu setzen. Vergnügt fügte er hinzu, dass auch für die
Suspendierung der Urananreicherung kein Zeitlimit vereinbart worden sei, sodass
sie „nicht einmal einen Monat dauern brauche.“[10]
Später wurde Rohani noch direkter. Um die Überweisung der
Iran-Akte an den UN-Sicherheitsrat zu verhindern, habe man die Europäer
überlisten und den Abbruch der Atomarbeiten vortäuschen müssen, erklärte er
nun. In Wirklichkeit habe man den Stopp an der einen Baustelle durch umso
intensivere Arbeiten an einer anderen Baustelle kompensiert: „Dadurch, dass wir
die Situation [mit dem Teheraner Protokoll] beruhigten, waren wir in der Lage,
die Arbeiten [an der Uran-Konversionsanlage] in Isfahan abzuschließen.“[11]
Hier haben wir es mit einem Verhandlungsmuster zu tun,
dessen Anwendung auch bei zukünftigen Atomgesprächen zu erwarten ist. Beim
Schach spricht man von Gambit, wenn es darum geht, durch ein kleines Opfer
einen sehr viel gewichtigeren Vorteil herauszuholen. Bei seiner Begegnung mit
Joschka Fischer und dessen Kollegen hatte Rohani hervorragend Schach gespielt.
Während die eigenen „Zugeständnisse“ keinen wirklichen Wert darstellten, da man
sie nach Belieben wieder rückgängig machen konnte, fungierten die Verhandlungen
als Kulisse, hinter der das iranische Atomprogramm da, wo es am nötigsten war,
vorangebracht werden konnte. Gleichzeitig wurde Europa gegen die USA
ausgespielt: „“Europa stand an der Seite des Irans“, betonte Rohani, „als die
USA darauf bestanden, das Iran-Dossier an den Sicherheitsrat zu
überweisen.“[12]
Rohani will die
internationale Gemeinschaft spalten
„Rohanis moderate Stimme könnte dazu dienen, die
internationale Gemeinschaft zu spalten“, warnt das Wall Street Journal zu
Recht.[13] Als Rohani am 19. September 2007 auf Einladung der Körber-Stiftung
nach Berlin kam, nahm er nicht nur an deren Veranstaltung teil, sondern sprach
auch mit Vertretern der Bundesregierung.[14]
Das Erstaunliche an dieser Reise war, dass sie während der
Ära Ahmadinejad stattfand, dessen taktischer Umgang mit dem Nukleardossier sich
von Rohanis Diplomatie deutlich unterschied. Doch es war der Revolutionsführer
selbst, der Rohani nach Berlin entsandte, was die Gruppe um Ahmadinejad zu
wütenden, jedoch erfolglosen Protesten veranlasste.
Wir sehen: Obwohl der Revolutionsführer immer wieder Partei
für Ahmadinejad ergriff, suchte er gleichzeitig die diplomatische Cleverness
seines langjährigen Vertrauten Hassan Rohani zu nutzen. Dies zeigt, dass Rohani
außenpolitisch ein Mann Khameneis war und ist. Wir können davon ausgehen, dass
der Revolutionsführer das Risiko einer Präsidentschaft Rohanis auch heute für
gut beherrschbar hält.
Die Episode von 2007 zeugt zudem von dem Interesse und von
dem Potential Rohanis, Deutschland im Atomstreit gegen andere westliche Mächte
auszuspielen. So bestand der Zweck seiner Reise darin, mithilfe einer
Einflussnahme auf die Bundesrepublik die Verabschiedung einer weiteren
Sanktionsresolution im UN-Sicherheitsrat zu verhindern.[15] Ob es nun auf die
Einflussnahme Rohanis zurückzuführen war oder nicht: Tatsache ist, dass sich
die fünf Vetomächte des Sicherheitsrats und Deutschlands am 27. September 2007
auch aufgrund der deutschen Positionierung auf einen gemeinsamen neuen
Sanktionsvorschlag nicht hatten einigen können. „Im Atomstreit mit Iran läuft
der europäische Verbündete Deutschland von der Fahne“, kommentierte damals die FAZ.[16]
Und heute? Der Westen hungert förmlich nach guten
Nachrichten aus dem Iran. Was kann es da Schöneres geben, als einen lächelnden
Mullah, der über Mäßigung im Atomstreit spricht? In Wirklichkeit ist die
Erwartung, dass ausgerechnet Rohani, einer der Väter des iranischen
Atomprogramms, den Atomstreit mit dem Westen beenden könne, „völlig
unbegründet“, konstatiert die Neue Zürcher Zeitung.[17] Rohani wird mit
gleicher Vehemenz wie Ahmadinejad, jedoch mit größerer Intelligenz und mit
einem besserem Gespür für die Möglichkeiten, das westliche Lager auseinander zu
dividieren, für die vollständige Realisierung der iranischen nuklearen Option
kämpfen.
Die Zeichen stehen also auch in Zukunft auf Sturm. Mahmoud
Ahmadinejad hatte das iranische Atomprogramm mit einem rasenden Zug ohne
Bremsen verglichen. Wenn Rohani nunmehr ankündigt, das Verhältnis zum Westen
und zur Welt verbessern zu wollen, wird er jene Bremsen zwar mit einbauen und
bei Bedarf sogar nutzen – ansonsten wird er die Fahrt auf denselben Schienen
und in dieselbe Richtung fortsetzen. Vermutlich wird er hierbei
Gesprächspartner finden, die sich nur allzu gern hereinlegen und mit Hilfe neuer
Gambits besiegen lassen. Schon heute ruft die Frankfurter Allgemeine zur
„Lockerung der Sanktionen“ auf – natürlich nur, um Rohani im „Kampf“ gegen
dessen konservative Umgebung zu stärken.[18]
[1] So referiert die englischsprachige Wikipedia-Plattform
Rohanis Autobiographie.
[2] Zit. nach Amir Hassan Cheheltan, Warten auf den
Verborgenen Imam, in: Frankfurter Allgemeine, 12. März 2008.
[3] Rudolph Chimelli, Hoffnung in Teheran, in: Süddeutsche
Zeitung, 16. Juni 2013.
[4] Norbert Siegmund, Der Mykonos-Prozess, Münster 2001, S.
124
[5] Siegmund, a.a.O., S. 128.
[6] Sohrab Ahmari, Behind Iran’s ,Moderate’ New Leader.
Hassan Rohani unleashed attacks on pro-democracy student protesters in 1999,
in: Wall Street Journal, June 16, 2013.
[7] Archiv der Gegenwart, 30. April 1993, S. 37870.
[8] Ali. M. Pedram, In conversation with Hassan Rouhani, in:
al-Sharq al-Awsat, June 13, 2013.
http://en-maktoob.news.yahoo.com/conversation-hassan-rouhani-182743986.html
[9] Ebd.
[10] Elaine Sciolino, A Change of Heart in Tehran? Is It
Time to Talk?, in: New York Times, 29. Oktober 2003.
[11] Elaine Sciolino, Showdown at U.N.? Iran Seems Calm, in:
New York Times, March 14, 2006.
[12] Secretary of Iran’s Supreme National Security Council,
Hassan Rohani: The World Must Accept Iran’s Membership in the World Nuclear
Club, in: MEMRI, Special Dispatch Series – No. 678, March 11, 2004.
[13] Jay Solomon and Farnaz Fassihi, West to Press Iran on
Nukes, in: Wall Street Journal, June 16, 2013.
[14] http://www.koerber-stiftung.de/internationale-politik/politische-fruehstuecke/hintergrundgespraeche/2007/19092007.html
[15] Y. Mansharof and A. Savyon, Signs of a Possible Rift in
the Iranian Leadership on the Nuclear Issue, in: MEMRI, Inquiry and Analysis
Series – No. 391, September 20, 2007.
[16] Matthias Rüb, Im irakischen Treibsand, in: FAZ, 1.
November 2007.
[17] Andreas Rüesch, Ein Ventil für Irans Theokratie, in:
Neue Zürcher Zeitung, 16. Juni 2013.
[18] Rainer Hermann, Eine Chance für Iran, in: Frankfurter
Allgemeine, 17. Juni 2013.